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Der nächste Tag hielt wieder einen liebevollen Gruß mit einer frisch gepflückten Rhíonà von Lucian und ein schnelles Frühstück für Jenna bereit, dass sie vor den Fenster stehend zu sich nahm, während sie das bunte Treiben im Hof beobachtete. Schließlich hüllte sie sich in ihren Umhang, zog sich im Drachenraum um und verließ diesen, diesmal ausgestattet mit einem ärmellosen, gewickelten Oberteil und einer schlichten Hose, die sie unter dem langen Stoff ihres Umhangs verbarg. In den großen Taschen des Umhangs versteckte sie ein wenig Gold, zwei Brote, eine Feldflasche mit Wasser vom Brunnen und ein Stück Käse.
Ihre Zeit in Felicians Wohnung beschränkte sich diesmal auf einen schnellen Gruß, dann verließen die beiden die kleine Unterkunft und machten sich auf den Weg zum von Jenna bereitgestellten Wachraum. Felician fragte sich verwundert, wie sie es geschafft hatte, einen Raum zu organisieren, als sie sicherheitshalber die Tür nach ihrem Eintreten wieder verschloss, um nicht von patrouillierenden Soldaten überrascht zu werden. Es gab Trainingsmatten, Strohpuppen, Zielscheiben und alle möglichen Waffen und Rüstungen. Schnell ging Felician noch einmal die Stöße und Stiche vom Vortag mit ihr durch, dann zeigte er seiner Schülerin, wie man blockte, sich wehrte und ein Messer defensiv nutzte. Gegen zwei Uhr nachmittags legten sie eine kurze Pause ein, in der sie das von Gem mitgebrachte Essen verzehrten, wenngleich Felician etwas zögerte, danach begannen sie Abwehr und Angriff zu kombinieren und verschiedene Bewegungen zu verschmelzen. Als es langsam Abend wurde ließ Felician sie sogar gegen eine der Strohpuppen antreten, die gnadenlos zerfetzt wurde.
Ein wenig außer Atem stand sie mit dem Messer in der Hand vor der lädierten Strohpuppe.
„Und, ist es mit einer Hose einfacher?", fragte ihr Trainer zufrieden. Sie nickte und packte das Messer wieder weg. Man hatte viel mehr Bewegungsfreiheit als mit dem schweren Stoff eines Kleides. „Dann morgen wieder mit Hose, würde ich sagen. Für heute reicht das.", beendete er ihre Trainingseinheit. Sie sperrten den Raum wieder ab und gingen zurück nach Fandrum.
„Ich gehe heute früher heim, hier ist deine Bezahlung.", verabschiedete sie sich und drückte ihm eine Goldmünze in die Hand.
„Morgen wieder um elf?", versicherte er sich, woraufhin sie schnell nickte und auf den Hof verschwand.

Jenna erinnerte sich an einen Münzpräger, den sie vor zwei Tagen an seinem Stand gesehen hatte. Mit gesenktem Kopf überquerte sie schnell den Hof und betrat Fandrum erneut auf der Ostseite. Tatsächlich fand sie den etwas chaotischen kleinen Stand wieder, in einer Gasse in der ansonsten größtenteils Schmuck verkauft zu werden schien. Geduldig beobachtete Jenna ein kleines Männchen, das einen Klumpen Bronze zwischen zwei Platten legte und diese aufeinander presste, dann nahm er die Münze, zu der der Klumpen geworden war und begutachtete sie ausgiebig von allen Seiten. Der Mann war klein und alt, nur ein weißer Flaum bedeckte sein Haupt, doch seine Finger waren ruhig und er erledigte seine Arbeit mit einer unglaublichen Geduld. Nachdem er die Münze zufrieden beiseite gelegt hatte, hob er den Blick und bemerkte seine Kundin erst jetzt.
„Einen schönen guten Abend.", begrüßte er sie freundlich.
„Was kann ich für dich tun?"
Er wirkte etwas verplant und war Jenna sofort sympathisch. Sein Charakter war wie sein Stand, chaotisch aber gemütlich und einladend.
„Ich brauche eine Münze mit einer besonderen Prägung. Diese Prägung gibt es normal nicht, ich habe sie selbst entworfen. Verkaufst du so etwas?"
Der Mann sah sie kurz an, als warte er darauf, dass die Information sein Gehirn erreichte und verarbeitet wurde, dann antwortete er:
„Selbstverständlich. Allerdings müsste ich neue Druckklötze aus Eisen schnitzen für deine Münze. Also wird es dauern und es wird kosten."
Jenna nickte.
„Der Preis ist kein Problem. Wie lange braucht ihr ungefähr?"
„Wohl etwa zehn Tage. Außer du möchtest eine Goldmünze, dann dauert es länger, weil ich noch reines Gold besorgen müsste."
„Sehr schön, ich hätte gerne eine Silbermünze. Kann ich die Vorlage für das Motiv morgen hierher bringen?"
„Aber gerne. Schau vielleicht nach einer Woche nochmal vorbei, falls ich schneller fertig sein sollte."
Sie nickte ihm zu und ging mit gewohntem Umweg zurück ins Schloss. Diesmal kam Lucian bereits kurz nach ihr und sie konnten endlich mal wieder gemeinsam Abend essen. Nach dem Essen kuschelte sie sich  auf dem Sofa an ihn.
„Jenna.", sagte er leise und sie hob fragend den Blick, um ihm in die schönen eisblauen Augen sehen zu können.
„Ich...", begann er zögernd.
„Eigentlich wollte ich es dir nicht erzählen, weil ich dich nicht beunruhigen wollte, aber vor vier Tagen, als mich der Page am Morgen zu Vater geholt hat, erzählte er mir, dass in Fandrum jemand getötet wurde." Aufmerksam wartete er auf eine Reaktion von ihr. Nach einer Weile nickte sie langsam.
„Auf jeden Fall haben wir nach vier Tagen immer noch keine Spur, keine Waffe und keinen Mörder gefunden.", fuhr er fort.
„Wir werden sehen, was weiter passiert, immerhin war es nicht der erste Mord in Fandrum, aber ich möchte, dass du immer vorsichtig bist, egal wo du hingehst, ja?"
Wieder verarbeitete sie das Erzählte kurz, bevor sie wortlos nickte.
„Ich kann dich nicht verlieren.", flüsterte er und drückte sie an sich. Eine Weile genoss sie seine beschützerische Zuneigung, dann wand sie leise ein:
„Du bist doch den ganzen Tag unterwegs. Ich muss mir eher Sorgen um dich machen."
Jetzt konnte sie ihm auf keinen Fall mitteilen, dass sie die letzten drei Tage in Fandrum verbracht hatte.
Lucian lachte leise.
„Um mich musst du keine Angst haben. Ich bin der beste Schwertkämpfer am Hof. Wenn du magst, kannst du mir übermorgen beim Training zusehen."
„Mhm.", machte sie zustimmend und lehnte sich an ihn.
Wieder saßen die beiden eine Weile schweigend da, bevor sie, von den jeweiligen Erlebnissen des Tages erschöpft, zu Bett gingen.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt