In den nächsten Tagen gewöhnte Jenna sich daran, schon früh nach Fandrum zu gehen und mit Shenni, die schnelle Fortschritte machte, Schreiben zu lernen.
Am zweiten Tag brachte Jenna ihr ein kleines Buch mit, das sie früher oft gelesen hatte. Langsam arbeiteten die beiden die ersten drei Kapitel durch, bis Felician kam und mit Jenna trainierte.Am dritten Tag schenkte Felician seiner Schülerin eine Karte von Fandrum, die er selbst mit Kohle auf ein Pergament gezeichnet hatte. Sie war nur grob dargestellt, aber vor allem waren Teile wie der betrunkene Stiefel oder die Ecke von Minen-Pit mit einem Ausrufezeichen markiert.
Den Abend verbrachte Jenna allein, da Lucian bei einer Besprechung war. Weil ihr nichts Besseres einfiel, fing sie an, die Karte auswendig zu lernen.Ab und zu sprach sie auch mit ihrer Zofe und legte langsam Vorurteile und Abneigung gegen Silvana ab. Aber von etwas wie Vertrauen konnte man nicht sprechen.
Nachdem der vierte Tag ebenfalls ruhig verlief, rückte Annas Tod langsam ein wenig in den Hintergrund und Jenna dachte mehr über den Mörder nach.
Lucian hatte ihr noch nicht von einer Spur oder einer Vermutung erzählt, aber der Mörder konnte nicht einfach verschwunden sein. Allerdings war es seit vier Tagen ruhig, keine neuen Notfälle oder Leichen. Aber welchen Sinn machte es, sich nach Annas Ermordung zurückzuziehen? Immerhin konnte die Zofe selbst unmöglich das Ziel gewesen sein.
Lucian war - wie erwartet - nur selten da und wenn, dann schlief er meist.
Am Abend des fünften Tages redete sie mit ihm über ihre Gedanken. Diesmal konnte er ihr wenigstens sagen, dass er eine Vermutung hatte, mehr aber auch nicht.
Sollte der Mörder sich zurückgezogen haben, würde man Annas Tod nicht rächen können, wäre aber wenigstens wieder sicher.
Zum einen hoffte sie, der Mörder würde nie wieder auftauchen, zum anderen wuchs die Spannung und die Angst mit jedem Tag, sodass sie jeden Abend erleichtert war, wenn sie Lucian endlich wohlbehalten wieder sah.Am sechsten Morgen wachte sie kurz nach Sonnenaufgang auf und fand die andere Betthälfte wie immer leer und verlassen vor, doch etwas stimmte nicht. Irgendetwas war anders als sonst. Unbewusst leise und vorsichtig stand sie auf und zog sich schnell an, dann ging sie in den Wohnbereich ihrer Gemächer. Ein kalter Luftzug strich über ihre Haut und sie bekam eine Gänsehaut. All ihre Sinne waren geschärft und ihr Herz schlug unnormal schnell, als sie sah, dass die Tür weit offen stand. Ihre Instinkte und ihr Körper waren durch das Training in den vergangenen Wochen trainiert worden, deshalb wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück an die Wand, in den Schatten. Aus einer versteckten Ecke ihres Schrankes hatte sie den weiten Umhang geholt, aus dem sie jetzt ein Messer zog, das sie locker in der linken Hand hielt. Soweit sie das einschätzen konnte, war außer ihr niemand im Raum, deshalb schlich sie leise an der Wand entlang Richtung Tür. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff des Messers, als ihr Körper sich anspannte. Hochkonzentriert huschte ihr Blick immer wieder durch den Raum, für den Fall, dass jemand aus seinem Versteck springen und sie angreifen sollte.
Mit gezückter Klinge presste sie sich neben der Tür an die Wand und lauschte. War da draußen jemand? Es fiel ihr schwer, das herauszufinden, da ihr Puls in ihren Ohren pochte und ihr Blut rauschte.
Sie würde die riskantere Art nehmen müssen, um das herauszufinden.
Jenna wirbelte um die Ecke, aus der Tür hinaus in den Gang, doch auch dort war niemand.
In geduckter Haltung drehte sie sich einmal und kontrollierte mit aufmerksamem Blick ihre Umgebung. Die Wendeltreppe kam ihr dabei nicht gerade zugute, da nur wenige Meter von ihr entfernt eine weitere Ecke war. Eine die Treppe hinunter und eine hinauf. Sie wog ihre Möglichkeiten ab. Auf dem Weg nach unten würde sie definitiv jemand hören, aber wer?
Der Weg hinunter war sehr viel länger als der nach oben. Oben, im Gemach des Königs würde niemand sie vermuten. Aber dort würde sie deswegen auch niemand finden, außer vielleicht dem König selbst. Ob Malcolm Verständnis dafür haben würde, dass eine gehetzt aussehende Prinzessin in seinen Gemächern saß?
Immerhin besser als zu sterben oder mit einem Mörder zu kämpfen.Nur zögerlich drehte sie dem unteren Treppenabsatz den Rücken zu, die Ohren gespitzt, um jedes Geräusch aufnehmen zu können.
Ihr Puls raste, als sie ihre volle Konzentration der Ecke über ihr zuwendete.
Wenn sie jetzt von hinten angegriffen wurde...
Auf leisen Sohlen und mit angehaltenem Atem meisterte sie eine Stufe nach der anderen, konnte mit jedem Schritt einen neuen Teil der Stufen sehen.
Ihre Finger, die noch immer um den Griff des Messers lagen, zitterten beinahe.
Eine kalte Angst ergriff ihr Herz, als sie sah, dass die Tür zu den Gemächern des Königs sperrangelweit offen stand. Malcolm hatte seine Tür mit Sicherheit nicht offen gelassen, also musste es ein Fremder sein.
War sie direkt in die Höhle des Löwen gelaufen?
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Jenna
FantasyJenna lernt den charmanten Prinzen Lucian kennen, mit dem sie dann bald ins Schloss zieht. Ihr kurzes Glück wird von einer Reihe von Morden getrübt, die nicht lange außerhalb des Schlosses bleiben. Haben die Morde irgendetwas mit Jennas Anwesenheit...