7.

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Am nächsten Morgen wachte sie bereits kurz nach Sonnenaufgang auf und war sofort hellwach. Ob er einen Brief schicken würde? Oder vielleicht kam er sogar selbst? Aufgeregt hüpfte sie zu ihrem Schrank. Normalerweise zog sie etwas Zufälliges heraus und zog es an, doch heute wollte sie etwas Besonderes, für den Fall, dass er vorbeikam. Endlich fand sie ein recht schlichtes blaues Kleid, das von der Hüfte abwärts mehrere feine Lagen hatte, wie eine Blüte. Glücklich lächelnd drehte sie sich um und roch erneut an der Rhíonà, die er ihr geschenkt hatte. Nachdem Anna aufgewacht war und überrascht bemerkte, dass Jenna bereits wach und angekleidet war, sah sie ihre Herrin verwundert an. „Darf ich fragen, es der Grund für Eure gute Laune so früh am Morgen ist?" Jenna lächelte sie an, sie schien gar nicht aufhören zu können. „Brauche ich denn einen Grund um glücklich zu sein?" „Nein selbstverständlich nicht, verzeiht.", entschuldigte die Zofe sich, noch immer neugierig. „Kein Bedarf sich zu entschuldigen, meine liebe Anna.", grinste Jenna. „Aber könnte ich etwas zum Frühstücken haben?" „Natürlich." Anna knickste kurz, dann verschwand sie zur Tür hinaus in Richtung Küche. Jenna öffnete die Balkontür und trat hinaus in den warmen Sommermorgen. Voller Freude atmete sie tief die frische Luft ein und genoss den Duft des Sommers mit geschlossenen Augen. Es roch nach frisch geschnittenem Gras, feuchter Erde, duftenden Blumen und ein wenig nach Pferdemist. Beim letzten Gedanken musste sie grinsen. Verdammt, seit wann war sie so albern?
Als Anna mit einem Tablett zurück kam, umarmte sie sie überschwänglich und schickte sie weg, sich den Rest des Tages frei zu nehmen. Am Anfang saß sie noch an ihrem Tisch und trank den Tee, den Anna gebracht hatte, bald jedoch stand sie mit einem Stück frisch gebackenem Brot in der Hand wieder auf dem Balkon, starrte Löcher in die Luft und riss Stücke von ihrem Brot ab, die sie dann sehr undamenhaft in den Mund stopfte. Nach dem Essen saß sie eine Weile ungeduldig in ihrem Zimmer und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, dann entschloss sie sich, ihren Bruder besuchen zu gehen. Da man ihre Füße unter dem Kleid sowieso nicht sehen konnte, entschied sie sich für ein Paar bequemer abgewetzter Stiefel aus weichem braunen Leder. Auf dem Weg zu Nathaniels Gemächern ging sie langsamer und versuchte würdevoll auszusehen, doch sie wäre am liebsten den von der Sonne hell erleuchteten Gang entlang gerannt. Nathaniels Zimmer lag fast in der entgegengesetzten Ecke des ersten Stocks, doch nicht ganz an der Ecke, deswegen hatte er kein Fenster. Angekommen klopfte sie ungeduldig an seine Tür. Verschlafen öffnete er diese und sah sie verwundert an. Müde rieb er sich die Augen und fuhr sich durch die vom Schlaf verwuschelten Haare.

Irgendwie verstand Jenna die de Feuilles ein wenig, ihr Bruder sah tatsächlich gut aus. Aber nur weil man jemanden verstand, musste man ihn ja nicht gleich mögen.

Sie zog nur die Augenbrauen hoch, als sie sah, dass er kein Oberteil anhatte, dann schob sie sich an ihm vorbei ins Zimmer. „Was...?", wollte Nathaniel protestieren, doch schließlich seufzte er und schloss ergeben die Tür. Seine Schwester tigerte unruhig hin und her, während er ins Schlafzimmer ging und sich ein Hemd schnappte. „Warum bist du schon wach?", wollte er wissen, während er das Hemd zuknöpfte. Sie ignorierte ihn und setzte sich auf sein Sofa, wo sie anfing herum zu zappeln. Nathaniel runzelte die Stirn. „Hör mal... Was ich gestern gesagt habe, tut mir leid. Ich hab's nicht so gemeint." Sie sah auf. Ihre Auseinandersetzung vom Vorabend hatte sie schon wieder vergessen gehabt. Wenigstens wurde sie jetzt ruhiger. „Ist schon in Ordnung. Ich versteh dich ja.", murmelte sie.
Eigentlich könnte sie einfach ihren Bruder heiraten. Gesetzlich sprach nichts dagegen und sie hätten beide alle Freiheiten, die sie wollten, doch ihr kam es absurd vor. Es war nicht das Erste Mal gewesen, dass sie ihn ohne Oberteil gesehen hatte und auch er hatte sie bereits ohne Kleid gesehen, doch sie konnten einfach nicht in dieser Weise voneinander denken. „Nath... Hast du schonmal mit einer Frau das Bett geteilt?", fragte sie zögerlich. Überrascht hielt er inne, dann lachte er auf. Er warf den Apfel ein paar Zentimeter in die Luft, bevor er hineinbiss. „Ich denke nicht, dass dich das was angeht, kleine Schwester.", meinte er mit vollem Mund. Enttäuscht sah sie ihn an. Warum sie das Thema auf einmal interessierte, wusste sie selbst nicht. Natürlich hatte Anna ihr erklärt, was passierte und wie es funktionierte, doch es hatte sie eigentlich nie wirklich interessiert. Sie konnte sich spannendere Sachen ausdenken als Kinder zu bekommen und diese groß zu ziehen, für immer im Haus festzusitzen.
Nat seufzte.
„Jenna, wenn ich eine Frau so lieben würde, dass ich mit ihr schlafe, denkst du nicht, du hättest etwas mitbekommen? Und natürlich sollte sie mich auch lieben." Sie schüttelte den Kopf, als es an der Tür klopfte. „Nathaniel?", rief ihr Vater. „Weißt du, wo deine Schwester ist? Sie hat einen Brief bekommen."

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt