6.

50 10 0
                                    

Der Ball ging schon seit Stunden, ihre Füße taten weh und sie hatte aufgehört ihre Tänze zu zählen, außerdem waren ihre Gedanken noch immer bei L, als sie endlich wieder Zeit fand, mit Nathaniel zu reden. Sie setzte sich neben ihn an eine der langen Bänke, um etwas zu trinken. Ihr Bruder bemerkte sie aus dem Augenwinkel, doch als er sie erkannte, drehte er sich zu ihr um. „Wo zur Hölle warst du?", fragte er leise, damit niemand ihr Gespräch hörte. Jenna verstand nicht, warum er sauer war. „Was?", fragte sie eben so leise zurück. „Tu nicht so unschuldig. Du bist mit... Mit dem... Mit diesem Typen da abgehauen!" Verwundert sah sie ihn an. „Aber wir waren doch nur draußen." Nun sah er ein wenig beruhigt aus. „Was dachtest du denn bitte was wir machen?" Nat zuckte nur leicht die Achseln und wandte seinen Blick ab. „Ihr seid halt zu zweit verschwunden. Was man eben so macht. Weißt schon.", murmelte er, doch sie verstand ihn. Seine Schwester sah ihn entgeistert an. „Du dachtest ernsthaft, ich würde...?", fragte sie entsetzt, aber auch enttäuscht, dass er ihr das zutraute. „So abwegig ist das nicht. Du bist sechzehn. Andere in deinem Alter sind schon verheiratet.", meinte er entschuldigend, doch auf das Thema Hochzeit reagierte Jenna sehr empfindlich. Ihr Bruder und ihr Vater gaben ihr viele Freiheiten, was nicht selbstverständlich war, da Frauen so gut wie keine Rechte hatten. Ihr Vater könnte sie jederzeit mit irgendeinem reichen, alten Schnösel zwangsverheiraten, doch das tat er glücklicherweise nicht.
Wütend stand Jenna auf. „Viel Spaß mit den de Feuilles.", schnauzte sie  Nathaniel an, dann ging sie ihren Vater suchen.  Der Lord unterhielt sich mit einigen anderen und sie lachten gerade, als Jenna dazu kam. „Guten Abend, Lady Jenna.", grüßten sie sie und neigten ihre Köpfe. Sie erwiderte dies mit einem Knicks, dann beugte sie sich zu ihrem Vater. „Vater, ich gehe auf meine Gemächer.", teilte sie ihm mit. „Macht es dir keinen Spaß, mein Kind?", fragte er besorgt, doch sie lächelte beruhigend:„ Doch, es war sehr schön, ich bin nur müde." „Gute Nacht.", erwiderte der Lord. Schnell verabschiedete sie sich von ihm und den anderen Herren, dann verließ sie den Saal, nicht ohne hoch erhobenen Hauptes Nathaniel zu ignorieren, der inzwischen die ältere de Feuille Schwester im Arm hatte und seiner Schwester hilfesuchend hinterher sah.
Jenna ging sofort zu ihrem Zimmer und zog die unbequemen Schuhe aus. Seufzend vergrub sie ihre Zehen im angenehm weichen Teppich und wollte direkt ins Schlafzimmer gehen, hielt aber inne, als sie etwas auf dem Balkon liegen sah. Es war ein schwaches lila Schimmern, dass von einer kleinen Lichtquelle am Boden des Balkons auszugehen schien. Verwundert öffnete sie die Balkontür und bückte sich danach. Es war eine leuchtende Blume mit lilafarbenen Blättern und einem süßlichen Duft. Genießerisch schloss sie die Augen und schnupperte daran. Es war eine Glimmblume, oder aus der Sprache der Elfen eine Rhíonà. Anna hatte ihr vieles über die Tier- und Pflanzenwelt der Menschen als auch der Elfen erzählt. Jenna hatte nicht gewusst, weshalb, doch ihre Zofe war wohl der Meinung gewesen, sie bräuchte dieses Wissen, und da ihr lernen Spaß machte, hörte Jenna aufmerksam zu. Danach hatte Jenna im Garten einige Rhíonà gepflanzt, im Wald, in der Nähe zweier Baumstümpfe. Ihre Mundwinkel zogen sich zu einem glücklichen Lächeln, als sei Begriff, wer ihr die Blume geschickt hatte. Vielleicht war es eine Bestätigung, dass er sich melden würde.
Jenna begab sich wieder nach drinnen und schloss die Tür, dann stellte sie die Blume in eine kleine Vase und diese auf ihren Nachttisch. Obwohl sie versuchte, leise zu sein, wachte Anna auf und half ihr beim Entkleiden. Fragend sah sie auf die Blume, doch da ihre Herrin nichts sagte, hakte sie nicht weiter nach. Jenna dankte ihr, schlüpfte in ein Schlafkleid  und kuschelte sich in ihre weichen Felle. Kurz bevor sie einschlief, dachte sie an seinen Kuss und sah das sanfte Glühen der Blume vor sich.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt