17.

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In der Früh schüttelte Lucian sie sanft wach und sie öffnete verwirrt die Augen. Die Sonne war noch nicht mal aufgegangen, weshalb weckte er sie? „Ist alles in Ordnung?", fragte sie schlaftrunken.
„Alles bestens, mein Schatz. Ich möchte dir nur was zeigen.", beruhigte er sie und zog sie unter der Decke hervor, dann drückte er ihr ein lilanes Kleid in die Hand und bedeutete ihr, sich anzuziehen. Er war bereits angekleidet, außerdem hielt er zwei warme braune Umhänge in der Hand, von denen er ihr einen um die Schultern legte und selbst auch einen anzog. Er schob sie zur Tür hinaus und schloss diese leise hinter sich, um niemanden zu wecken, dann nahm er ihre Hand und zog sie die Treppe hinunter.
„Wo gehen wir hin?", flüsterte sie verwundert.
„An deinen Lieblingsort.", lächelte er ihr zu und brachte sie zum Fuße der Mauer. An der östlichen Seite stiegen sie hinauf. Zwischen zwei Zinnen brannte eine Kerze, die Lucian dorthin gestellt hatte und zu der er sie jetzt führte.
„Was machen wir hier?", fragte sie, noch immer verwirrt, aber auch aufgeregt, immerhin liebte sie die vielen kleinen Überraschungen, die er immer für sie hatte. Ohne zu antworten pustete er die Kerze aus und sah erwartungsvoll zum Horizont. Die Dunkelheit, die sie seit dem Erlöschen der Kerze umgeben hatte, hielt nicht lange, denn langsam erschien ein orangenes Glühen am Himmel. In all seiner leuchtenden Pracht verbreitete es sich über den Horizont, mischte sich mit rosa, floss über die letzten Reste der Nacht und kündete die Sonne an. Auch diese ließ nicht lange auf sich warten und schickte ihre ersten Strahlen in den frischen Morgen und über Jennas glückseliges Gesicht.
„Es ist wunderschön.", hauchte sie leise. „Danke, Lucian."
„Ist mir, wie jedes Mal, eine Freude, Prinzessin."
Mit großen Augen sah sie ihn an.
„Bin ich denn jetzt eine Prinzessin?"
Lucian lächelte sie sanft an.
„In meinen Augen bist du bereits Königin." Er küsste sie vor der leuchtenden Kulisse der aufgehenden Sonne, deren morgendliches Orange langsam vom hellen Blau des Tages vertrieben wurde.
Eine Weile beobachteten sie noch, wie die Stadt langsam erwachte und die ersten Leute auf die Straßen traten und ihrem Tagewerk nachgingen, dann spazierten sie Hand in Hand zurück, um zu frühstücken. Ein Diener hatte bereits Tee und frisch gebackenen Kuchen gebracht, doch sie wurden jäh unterbrochen, mit der Nachricht, dass Lucian von seinem Vater erwartet wurde, der ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen wollte.
„Tut mir leid, die Pflicht ruft.", seufzte er bedauernd und küsste sie zum Abschied schnell. Jenna runzelte die Stirn. Eigentlich hätte sie damit rechnen müssen, als angehender König hatte er bestimmt viel zu tun und zu lernen.
In Ruhe aß sie fertig und beschloss, ihren Bruder besuchen zu gehen.

Nathananiel freute sich, seine kleine Schwester zu sehen, ebenso wie der Lord. Da sie nur drei Tage voneinander getrennt waren, obwohl es sich länger anfühlt hatte, fanden sie nach ein paar Stunden keinen Gesprächsstoff mehr und Jenna verabschiedete sich wieder. In den Gemächern wurde sie bereits von Lucian erwartet und mit einer Umarmung  begrüßte.
„Wo warst du?"
„Ich habe Nat besucht."
Lucian drehte sich um und holte ein Kleid hervor.
„Tut mir leid, dass ich heute so überstürzt wegmusste."
Sie winkte ab.
„Was ist denn passiert?"
Er schüttelte als Antwort nur den Kopf.
„Nichts wichtiges. Aber Vater hat für heute Abend wieder einen Ball angekündigt."
Er sah sie an und grinste schief.
„Ich habe dir doch von eventuellen eifersüchtigen Damen erzählt... Die darfst du heute kennenlernen."
Jenna legte nachdenklich den Kopf schief, dann grinste sie zurück:
„Die werten Damen lernen aber auch mich kennen."
„Oh, jetzt habe ich schon fast Mitleid mit ihnen.", lachte Lucian und zeigte ihr das Kleid, das er für sie ausgesucht hatte. Es war komplett schwarz und hatte einen ausladenden Rock, auf dem silberne Glitzerwölkchen schimmerten, außerdem war der Stoff mit vielen kleinen Diamanten besetzt, die bei jeder Bewegung aufblitzten.
„Es sieht aus wie ein Sternenhimmel.", stellte Jenna bewundernd fest.
„Dann zieh dich mal um, mein Stern. Es müsste gleich eine Dienerin kommen, die dir hilft, ich bin unten."
Jenna nickte und strich mit den Fingerspitzen über den samtenen Stoff.
„Ich mag es nicht, wenn du einem Kleid mehr Aufmerksamkeit schenkst als mir.", flüsterte Lucian neckisch an ihrem Ohr.
„Ich hole dich nachher ab.", verabschiedete er sich schließlich und küsste sie schnell auf die Wange.
Kaum war er aus dem Zimmer, als auch schon eine Dienerin eintrat.
„Lady Jenna.", grüßte sie.
Überrascht drehte die Angesprochene sich bei der ihr vertrauten, warmen Stimme um.
„Anna! Was machst du denn hier?"
Glücklich fiel sie ihr in die Arme.
„Die Prinzessin ankleiden, denke ich. Nachdem Euer Vater mich rausgeschmissen hat, bin ich hierher gekommen, um mich anstellen zu lassen.", schmunzelte die alte Frau.
„Rausgeschmissen? Ich muss mit ihm wohl mal ein ernstes Wörtchen reden.", meinte Jenna, war aber viel zu froh, Anna wieder zu haben, um auf ihren Vater sauer zu sein.
„Na schön, was steht uns denn heute zur Verfügung?", fragte Anna und ließ ihren erfahrenen Blick fachmännisch über das Kleid schweifen.

JennaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt