Nahtoderfahrung

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Eisern blickte ich auf meine in Andreas verschränkten Finger. Am liebsten hätte ich mich, in diesem Moment selbst geohrfeigt. Es hätte mir nicht rausrutschen dürfen. Die beiden würden mich für verrückt erklären und in die geschlossene Psychatrie einweisen.
Ich schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen.
Die Blicke meiner Gegenüber durchborten mich förmlich. Andreas wirkte nachdenklich und abweisend. Jamie hingegen runzelte die Stirn und strich sich ein paar mal nervös, sichtlich nach Wörter suchend, durchs braune Haar. „Es gibt ein Phänomen, die sogenannte NTE oder besser bekannt als Nahtoterfahrung. Es gibt unterschiedliche Berichte darüber, die weder belegbar noch wiederlegbar sind. Die menschliche Seele verlässt, den Körper und der Blick auf sich selbst und alle anderen Menschen, die bei dir sind werden sichtbar. Die Seele ist frei, kann sich frei bewegen. Diese Seelen haben die Möglichkeit sich von geliebten Menschen zu verabschieden. Andere sind wie in Trance bekommen alles mit, obwohl ihr Herz aufgehört hat zu schlagen. Dennoch sind sie gefangen in ihrem Körper und können nichts dagegen tun. Wieder andere sehen einen Tunnel, der ins Licht führt. Ein Licht, der für Erlösung steht. Viele Menschen sehen dort geliebte Menschen, die sie bereits verloren haben. Doch was alle gemeinsam haben, sie kommen zurück ins Bewusstsein, zurück ins hier und jetzt. Diese Menschen sind noch nicht bereit für den Tod. Ich bin immer der Meinung, das diese Menschen eine neue Chance für ein besseres Leben bekommen haben. Und vor allem denke ich, dass sie noch gebraucht werden." Jamie wirkte nach diesen Worten befreit. So als wären sie eine Last für ihn gewesen. Doch es war die Tatsache, dass er mich nicht verloren und vor allen nicht aufgeben hatte. Der Schotte glaubte fest daran, das war ihm, an seinen leuchtenden Augen, deutlich anzusehen. Eine Tatsache die mich irgendwie beruhigte. Er schenkte mir Mut und Hoffnung. Hoffnung auf besseres Leben. Auf ein Leben mit Andreas und den Kindern. Ein Leben in dem wir unsere eigene kleine Familie gründen würden.
„Lia egal was geschehen ist, ich will einfach das du weißt, wie sehr ich dich liebe. Ich will dich nie wieder verlieren. Ich will das du weißt, dass wenn dir was passiert wäre, das ich das nicht überlebt hätte. Ich kann und ich will nicht mehr ohne dich leben. Und ich weiß auch, das dies das wohl unromantischte sein wird, das dir jemals passiert ist." Andy lächelte mich schüchtern an, seine Augen strahlten eine Wärme aus. „Aber ich kann und ich will nicht länger warten." Andreas stand auf, nicht dabei jedoch meine Hand los zu lassen und kniete sich vor mich auf den Boden. „Sophia Wolf, ich frage dich hier und jetzt. Willst du meine Frau werden und den Rest deines Lebens mit mir verbringen?"
Ich musste nicht lange überlegen, natürlich wollte ich das.
Machte er gerade Scherze? Das ist das romantischste, das mir je passiert war. Und der Moment war einfach perfekt. Ein leises schluchzern entfuhr meiner Kehle. Es war das erste Mal seit langem, das ich Freudentränen vergoß. „Ja mein Schatz, ja ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen."
Seit dem ich meinen Schatz kannte, war es mein allergrößtet Traum gewesen, der jetzt in Erfüllung gehen würde.
Ich hatte meine OP, abgesehen von meinem kurzzeitigen Herzstillstand, gut überstanden. Jetzt galt es nur noch abzuwarten, ob mein Körper, das Spenderherz annehmen würde.
Andy war bei mir und trotz der leichten Schmerzen, die ich trotz der Schmerzmittel spürte, war ich glücklich.
Andy gab mir einen Kuss auf die Stirn, denn mehr war mit seiner Grippe nicht möglich. Dennoch genoss ich einfach den Moment.
Jamie war sichtlich gerührt, denn auch wenn er versuchte es möglichst zu kaschieren, konnte ich seine feuchten Augen deutlich erkennen.
„Jamie." Andy stand auf und ging in Richtung des Chirurgen. „Danke, ich weiß nicht wie ich dir jemals genug dafür danken könnte, für das was du getan hast. Ohne dich wäre." Andreas schluckte merklich, ehe er fortführ. „Ohne dich wäre mein Sternchen nicht mehr am Leben, deshalb wollte ich fragen ob du mein Trauzeuge werden willst." Der Arzt schien nicht lange zu überlegen, er blickte einmal kurz zu mir und ich lächelte ihn freudestrahlend an. Jamie, war mir in letzter Zeit, als guter Freund so ans Herz gewachsen, dass ich ihn gar nicht mehr missen wollte.
Mit einem „Andreas, das wäre mir eine sehr sehr große Ehre." zog er meinen Verlobten in eine freundschaftliche Umarmung.

By your side || EhrlichBrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt