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Jenna öffnete den Mund, bereit, ihren Plan in die Tat umzusetzen, ihr Eigentum zurückzufordern, doch sie konnte es nicht. Die Ereignisse des Tages - vor allem des Abends brachen über die herein und sie taumelte kraftlos einen Schritt zurück.
„Kann...Darf ich reinkommen?", fragte sie erschöpft, mit einem Flehen in den Augen.
Sie bot tatsächlich einen jämmerlichen Anblick, wie sie weit nach Mitternacht mit tropfnassen Klamotten, mit blutigen Schrammen und Spritzern im Gesicht, dreckig und müde im Gang stand und ihn bat, sie einzulassen.

Felician kämpfte mit sich. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie hatte ihm nie die Wahrheit gesagt, ihm nie genug vertraut, um ihm von ihrer Herkunft zu erzählen, aber er konnte sie jetzt nicht einfach stehen lassen. Aber es lag nur an den Umständen, sonst hätte er sie nicht hereingelassen, versuchte er, sich selbst zu überzeugen.

Seufzend öffnete er die Tür und trat einen Schritt zurück, um sie hereinzulassen. Ihre grünen Augen leuchteten ihm dankbar und erleichtert entgegen. Hatte sie ihn wirklich für so kalt gehalten?

„Was ist los?", fragte er direkt, jetzt hellwach. Schmerz lag in Jennas Augen, dann kniff sie sie zu, zog die Augenbrauen zusammen, ihre zusammengepressten Lippen zitterten und eine einzelne Träne fand ihren Weg zwischen ihren geschlossenen Lidern hindurch.
Da sie aussah, als stünde sie kurz vor einem Zusammenbruch, legte Felician hilflos einen Arm um sie und bugsierte sie zu dem Sessel, in dem Shenni normalerweise Lesen und Schreiben übte und drückte sie hinein.
Schweigend öffnete er ihren nassen Umhang, zog ihn ihr weg und hängte ihn zum Trocknen auf, dann machte er ein Feuer und setzte Wasser auf.

Die gebrochene Frau im Sessel erinnerte ihn kein bisschen an die lebensfreudige, freche Gem.
Was war nur passiert?
Er goss einen Teil des Wassers zu einem Tee auf, mit dem Rest tränkte er ein Tuch und wischte ihr vorsichtig Blut und Dreck aus dem Gesicht. Dank ihrer nassen Klamotten war ihre Haut ziemlich unterkühlt. Er reichte ihr den Tee, dann holte er seine guten Sachen raus. Seine anderen trockneten gerade von der Wäsche und mehr hatte er nicht, abgesehen von dem, was er trug. Schweigend hatte Jenna den Tee getrunken und nahm die trockenen Sachen entgegen. Langsam schälte sie sich aus ihrem nassen Kleid, wobei Felician die Wand anstarrte, immerhin hatte er selbst auch nur eine Hose an.

Jenna war es gerade egal, was er sah. Sie wollte nur endlich in diese warmen und vor allem trockenen Klamotten. Sie kam sich unhöflich vor, weil sie sich von ihm so umsorgen ließ, andererseits genoss sie es sehr, mal wieder bemuttert zu werden.
„Ich...ich schulde dir was.", meinte sie zerknirscht, als sie schließlich in seinen Klamotten dastand.
„Blödsinn. Geh schlafen.", brummte Felician.
„Aber-"
Er schob sie ins Schlafzimmer, wo Shenni, die von dem ganzen nichts mitbekommen hatte, immer noch friedlich schlief. Da Jenna noch weiter protestierte, ihm seinen Schlafplatz wegzunehmen, stopfte er sie einfach unter die Decke.
„Gute Nacht.", murmelte er leise, dann setzte er sich im Nebenzimmer in den Sessel und starrte grübelnd ins Feuer.

Wenn er an Jennas Erscheinung dachte, konnte das Leben als Königin vielleicht doch nicht so schön sein, wie er es sich immer ausgemalt hatte. Würde ihr Mann sich nicht fragen, wo sie war?
Felician kannte den König nicht.
Behandelte er Jenna gut?
War die Verlobung freiwillig oder von ihren Eltern arrangiert gewesen?
War Jenna glücklich bei Lucian?

In seinem Kopf spielten kurze Szenen ab, in denen er sie küsste, ihr einen Verlobungsring ansteckte, sie heiratete.
Energisch schüttelte er den Kopf. Was für blöde Gedanken.
Sie war adelig und verlobt mit dem König. Sie war Königin.
Er musste sich diesen Schwachsinn dringend aus dem Kopf schlagen.

Als Jenna erwachte, wusste sie kurz nicht, wo sie war, dann fiel es ihr wieder ein. Zittrig atmete sie tief ein, um die Tränen zu unterdrücken, als sie an den vergangenen Abend zurück dachte.
In Felicians Sachen ging sie in den anderen Raum, in dem Shenni bereits lernend am Tisch saß.
Jenna nahm sich das letzte Stück Brot und Käse, dann setzte sie sich vorsichtig zu der Elfjährigen.
Sie wusste noch gar nicht, was Shenni von ihr dachte.

"Guten Morgen.", grüßte sie die Kleine und biss von ihrem Brot ab.
Mit einer eleganten Handbewegung und konzentriertem Blick vollendete Shenni schwungvoll das L, das sie gerade aufs Papier malte, dann sah sie Jenna freudig an.

"Hallo, Gem! Ich hab schon ganz viel gelernt und geübt."
Jenna lächelte über den Eifer der Kleinen.
"Eigentlich heiße ich Jenna, aber es wäre besser, wenn du mich Gem nennst. Hast du auch in deinem Buch schon weitergelesen?"
"Ja, ich bin fast fertig."
Während Jenna ihr karges Frühstück aß, beobachtete sie Shenni. Sie war wirklich gut geworden.
"Shenni, was hältst du davon, wenn wir deinen Bruder besuchen? Vielleicht finden wir auch ein neues Buch für dich."
Sofort sprang Shenni auf, schnappte sich Schuhe und einen Umhang, dann zog sie Jenna zur Tür hinaus.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt