Timo hilft mir dabei, die Tiere zu füttern, bevor wir in die Schule fahren. Dad hatte Recht. Das mit meinem Fuß und dem Füttern ist gar nicht so leicht. "Wie war dein Abend mit Jette?" Er seufzt. "Naja, sie ist etwas krank geworden. Ich habe ihr also eine Hühnerbrühe gekocht und sie mit dieser Salbe eingerieben. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass sie mich über Nacht angesteckt hat." Er holt sich seine Kippen aus der Tasche seiner Lederjacke und steckt sich eine Kippe davon an. "Sind wir fertig? Wir sind schon spät dran." "Nur noch die Pferde auf die Koppel und gucken, ob sie Wasser haben. Dann haben wir alles." Timo nickt. "Ich gehe vor und schaue nach, ob sie Wasser haben. Bekommst du es hin, die beiden zusammen zu führen mit deinem Fuß?", "Ja, das geht. Ging gestern Abend auch.", "Okay." Timo geht runter zur Pferdekoppel und ich gehe in den Stall, um die beiden zu holen. Sie sind beide sehr lieb. Schoko ist ein Wallach und ist richtig schön schokobraun. Milky ist eine Stute und schneeweiß. Dad hat die zwei vor zehn Jahren gekauft. Da waren sie beide acht Monate alt. Zwar war Milky zu dem Zeitpunkt auch noch braun aber da ihre Eltern beide Schimmel sind, war klar, dass sie auch weiß wird. Ich war noch keine acht Jahre alt und fand es witzig sie Schoko und Milky zu nennen. Tja, Kinder haben komische Einfälle. Aber die Namen passen einfach so gut zu den beiden. Es gibt keine besseren Namen für sie. Ich bringe beide langsam zur Koppel und lasse sie dann laufen. Sie toben sich erst einmal richtig aus und grasen dann friedlich. "Wasser ist jetzt voll. Wir müssen uns jetzt aber richtig beeilen. Also komm, Prinzessin auf der Erbse." Er geht vor mir etwas in die Hocke und ich springe auf seinen Rücken. "Sind deine Krücken im Auto?", "Ja.", antworte ich. "Gut, denn in drei Minuten beginnt der Unterricht und die Fahrt zur Schule dauert etwa eine viertel Stunde.", lacht er. Oh Gott! Ich muss morgen früher aufstehen, damit ich das mit dem Füttern alles hinbekomme. Frau Niemann killt uns. Aber sie weiß, dass mein Vater öfter weg ist und wir einen großen Hof mit vielen Tieren haben. Hoffentlich bekommen wir keine Fehlstunde eingetragen.
Wieder hüpfe ich auf Timos Rücken und er sprintet die Treppen hoch in den dritten Stock, wo wir jetzt Deutsch mit Frau Niemann haben. "Klopf mal.", sagt Timo. Ich klopfe an die Tür und drücke die Klinke herunter, damit Timo sie aufschubsen kann und mit mir auf seinem Rücken den Raum betreten kann. Frau Niemann sieht uns genervt an. "Ihr seid zu spät. Was ist eure Ausrede?", "Es tut uns leid, Frau Niemann. Aber Miley hat sich gestern beim Sport verletzt und deswegen musste ich ihr heute früh dabei helfen die Tiere alle auf dem Hof zu versorgen. Ihr Vater ist nämlich für eine Woche weg und wir haben uns etwas verschätzt mit der Zeit. Wir haben zum Füttern länger gebraucht, als wir dachten." Frau Niemanns Blick fällt auf meinen Fuß, an dem die Schiene ist. "Na schön, Glück gehabt. Setzt euch." Timo und ich atmen beide erleichtert aus und er trägt mich zu meinem Platz. "Okay. Dann nehmt euer Buch heraus wir lesen Faust weiter. Ihr müsst mal schauen, auf welcher Seite bei euch die Szene vom Studierzimmer 2 ist. Die Bücher unterscheiden sich in den Seitenzahlen ein wenig." Ich hole mein Buch heraus und schlage die Seite auf. Aber eigentlich kann ich mich zurück lehnen und zuhören. Schließlich werde ich nicht zum Lesen rangenommen. "Timo, du liest Mephisto." Ich muss kichern und schriebe auf ein Blatt Papier Wie passend. Timo verdreht die Augen. "Lieber bin ich der Teufel höchstpersönlich als so'n hirnverbrannter Doktor, der sich auf einen Pakt mit dem Teufel einlässt." Erneut muss ich kichern. "Willst du uns nicht alle zum lachen bringen, Timo?", fragt Frau Niemann verärgert. "Lieber nicht. Wenn Sie wüssten, wie ich über den guten Doktor Faust rede, dann würden Sie mich Ohrfeigen.", antwortet Timo. Die Klasse lacht darüber und selbst Frau muss etwas schmunzeln. "Nun gut, dann los jetzt. Wir haben heute nicht viel Zeit."
Im letzten Block ist Mathe angesagt und ich muss ganz ehrlich sagen, dass der Unterricht mit Herrn Reus nur halb so langweilig ist wie der mit Frau Waag. Es war immer eine Qual für uns alle, auf einem Mittwoch in der siebten und achten Stunde Mathe zu haben. Aber Herr Reus gestaltet das alles relativ locker und lacht selbst über die dummen Sprüche von Timo und Rico. "Okay, Timo, komm nach vorne." Timo sieht ihn geschockt an. "Ich? Oh mein Gott. Ich werde versagen.", ruft er verzweifelt und wieder lachen alle. Er geht an die Tafel und sieht immer wieder unauffällig zu mir. Ich gehe die Gleichung durch und halte dann fier Finger hoch. "Hä?", macht er leise. Ich zeige noch einmal vier Finger hoch. "Ah.", macht er wieder leise und dreht sich zur Tafel. Als er zur Seite tritt kann ich nicht anders und muss irre laut lachen. Timo grinst mich dümmlich an und die anderen lachen auch. Herr Reus hingegen runzelt irritiert die Stirn. "Was soll das denn?", "Äh... Ich weiß nicht. Miley hat gesagt, dass das die Lösung ist.", stammelt er gespielt. Mir ist klar, dass er nur so tut aber Herr Reus scheint zu glauben, dass Timo wirklich so dumm ist. "Mann! Wenn Miley vier Finger zeigt, dann schreib eine Vier an und nicht eine Hand, die vier Finger zeigt, du Spasst!", ruft Rico von hinten. Wieder muss ich lachen und Timo grinst. "Meine Klasse ist schlimmer als eine Horde Affen.", "Sie sind nicht der erste, der das sagt, Herr Reus.", versucht Luca in aufzumuntern. "Na schön. Vier ist aber richtig. Das hast du sehr schön gemacht, Timo." Timo grinst und wackelt mit den Augenbrauen auf und ab, während er sich auf seinem Stuhl zurück lehnt. Es klingelt und alle packen ihr Zeug zusammen. "Miley? Ist es schlimm, wenn du mit dem Bus fahren musst? Meine Mutter verlangt nach mir.", seufzt Timo und sieht auf sein Handy. Ich schüttle lächelnd den Kopf und er küsst zum Abschied meine Wange. Als ich endlich mein Zeug in meinem Rucksack verstaut habe, hieve ich ihn auf meinen Rücken und nehme meine Krücken. "Wie kommst du nach Hause?", fragt mich Herr Reus plötzlich. Ich schlucke schwer. Mein Handy ist in meinem Rucksack. Also gehe ich langsam zur Tafel und schreibe Bus an. "Mit dem Bus? Das ist mit deinem Fuß doch viel zu gefährlich. Komm mit mir, ich fahre dich." Sein ernst? Ich sehe ihn überrascht an. "Na komm.", lächelt er und geht voraus. Ich folge ihm nach draußen zu seinem Auto. Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Es ist irgendwie komisch. Herr Reus packt meine Krücken auf die Rückbank und ich steige vorne ein. Ich habe ihm gegenüber ein so starkes Vertrauen, dass es mir fast Angst macht. Ich fühle mich so sicher in seiner Gegenwart. Das war gestern schon so. Er steigt ein und startet das Auto. "Hier kannst du deine Adresse eingeben. Damit ich weiß, wo ich hin muss." Er deutet auf das Navi in der Mitte. Ich nicke und gebe meine Adresse ein. Herr Reus fährt los und befolgt die Anweisungen der Navitussi. "Du hast unglaubliche Augen, Miley. Ich habe noch nie so ein derart kräftiges Grün als Augenfarbe gesehen. Von wem hast du sie geerbt?", "Von meiner Mum.", schießt es aus mir heraus und ich halte mir vor Schreck die Hand vor den Mund. Wie ist das möglich? Ich antworte nie jemandem, der nicht mein Dad oder Timo ist. Das ist mir ja noch nie passiert. Herr Reus lächelt überrascht. "Du hast eine schöne Stimme." Okay was wird das hier? Das ist verdammt gruselig! Wieso rede ich mit diesem Mann? Ich habe immer versucht mit jemandem zu reden. Aber es hat nie geklappt. Und jetzt so etwas. Ich kann mir das nicht erklären. Ich nehme meine Hand von meinem Mund und schlucke. Los, Miley, rede! "Danke.", kommt es leise aus meinem Mund. Ich kann es gar nicht glauben! Ich rede! Herr Reus lächelt breit und fährt auf unseren Hof. "Wow. Das ist aber groß. Wie viele Tiere habt ihr?" Das ist meine Chance. Ich muss weiter mit dem Mann reden, vielleicht bin ich geheilt. "Eine Katze, zwei Hunde, zwei Pferde, vier Kühe, vier Gänse, sechs Schweine, fünfzehn Enten, dreizehn Hühner, fünfzehn Tauben und zwanzig Kaninchen, da wir gerade drei Zippen mit Nachwuchs haben.", sprudelt es einfach aus mir heraus. Das ist unglaublich! Ich grinse breit und Herr Reus grinst zurück. Ich rede. "Brauchst du Hilfe beim versorgen der vielen Tiere?" Ich nicke. "Okay, dann mal los. Ich helfe dir." Lächelnd steigt er aus. Er hilft mir? Cool, dann kann ich noch mehr reden. Aber vielleicht nerve ich ihn dann. Egal. Ich rede mit jemandem, der nicht mein Dad oder Timo ist. Wie geil ist das denn?

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Mein Lehrer
Hayran Kurgu"Wieso glaubst du, dass wir das hinbekommen?", "Weil ich dich liebe, Miley." Miley ist ein normales Mädchen, das im Schulstess steckt. Und so wie alle anderen findet auch sie ihren Mathelehrer toll. Mit seinen 26 Jahren ist er auch nur 9 Jahre älte...