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An diesem Morgen wachte Jenna durch den sanften Kuss auf, den der Prinz ihr zum Abschied auf die Stirn hauchte. Er wollte sich gerade abwenden und gehen, als sie den Hals reckte und auffordernd ihre Lippen spitzte. Ein wenig überrascht und leise lachend gab er ihr noch einen ordentlichen Kuss, bevor er sich einen reich verzierten Umhang über die breiten Schultern warf und das Gemach verließ. Jenna ihrerseits packte wieder ihre Sachen zusammen und spazierte gut gelaunt nach Fandrum.

Sie wollte gerade klopfen und eintreten, als sie aus Felicians Wohnung aufgebrachte Stimmen hörte. Feli und Uma stritten sich.
„Und soll das jetzt für immer so bleiben oder was?", schnauzte Uma.

An Türen lauschen gehörte nicht gerade zu den Sachen, die Jenna in ihrer Kindheit beigebracht bekommen hatte, doch sie wollte wissen, worum es ging.

„Kannst du nicht einfach mal zufrieden sein?", fragte Felician genervt zurück.
„Wo hat die denn das ganze Gold her, hm? Was weißt du denn über deine tolle Gem?"

Na klasse, es ging um sie und ihr Geld.

„Ich weiß, dass sie mir eine gut bezahlte Arbeit gibt, mit der ich meine kleine Schwester und meine keifende Tante ernähren kann!"

„Deine keifende...?!", brauste Uma erneut auf.
„Vielleicht ist sie eine Kriminelle, vielleicht klaut und mordet sie, um an das Geld zu kommen! Oder vielleicht ist sie eine Prostituierte und will ihr dreckiges Gesicht hier nicht zeigen!"

Jenna zuckte zusammen als Felician seine geballte Faust auf den Tisch schlug.

„Es hat dich doch sonst nie interessiert, wo Geld herkam! Du hast es einfach genommen, anstatt Freunden von mir irgendwelche Vermutungen anzuhängen!"

„Ach, weißt du wieso? Weil du nie Freunde hattest! Und jetzt hast du diese Frau angeschleppt, von der du das Gesicht nicht kennst und den richtigen Namen nicht weißt. Sie könnte sogar in Wirklichkeit ein Mann sein!"

„Mir ist egal wer sie ist!", brüllte Felician seine Tante an und Jenna hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde. Wenn er jetzt zur Tür kam...

„Gem!", sagte Felician überrascht, als er sie vor der Tür stehen sah.
Bestürzt fragte er:
„Hast du das gerade alles gehört?"
„Wer ist da?", keifte Uma vom Tisch aus.
„Die männliche, prostituierte Killerin.", antwortete Jenna trocken, worauf Felicians Tante nichts einfiel.

„Komm, lass uns gehen.", forderte sie Felician auf und trat von der geöffneten Tür weg in den Gang.

„Tut mir leid, dass du das mit anhören musstest.", meinte Felician zerknirscht auf dem kurzen Weg zu ihrer Trainingswohnung.
„Manche Menschen sind einfach nie zufrieden.", erwiderte sie nur ohne weiter darauf einzugehen und sperrte die Tür auf. Sie traten ein.
„Was machen wir heute?"
Jenna klang schon viel fröhlicher, fast aufgeregt, wie immer, wenn es um ihr Training ging.

„Die nächste Stufe wäre eine Kombination aus Nahkampf und dem Messer, aber das ist ein bisschen kompliziert. Wir würden also heute mit waffenlosem Kampf anfangen, aber..."
Fragend legte sie den Kopf schief.
„Aber?"
„Zum einen musst du lernen, nicht einfach draufzuhauen, sondern gezielt zu treffen oder die Schläge deines Gegners abzufangen und auf ihn zurück zu leiten, weil du selbst nicht stark genug bist, um einen effektiven Schlag zu abzugeben. Zum anderen muss ich dich sehen können."

Sie fuchtelte vor seinen Augen mit ihren Fingern herum.
„Nein, ich meine, ich muss deine Bewegungen sehen."
Sie verstand es immer noch nicht.
Er seufzte.
„Du musst den Umhang abnehmen."
Regungslos stand sie da, dann war das einzige, das sie herausbrachte, ein emotionsloses „Oh".

„Ich wollte es dir eigentlich nicht in diesem Kontext sagen.", versuchte Felician zu erklären.
„Was meinst du?"
„Ich meine, dass das nichts mit dem zu tun hat, was meine Tante sagt. Mir ist egal wer du bist, wenn du nicht Gem bist."

Jennas Gedanken rasten. Sie glaubte ihm, dass es keinen Zusammenhang mit den Worten Umas hatte, aber wie lange wäre ihm egal, wer sie war, wenn er herausfand, dass sich die Prinzessin unter der Kapuze verbarg? Allerdings war Felician kein Mensch mit sonderlich vielen sozialen Kontakten, also erkannte er sie vielleicht gar nicht, immerhin lebte sie erst seit knapp einem Monat im Schloss.
Wenn sie den Umgang nicht abnahm, würde sie ihm offensichtlich nicht vertrauen, seinen Worten keinen Glauben schenken. Aber vertraute sie ihm denn?

„Ich weiß nicht, ob du mich erkennst.", begann sie zögerlich.
„Aber wenn du weißt, wer ich bin, dann versprich mir, dass du es niemandem sagen wirst."
Er nickte stumm.
„Und dass du dir keine Meinung über mich bildest, indem du darüber urteilst, wie ich aussehe oder was ich besitze. Hier bin ich nur Gem und so möchte ich bewertet werden."

In Felician wallte Neugier auf.
Zum einen hoffte er, sie nicht zu kennen und deshalb keine zweite Person neben Gem sehen zu müssen. Vielleicht mochte er ihr wahres Ich nicht. Andererseits, wenn er sie nicht erkannte, hätte sie weiterhin dieses Geheimnis um sich. Er hätte dann ein Gesicht zu ihrem falschen Namen, aber immer noch keine Ahnung, wer sie wirklich war oder wo sie das Geld hernahm. Er wusste nicht, was er erwarten sollte. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte sie gemeint, vielleicht sei sie ja verkrüppelt und verberge deshalb ihr Gesicht. Oder vielleicht hätte seine Tante sogar mit einer ihrer Theorien recht gehabt.

Angespannt willigte er in ihre Bedingungen ein und hielt den Atem an, als sie die Hände zu ihrer Kapuze hob und langsam den Stoff zurück streifte.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt