53.

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Nach dem Frühstück stand Lucian auf und ging zum Fenster.
„Jenna...", er klang unruhig.
Fragend sah sie ihn an, dann stand sie auf und ging zu ihm.
„Bevor wir heiraten...ich- ich muss dir etwas sagen."
Besorgt zog sie die Augenbrauen zusammen.

Was könnte er ihr sagen wollen, dass es wichtiger war als die Hochzeit?
Gab es eine Andere?
Vielleicht wollte er sie nicht.
Vielleicht liebte er sie nicht mehr.
Oder er hatte sie nie geliebt.
Warum hatte er dann den Antrag gemacht?

Ihre Gedanken rasten und sie wich ein wenig zurück.
„Was...?", fragte sie leise, fast ein wenig ängstlich.
„Es hat nichts mit dir zu tun.", beteuerte er schnell.
„Es geht um unsere Hochzeit, wie kann es nicht mit mir zu tun haben?"
Er öffnete den Mund, doch da ihm nichts dazu einfiel, schloss er ihn wieder.
„Ist es... Ist es eine Andere? Oder willst du mich nur nicht mehr?", hauchte Jenna und starrte auf den Boden, um ihn nicht ansehen zu müssen.
„Gott, Jenna, nein! Nichts in der Richtung! Ich-"

Es klopfte an der Tür.
„Euer Hoheit! König Lucian?"
Der Angesprochene riss ungehalten über die Störung die Tür auf und funkelte den Pagen, der unter seinem Blick in sich zusammen sank, finster an.
„Was?", herrschte Lucian ihn an.
Der Page fiepte etwas Unverständliches, dann riss er sich zusammen, räusperte sich und versuchte es erneut.
„Ihr werdet im Besprechungsraum gebraucht. Ich soll von Lord Erald ausrichten, dass es dringend ist."
„Er soll sich ein wenig gedulden.", knurrte der König und schlug die Tür wieder zu.

Beruhigend strich seine Verlobte ihm über den Rücken.
„Man denkt, als König wird man nirgendwo mehr hinbeordert und dann sowas! Ich halte diese Leute nicht mehr aus."
„Dabei hast du gerade erst angefangen.", schmunzelte sie.
„Wie hat mein Vater das bloß gemacht?", murmelte er mehr zu sich selbst.
„Du solltest zu der Besprechung gehen.", riet Jenna ihm.
Schwach protestierte er:
„Aber wir haben doch gerade..."
„Wir können doch später reden. Die paar Stunden machen bestimmt keinen Unterschied."
Zögerlich nickend meinte er:
„Dann triff mich nach dem Abendessen im Drachensaal. Zum Essen werde ich nicht da sein. Und ich liebe dich."
Sie verabschiedete ihn mit einem Kuss.
„Mach dir einen schönen Tag!", rief er noch schnell, dann eilte er die Treppe hinunter.

Noch immer besorgt, was er ihr wohl sagen würde, überlegte Jenna, wie sie ihren Tag verbringen sollte. Zu Felician konnte sie jetzt nicht mehr gehen.
Allein der Gedanke an ihn schmerzte, doch langsam wurde dieser Schmerz zu bitterer Wut.
Was glaubte er eigentlich, wer er war, um so über sie urteilen zu können?
Hatte sie ihm jemals das Gefühl gegeben, sich durch ihren Stand oder ihr Geld besser zu fühlen als er?
Und wenn schon, der brauchte gar nicht zu glauben, sie sei auf ihn angewiesen!

Entschlossen wühlte sie den alten Umhang und ihre Messer hervor, dann schlich sie sich aus dem Schloss, bis in den Wald vor den Mauern Rehingards. Auf einer versteckten Lichtung zwischen den hohen Laubbäumen übte sie Schleichen, Verstecken, Tarnen und auf Bäume zu klettern, danach warf sie mit ihren Messern auf Blätter und Äste.
In der Hoffnung, Felician nicht zu begegnen, ging sie mittags nach Fandrum, um sich etwas zu essen zu kaufen, dann kehrte sie auf ihre Waldlichtung zurück.
Als es später wurde ging sie ins Schloss, badete, aß etwas und zog sich ein Kleid für ihr Treffen mit Lucian an. Umso länger sie wartete, desto besorgter wurde sie. Weshalb traf er sie im Drachenraum und sprach nicht hier mit ihr? Was hatte er ihr verschwiegen? Und weshalb?
Wenn sie an ihre täglichen Besuche in der dunklen Stadt dachte, bekam sie allerdings ein schlechtes Gewissen. So konnte sie ihm eigentlich nicht vorwerfen, dass er ihr etwas nicht erzählt hatte, immerhin würde er es ihr jetzt sagen.

Wieder schnappte sie sich ihren Umhang, diesmal ohne die Messer und schlich sich erneut aus dem Schloss, diesmal auf dem Weg in den Garten.
Da es langsam Herbst wurde, war es draußen schon dunkel und recht kühl, weshalb Jenna erleichtert war, als sie endlich die Wärme des Drachenraums erreichte und sich durch die Tür schob.

Lucian hatte bereits auf sie gewartet und stand mit dem Rücken zu ihr vor der Kommode vor dem schimmernden Drachenpanzer. Sein schwarzer Umhang verdeckte alles außer seinem Kopf und raschelte leise, als er sich zu seiner Verlobten umdrehte.
„Jenna.", stellte er leise fest. Er klang fast erstaunt und erleichtert, gleichzeitig aber auch enttäuscht und bedrückt, dass sie gekommen war.
„Lucian.", grüßte Jenna ebenso leise, aber erwartungsvoller.
„Was...was möchtest du mir sagen?"
Er schien mit sich zu ringen, öffnete kurz den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Schließlich atmete er tief durch, dann trat er einen Schritt zur Seite. Sein Umhang gab den Blick auf den Schrank hinter ihm frei, auf dessen Platte ein gebogener, blutverschmierter Dolch lag.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt