54.

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Jenna öffnete den Mund, doch ihre Stimme versagte. Lucian drehte sich zur Seite, wandte seinen Blick ab von der stummen Frage und dem wachsenden Entsetzen in ihrem Gesicht, als sie langsam verstand.
„Was hast du getan?", würgte sie heiser hervor. Er rechnete es ihr bereits hoch an, dass sie nicht einfach weglief, sondern ihm eine Chance gab, zu erklären.
„Ich...ich kann es nicht kontrollieren. Es ist in mir.", versuchte er zu erklären, doch er verwirrte sie nur noch mehr.
„Es hat angefangen, kurz nachdem wir uns kennengelernt haben. Es verdrängt mein Bewusstsein und kontrolliert meinen Körper. Wenn es verschwindet ist es wie ein Erwachen. Aber ich erwache und bin in einem Alptraum."
Sie stand noch immer da. Sie hörte ihm zu und vertraute ihm, sogar nach dieser Erklärung.
„Jedes Mal erwache ich und stehe dort. Ich weiß nicht, wie ich hingekommen bin, ich sehe nur die blutige Leiche unter mir und das Messer in meiner Hand. Ich spüre das klebrige Blut an meinen Händen, aber ich erinnere mich an nichts."
Jennas Augen weiteten sich, als sie die tatsächliche Tragweite des Ganzen begriff.

„Du hast deinen Vater getötet."
Die Erinnerung daran überwältigte ihn wieder und er klammerte sich an der Kommode fest. Er konnte sich nicht mal daran erinnern, aufgewacht zu sein, nur das er auf einmal dort gekniet war, vor dem toten Körper, in dessen Brust sein Messer gesteckt hatte.

Jenna ließ kraftlos die Hände sinken und hauchte:„Anna."
Lucian schluckte, dann flüsterte er nur:
„Ja."
Er starrte auf seine Hände, wartete auf den Luftzug und das Geräusch einer zuschlagenden Tür, doch stattdessen spürte er ihre zittrige Hand auf seiner Schulter.
Überrascht starrte er sie an. Was machte sie denn da?
Sie schluckte trocken und es kostete sie sichtlich einige Überwindung, aber schließlich flüsterte sie:
„Es ist nicht deine Schuld. Du hast sie nicht getötet."
„Sie sind durch mich gestorben, durch meine Hand."
„Aber nicht durch deinen Willen. Du kannst nichts dafür."
„Ich bin ein Mörder, Jenna. Ich bin eine Gefahr!"
„Das bist du nicht! Ich werde dich nicht alleine lassen!"
„Ich habe geschworen, doch zu beschützen. Das kann ich nicht, wenn ich die Gefahr bin. Du musst gehen."
„Ich bleibe bei dir!", schrie sie.
„Ich kann es nicht kontrollieren!", brüllte er zurück.
„Was wenn-". Er konnte seinen Satz nicht vollendeten, da er rückwärts strauchelte und sich mit einer Hand an der Wand abfing. Überrascht keuchte er auf, dann riss er die Hände an den Kopf. Er spürte es. Das konnte nicht sein! Nicht jetzt, nicht hier, nicht mit ihr!

Jenna stolperte entsetzt zurück und starrte ihn an. Sie sah in seine Augen, doch seine normalerweise eisblaue Iris war von einem wabernden schwarzen Rand umgeben, der das Blau zu verschlingen schien. Endlich sah er sie an, blickte ihr in die Augen und ein letztes Erkennen blitzte in seinen Augen auf.
„Lauf.", keuchte er.

Jenna sah nicht mehr, wie seine Iris komplett mit schwarz gefüllt wurde, da sie sich umdrehte und rannte.
Sie riss sie Tür auf und stolperte hinaus. Den Weg durch den Garten konnte sie nicht nehmen, deswegen bog sie in die andere Richtung ab. Da der Drachenraum auf Felicians Karte nicht eingezeichnet war, hatte sie keine Ahnung wo sie war. Sie fühlte sich so hilflos wie an ihrem ersten Tag in Fandrum.
Wie damals hetzte sie menschenleere Gänge entlang, orientierungslos, unsicher, von wem oder was sie verfolgt wurde.
Hinter sich hörte sie schnelle Schritte und konnte aus dem Augenwinkel seine Silhouette ausmachen. Sein schwarzer Umhang wehte hinter ihm her und ließ seine Gestalt groß und bedrohlich wirken.

„Du kannst dich nirgends vor mir verstecken, kleine Prinzessin!", höhnte Lucian, doch es war nicht seine Stimme. Die Stimme war tief und polternd, sie erinnerte Jenna an eine Gerölllawine, die einen Hang hinunter donnerte, alles unter sich begrub und zerstörte, Körper unter sich zermalmte mit unaufhaltsamer, zerstörerischer Gewalt.

Wieder bog Jenna um eine Ecke, doch plötzlich stand sie vor einer Wand. Sie war in eine Sackgasse gelaufen. Entsetzt drehte sie sich um und wollte aus dem Gang wieder hinauslaufen, doch die dunklen Umrisse seiner Silhouette versperrten den Weg.
Stolpernd wich sie an die Wand zurück.
Ein grausames Lächeln verunzierte Lucians Gesicht, gepaart mit den kalten schwarzen Augen.
„Wer bist du?", keuchte Jenna verzweifelt, um Zeit zu gewinnen. Sie konnte nirgendwo hin.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt