Beweg dich nicht

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„Wie geht es Ihnen Frau Wolf?", fragte mich eine Krankenschwester, als sie das Zimmer betrat.
Zunächst wurde ich in der Notaufnahme nicht ernst genommen. Sie wollten mich nach Hause schicken. Erst als Chris der Kragen geplatzt ist und ich fast zusammen gebrochen war, wurde ich behandelt.
Dem Baby ging es zum Glück gut, soweit dies mit dem Ultraschall ersichtlich gewesen war.
Ich jedoch hatte einen kleinen Schwächeanfall in Folge eines Nervenanfalls erlitten, weshalb ich an einer Infusion hing.
„Es wird besser.", müde versuchte ich mir ein Lächeln abzuringen.
Draußen war bereits die Sonne aufgegangen und tauchte das Krankenzimmer in verschiedene Gelbtöne.
Doch ich hatte bis jetzt kein Auge zugetan. Meine Gedanken nagten immer noch an Andreas.
Chris hatte recht, ich sollte ihm von meinem kleinen Geheimnis erzählen, ihn einweihen.
Doch ich hatte Angst davor, wie er reagieren würde. Ganz offensichtlich hatte er im Moment andere Schwierigkeiten, die ihn wesentlich belasteten.
Ich konnte ihm nicht noch mehr Bürden auftragen. Er hatte sowieso schon genug mit mir.
„Das ist gut, ich werde später nochmal nach ihnen schauen.", sagte die Krankenschwester, nachdem sie meine Infusion gecheckt hatte.
„Danke.", leicht nickte ich, ehe sie auch schon zur Tür raus war.
„Klopf, Klopf. Darf ich eintreten?", fragte Chris wenig später und steckte dabei seinen Kopf in das Zimmer.
„Natürlich.", kicherte ich und nahm freudig den Kakao entgegen, den er mir mitgebracht hatte.
Die halbe Nacht, war er bereits mit mir im Krankenhaus. Ich wollte ihn nach Hause schicken. Doch da Rebecca bereits gestern Abend nach Bayern zu ihren Eltern gefahren war und er somit sowieso alleine gewesen wäre, lehnte er jeglichen Versuch mit einem „Ich lass dich nicht alleine!" ab.
Er setzte sich neben mich auf einen Stuhl und schlürfte genüsslich seinen Kaffee.
„Und gibt es Neuigkeiten?", fragte ich und blickte Chris dabei neugierig an.
„Wenn du meinst das mein Bruder mich gefühlte hundert Mal versucht hat zu erreichen und mir genauso oft auf das Band gesprochen hat, dann ja.", dabei zog er sein Handy aus der Hosentasche, tippte ein wenig darauf rum und öffnete schließlich eine Voicemail.
„Verdammt Chris, dass ist der vierzigste Versuch dich zu erreichen, geh endlich ran, ich habe Scheiße gebaut. Wir haben uns gestritten. Bei mir sind die Sicherungen durchgebrannt. Ich habe überreagiert und sie ist verschwunden. Sie ist weg, ich hab die ganze Nacht nach ihr gesucht. Doch ich kann Lia nirgends finden.  Ich hab sie schon wieder verletzt. Verstehst du SCHON WIEDER. Ich hab das alles für Lia getan. Ich wollte sie doch nur beschützen und doch habe ich sie von mir gestoßen. Bitte ruf mich an wenn du etwas weißt."
Andreas Stimme brach und er begann unaufhaltsam zu schluchzen,
„Ich mach mir solche Vorwürfe, was wenn ihr was passiert ist? Das könnte ich mir nie verzeihen."
Danach brach die Massage mit einem herzzerreißenden Schrei und einem lauten Knacken ab. Er hatte sein Smartphone mit aller Wucht gegen die Wand geworfen, so hörte es sich zumindest an.
Mein Herz zog sich zusammen, das wollte ich nicht.
„Du solltest ihn anrufen, du solltest meinem Bruder sagen, wo du bist.", Christian nahm meine Hand und legte sein Telefon hinein.
Ja, er hatte recht. Ich wollte bereits seine Nummer in das Display tippen, doch Chris hatte dies bereits getan. Jedoch handelte es sich dabei um meine eigene.
„Wie du sicherlich hören konntest, ist er unter seiner Nummer nicht mehr zu erreichen. Und da du dein Handy bei deiner Fluch vergessen hast, ist das wohl die einzige Möglichkeit.", leicht schmunzelnd trank er einen weiteren Schluck seines Kaffees.
Das Chris in solchen Situationen einen klaren Kopf bewahren konnte, wunderte mich wirklich. Daran hätte ich nun wirklich nicht gedacht.
Es dauerte eine Weile, bis Andreas meinen Anruf annahm.
Ein trauriges „Chris endlich." schalte mir entgegen. „Christian, hallo bist du noch dran?", „Ja", „Lia?", „Ja", „Wo bist du?", „In Herford.", „Wo genau?", „Klinikum", kurz herrschte auf der anderen Seite der Leitung Stille.
„Beweg dich nicht von der Stelle. Ich liebe dich.", die letzten Worte unseres Gesprächs, ehe Andreas aufgelegt und seine raue Stimme einem monotonen Piepen gewichen war.

By your side || EhrlichBrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt