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Jenna sah Lucian an diesem Abend nur kurz und am Morgen war er bereits wieder verschwunden, deshalb ging sie schon früh nach Fandrum, da sie Felician versprochen hatte, sich um Shennon zu kümmern.

Auf ihr Klopfen kam erstmal keine Reaktion, bis sie leise rief:
„Shenni? Ich bin es, Gem!"
In der Wohnung stellte sie fest, dass die neuen Bewohner am Vortag bereits Betten und einen Tisch mit zwei Stühlen hergebracht hatten.
„Feli hat gesagt, ich darf nur für dich aufmachen."
„Das ist auch gut so. Ich hab dir was mitgebracht."
In der Küche hatte Jenna  ein Stück Erdbeerkuchen mitgehen lassen, das Shenni jetzt aß, während sie Gem aufmerksam betrachtete.
„Was hast du da?"
Unter ihrem Umhang - den sie in Shennons Gegenwart noch nie abgelegt hatte, wie ihr einfiel - zog Jenna ein paar Stücke Pergament und einen Kohlestift hervor.
„Ich dachte, wir könnten etwas machen, bis Feli heimkommt."
„Malen wir?"
„Nein, ich werde dir Lesen und Schreiben beibringen."
Begeisterung leuchtete in Shennis Augen auf, als sie es begriff.
„Feli kann nicht lesen!", rief sie triumphierend.
„Ja.", grinste Jenna. Sie wusste selbst, dass es eine großartige Motivation war, besser sein zu können als der große Bruder.

Da Shennon meistens nichts zu tun hatte, stürzte sie sich praktisch auf Jennas Unterricht. Mehr und mehr bekam die Prinzessin das Gefühl, Shenni sei ihr gesamtes Leben lang unterfordert gewesen, denn die Kleine arbeitete sehr konzentriert und lernte schnell.

Als Feli von der Arbeit zurückkehrte, fand er seine Schwester, wie sie vorsichtig Buchstaben auf ein Pergament malte, Gems vermummte Gestalt neben ihr. Er schloss die Tür und gesellte sich zu den beiden.
„Was macht ihr denn da?", fragte er verwundert und strich seiner Schwester zur Begrüßung einmal über den Rücken.
Sie vollendete erst langsam das geschwungene Zeichen, die Zungenspitze konzentriert zwischen die Zähne geklemmt.
„Perfekt!", lobte Gem sie.
„Und das ist...?"
„Ein S!", rief Shenni sofort.
„Ihr lernt Schreiben?", fragte Felician erstaunt.
„Ja, und Lesen.", verkündete seine Schwester stolz.
„Ganz genau. Aber jetzt bin ich dran mit Lernen. Dreh mal das Pergament um und schreib auf die Rückseite alle Buchstaben, die dir einfallen. Möglichst in der Reihenfolge des Alphabets."
Sie stand auf, um den Tisch und die Stühle an eine Wand des Zimmers zu schieben und ihren Umhang abzulegen. Felician half ihr mit dem Tisch und warf seinen Umhang in die Ecke.

Gem und er begannen mit verschiedenen Übungen und tauschten auch ein paar Schläge aus.
Sie versuchte gerade, ihn über ihr Bein zu Boden zu werfen und hielt sich gleichzeitig an seinem Arm fest, um selbst nicht hinzufallen. Er zog sie mit dem einen Arm mühelos hoch und packte ihr rechtes Bein, mit dem sie nach ihm trat, um wieder frei zu kommen, bevor sie sich auf seinem Knie abstützte und auf seine Schultern schwang. Er bewunderte ihre Fähigkeit, den Gegner selbst als Hilfe für ihre Angriffe zu nutzen und zog sie an der Taille wieder von seinem Rücken, doch sie hatte die Beine um ihn geschlungen und trat ihm jetzt in die Kniekehlen, sodass er einknickte. Er keuchte auf und strauchelte unter ihrem zusätzlichen Gewicht, das ihn nach hinten zog. In letzter Sekunde ließ sie sich fallen und rollte zur Seite, er rettete sich mehr schlecht als recht mit einer Rückwärtsrolle. Triumphierend stürzte sie sich auf ihn und versuchte, ihn am Boden zu halten, doch er wand sich aus ihrem Griff. Frustriert schrie sie auf, als er sich über sie rollte und ihr den Arm auf den Rücken drehte. Er zuckte zurück, als sie den Kopf in den Nacken warf, um sich nicht an ihrem Hinterkopf die Nase zu brechen. Sofort sprang sie auf, drückte sich von der Wand ab und stürzte wieder auf ihn zu. Schnell zuckte seine Hand hoch, packte ihren linken Arm und wirbelte sie herum, sodass sie letztendlich rückwärts auf ihn zu stolperte.

„Das war aber nicht nett.", raunte er ihr ins Ohr als sie gegen seine Brust stieß.
Sie schnaubte nur und versuchte, ihm auf den Fuß zu treten, den er schnell wegzog.

„Gem!", unterbrach Shenni die beiden.
„Ich bin fertig! Soll ich jetzt..."
Sie verstummte und starrte die andere an.
„Ich kenne dich.", sagte sie leise.
„Du warst im Hof. Letzten Monat, als in der Stadt die Händler waren. Als ich mit Tante Uma wiedergekommen bin, warst du im Hof. Mit dem Prinz."

Jenna schluckte. Sie hatte definitiv nicht damit gerechnet, von Shennon erkannt zu werden, nachdem selbst ihr Bruder nicht gewusst hatte, wer sie war.
Die Geschwister sahen sie fragend an und warteten auf eine Antwort, einen Kommentar, eine Bestätigung der Aussage.
Gems Kiefer spannte sich an und sie starrte Felician an. Ihre Gedanken rasten. Sollte sie jetzt ihre Tarnung auffliegen lassen? Sie vertraute den beiden, doch sie vertrauten auch ihr, sodass sie ihr wohl glauben würden, wenn sie es leugnete.
„Ich..."
Erwartungsvoll zogen sich Felicians Augenbrauen hoch, als stünde er kurz davor, sie zu packen und zu schütteln, bis sie endlich eine Antwort ausspuckte.
„Ja, ich war vor einem Monat mit dem Prinz im Schlosshof."

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt