Schottland

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„Miss wachen Sie auf." Wie? Wo? Ich musste wohl eingeschlafen sein. Verschlafen rieb ich mir meine Augen und blickte der jungen Frau ins Gesicht. „Tut mir leid." nuschelte ich der Stewardess entgegen. Ich packte meine sieben Sachen zusammen und verließ eilig das Flugzeug. Es war mir etwas unangenehm, noch nie war ich in einem Flugzeug eingeschlafen und hatte dabei verschlafen.
Draußen war es noch dunkel, dennoch allein die Luft roch nach Freiheit. Immernoch konnte ich es nicht glauben, hier zu sein. Weshalb ich fasziniert durch die Ankunftshalle des Flughafens lief, was bestimmt bescheuert aussah.  Ich war gut gelaunt und vor allem war ich zuversichtlich. Ich blickte zum ersten Mal in meinem Leben in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit, zumindest für einen kurzen Moment.
Ich setzte mich in das erste Taxi, das mich empfing, als ich den Flughafen verlassen hatte. Gab dem Fahrer, die Adresse meines Hauses und beobachtete, die in Lichter gehauchte Altstadt.
Die Fahrt dauerte erstaunlicherweise eine halbe Stunde, obwohl ich diese um einiges länger in Erinnerung hatte.
Als das Taxi die Einfahrt passierte, war der Himmel bereits in die Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne gehaucht. Da ich die letzten Meter zu Fuß bewältigen wollte, dankte ich dem Taxifahrer und gab ihm sein Geld. Der Anblick, der sich mir bot, war überwältigend. Hinter meinem Haus erstreckten sich die Highlands, die in ein zartes Rot getaucht am Horizont zu sehen waren.
Fuß vor Fuß setzte ich meinen Weg bis zur Haustür zurück, doch bevor sich die diese schließlich aufsperrte, zögerte ich. War ich schon bereit dazu? Bereit für ein neues Leben? War ich dafür gewappnet? Würde ich das alleine schaffen? Die Unsicherheit in mir wuchs mit jeder Frage, die mir in den Sinn kam. Hatte ich richtig entschieden? „Lia, natürlich hast du das. Du musst ihn vergessen." flüsterte ich mir etwas Mut zu. Hoffentlich würde ich Andreas vergessen können, auch wenn ich das schon oft versucht hatte. Irgendwann müsste es doch funktionieren? Ich hasste meine Auf und Abs in Sachen Gefühle. Schließlich steckte ich den Schlüssel fest entschlossen, dass jetzt alles gut werden würde, in das Schloss.
Vertrautheit durchflutete mich, als ich das kleine Cottage betrat. Es war nur spartanisch und kurzfristig eingerichtet worden, weswegen nur das Wichtigste vom wichtigsten vorhanden war. Ich musste unbedingt später wieder in die Stadt um Möbel zu kaufen, damit ich es mir so richtig heimisch machen konnte. Doch bevor dies passieren konnte, wollte ich erst noch ein bisschen Schlaf nachholen. Mein Schlafzimmer bestand zwar nur aus einer Matratze, die lieblos auf dem Boden lag. Aber nichtsdestotrotz, seinen Zweck gut erfüllte. Das Wichtigste hatte ich natürlich wieder vergessen. Ich brauchte dringend Klamotten, denn ich konnte nicht ewig in meinen jetzigen leben.
Seit einer gefühlten Ewigkeit, besser gesagt seit mehr als neun Stunden bummelte ich durch Edinburgh. Überfüllt mit Tüten, in denen sich alles Mögliche befand. Von Kleidungsstücken bis hin zu Accessoires, die den Wohnraum verschönern und ihnen einen persönlichen Touch verleihen sollten. Meine Möbel hatte ich mir liefern lassen. So  ganz ohne Auto hatte ich diese auch nie zu mir nach Hause bekommen. Das war eine Sache der Unmöglichkeit.
„Miss, kann ich Ihnen helfen?" eine dunkle Stimme erklang. Doch da ich keine Ahnung hatte aus welcher Richtung diese kam, drehte ich mich einmal um meine eigene Achse. Nur um einen Mann der hinter mir stand mit meinen Taschen zu schlagen. „Oh Gott, das tut mir leid." merklich stieg mir die Röte ins Gesicht. „Das wollte ich nicht." nuschelte ich, doch als Antwort bekam ich ein herzhaftes Lachen. „Das macht doch nichts.", der Blauäugige vor mir blickte mich freundlich an. „Darf ich mich vorstellen, ich bin Jamie." Jamie, Jamie, Jamie, dieser Name kam mir bekannt vor. „Ihr Nachbar." lächelte er. Natürlich, am liebsten hätte ich mir einmal mit der flachen Hand gegen die Stirn geklatscht. Nur leider war dies durch die Masse an Taschen nicht möglich.
Damals, als ich mein Haus gekauft hatte, war ich ihm schon einmal begegnet. Doch ich hatte diese Tatsache, diesen Vorfall irgendwie vergessen. „Dürfte ich dir behilflich sein? Ich kann mir nicht länger anschauen, wie sie sich quälen." sagte er und strich sich dabei über den Hinterkopf. „Ja, ja das wäre echt nett." antwortete ich, nachdem ich mich wieder gefangen hatte. „Also, wenn du willst kann ich dich auch gerne mit nehmen. Ich hab jetzt Feierabend und nun ja, wir haben schließlich den gleichen Weg." zwinkerte mir der Schotte mit den hellbraunen Locken zu und nahm mir alle Taschen, bis auf meine Handtasche, ab. Für ihn war es bereits beschlossene Sache, dass er mich mitnahm, weshalb ich einwilligte. So sparte ich mir wenigstens das Geld für ein Taxi.
„Sophia, jetzt bin ich aber neugierig." grinste er, blickte aber dennoch auf die Straße. „Was verschlägt dich nach all den Jahren wieder hier her?" „So einiges, ich brauchte ein wenig Abstand." sagte ich schulterzuckend und blickte auf meine Hände. Die Kälte, die dabei in meiner Stimme lag, hatte mich selbst erschreckt. So kannte ich mich gar nicht. „Oh, das klingt aber nicht gut." stellte Jamie fest, bohrte aber nicht weiter nach, weshalb ich ihm wirklich dankbar war.
„So, dass wars." der blauäugige Schotte rieb sich erfreut seine Hände, nachdem er alle Einkaufstaschen abgeladen hatte. Mit einem „Wenn etwas ist, du weißt ja, wo du mich finden kannst." war er auch schon verschwunden, bevor ich auch nur Danke sagen konnte. Dieser Mann war wirklich merkwürdig.

By your side || EhrlichBrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt