47.

28 8 0
                                    

In den nächsten Tagen begleitete Jenna ihren Mann zum ersten Mal zu politischen Angelegenheiten und Besprechungen. Die Nachricht über den Tod des Königs verbreitete sich rasend schnell, umso schneller musste gehandelt werden, um den Übergang der Thronfolge auf den Erben so reibungslos wie möglich zu gestalten.

Der junge König hatte keine Nerven für die ganzen Adeligen und Berater, die dachten, sie könnten ihn manipulieren, nur weil er noch jung war. Umso dankbarer war er Jenna, die immer bei ihm war, ihn beruhigte und ihm als Ruhepol diente.

In der Öffentlichkeit würde Lucian sich stark zeigen müssen, um das Volk von seiner Fähigkeit als Regent überzeugen zu können.
Ihm graute bereits vor Reden, öffentlichen Auftritten und Bällen, die er würde geben müssen.
Er hatte wenig Zeit, um über das Geschehene nachzudenken und es zu verarbeiten, da es viel zu organisieren gab. Als erstes sollte am nächsten Tag eine feierliche Beerdigung mit Beisetzung im Grab der königlichen Familie stattfinden, auf die dann ein paar Tage der Trauer folgen würden, außerdem musste die Krönungszeremonie durchgeführt werden.

Jenna half ihrem Mann wo sie nur konnte, begleitete und beruhigte ihn, achtete auf die anderen Anwesenden und baute ihn immer wieder auf, damit er den Tag überstand.

Am Tag vor der Beerdigung verkündeten Herolde den Tod des Königs, in Rehingard wehten die Fahnen auf Halbmast, die Burgbewohner wurden eingeladen und es herrschte eine allgemeine düstere Stimmung. Die fröhlichen Gespräche und das Geläster am Brunnen fehlten, ebenso wie die spielenden, lachenden Kinder. Zwar hatte man den Volk nichts Genaueres über das Ableben König Malcolms gesagt, doch vielen war bewusst, dass es kein natürlicher Tod gewesen war. Viele adelige Burgbewohner planten, direkt am Tag nach der Krönung abzureisen, um möglichst viel Distanz zwischen sich und den mysteriösen Mörder zu bringen. Die Wachen waren verdreifacht worden, doch auch unter ihnen herrschte Unruhe. Immer mehr Gerüchte entstanden, etwa dass der Mörder ein von den Elfen gesandter Magier sei. Von den Elfen hatte man seit über hundert Jahren nichts mehr gehört, doch sie waren nur geheimnisvoll, den Menschen gegenüber aber nicht unbedingt abgeneigt - zumindest soweit man wusste.

Jenna stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel und betrachtete sich. Die rechte Hand hatte sie um die grüne Drachenschuppe geschlossen.
Die Erschöpfung der vergangenen Tage zeigte sich als dunkle Augenringe und ein herzhaftes Gähnen, das sie erfolgreich unterdrückte, da Silvana gerade ihre Haare machte.

In Sachen Mode schien Silvana mit Anna mithalten zu können. Ein nachtschwarzes Kleid aus schlichten Stoff und ohne Verzierungen floss an Jenna herab. Es ließ sie elegant und majestätisch wirken, genau das, was sie jetzt brauchte. Eigentlich gehörte ein Schleier dazu, aber Jenna wollte sich nicht verstecken.

Lang genug hatte sie nur zugesehen, sich herausgehalten, wie sie es als Frau gelernt hatte, wie es von ihr erwartet wurde, doch jetzt würde sie Lucian nicht mehr alleine lassen. Er hatte mit seinem Erbe viel zu tun und sie würde ihn unterstützen so gut es ging. Immerhin musste auch sie sich auf ihre Rolle als Königin vorbereiten und als solche war ihre Hauptaufgabe, an der Seite ihres Mannes zu stehen und mit ihm gemeinsam Stärke zu demonstrieren.

„Hoheit, welchen Schmuck möchtet Ihr heute tragen?"
Jennas Finger schlossen sich zu einer Faust um die Schuppe, deren scharfe Ränder ihr beinahe in die Finger schnitten.
Der aufmerksame Blick aus Silvanas grauen Augen ruhte auf ihr.
„Ihr könnt auch die Schuppe als Kette tragen."
Jenna gab Lucians Geschenk nicht aus der Hand, doch sie bohrte mit einer Nadel aus Drachenzahn ein kleines Loch hinein und zog sie auf ein schlichtes Lederband, das ihre Zofe ihr umlegte. Die Prinzessin bedankte sich nur mit einem stummen Nicken, dann ging sie hinunter zu Lucians Umkleideraum.

Kaum stand sie vor der Tür, hörte sie die herrische Stimme ihres Mannes.
„Raus! Verschwindet, alle!"
Die Tür wurde aufgerissen und drei Diener stürmten hinaus.
Jenna seufzte.
Bei Lucian zeigte sich die Trauer und die Verzweiflung darüber, dass er seinen Vater nicht hatte helfen können, nicht wie bei ihr in Tränen, sondern in gespannten Nerven und Wut. Da sie in letzter Zeit fast immer bei ihm gewesen war, hatte sie die meisten Ausbrüche verhindern können.

Leise trat sie in den Raum. Passend zur allgemeinen Stimmung war es in dem kleinen Zimmer düster. Der Thronfolger lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand, seine dunklen Haare waren durcheinander und sein schwarzes Hemd offen.
„Lucian.", sagte Jenna sanft und legte ihm eine Hand auf den Arm, bis er langsam die Augen öffnete.

Obwohl sie ihn nicht tadelte, sah er schuldbewusst an die Wand. Er wusste, dass sie es hasste, wenn er seine Wut an den Untergebenen ausließ.
Ihre kühlen Finger strichen über seine Wange und sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn leicht zu küssen.
Vorsichtig aber bestimmt zog sie ein Stück von der Wand weg, dann knöpfte sie sein Hemd zu und legte ihm seinen schweren Umhang über die Schultern. Nachdem sie ihm kurz durch die Haare gefahren war, setzte sie sein goldenes Diadem darauf, das ihn als Thronfolger auswies. Er hatte sich absichtlich entschieden, noch nicht mit Krone aufzutreten.
„Nur die Zeremonie. Nur die paar Stunden.", versicherte sie ihm.

Und der Tag. Und der nächste. Und das Jahr, der gesamte Rest seines und ihres Lebens.
Doch er nickte nur tapfer und holte sich einen letzten Kuss, bevor er mit ihr an seiner Seite in den Hof hinaustrat, wo die Bewohner der Burg sich versammelt hatten und schweigend warteten.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt