Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 19

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Sophia hat es sich nicht nehmen lassen, sich in Ruhe umzuziehen. Sie hätte gern ihre Schwester mitgenommen, aber Anna hat versprochen, Melissa bei etwas zu helfen. Also ist sie allein hier. Nun, nicht ganz. In der Frauenumkleide fehlen schon wieder einmal zwei Spintschlüssel, also ist sie hier immerhin nicht die einzige Frau. Ob sie wohl freiwillig hier sind oder auch wegen einer Strafarbeit?
Sie fragt sich, was an Schwimmen aller ein paar Tage eine Strafe sein soll. Es ist eher eine erzwungene Belohnung, aber sie muss den alten Sack nicht verstehen. Schwer ausatmend schließt sie den Spint ab, in welchen sie ihr Hab und Gut mehr oder weniger ordentlich zusammengelegt hat. Organisiertes Chaos nennt sie so etwas.
Sie geht ihre ersten Schritte Richtung Schwimmhalle. Verblüfft blickt Sophia sich um und bindet ihr schwarzes Haar nebenbei zusammen. Ein Palast, der hier errichtet wurde. Anders lässt es sich nicht in Worte fassen. Wenn sie das jemanden erzählt, würde ihr keiner glauben, so prunkvoll ist es hier gestaltet.
Auf der Bahn schwimmt ein Mädchen, dass sie nicht kennt und bei den Sprungblöcken unterhalten sich Lautstark irgendwelche Jungs aus dem Jahrgang unter ihr. Sie schaut ihnen kurz einige Minuten zu, wie sie versuchen herauszufinden, wer die beste Arschbombe hinbekommt. Ein so friedlicher Ort. Wären die Jungs nicht hier, dann wäre es hier beinah totenstill und man könnte selbst die leisesten Schritte ihrer zarten Füße hören. Sie wendet ihren Blick ab. Drei Stunden. Sie war sich sicher, dass Sheppard seine Augen überall hat, oder auch nicht. Wer weiß das schon.
„Na dann wollen wir mal." Instinktiv läuft sie zu der Bahn, an der auch Fina gestern ihren Sieg sich abholte. Langsam lässt sie erst ihre Füße in das Wasser gleiten, ehe sie einmal komplett untertaucht, um sich an die Temperatur zu gewöhnen. Es ist weder kühl, noch zu heiß oder gar lauwarm. Es ist einfach angenehm, entspannend, geradezu perfekt. Sie wünscht, sie könne es besser in Worte fassen, aber sie ist noch nie eine sonderlich gute Wortakrobatin gewesen. So zieht sie ihre Bahnen mit Burstschwimmen, immer weiter und weiter.
Hier war Fina entlang geschwommen. Sie hofft still und heimlich, einen Duft oder ein rotes Haar von ihr zu finden, aber Fehlanzeige. Sie schwirrt in Gedanken, ehe sie kurz eine Pause einlegt. Sie setzt sich dazu an den Beckenrand und lässt ihre Füße und einen Teil ihrer Beine im Wasser treiben. Wenn ihre Seele doch nur so ruhig wäre, wie das Wasser. Aber es ist wohl so aufgewühlt, wie die Arschbomben nebenan. Warum muss sie es nur so schwer haben? Ausgerechnet sie? Manchmal hat sie so die Ahnung, dass alles, was sie auf der Ebene der Gefühle verletzt, nur sie trifft. Doppelt so hart wie jeden anderen.
Sie wird aus ihren trüben Gedanken gerissen. Die Jungs lachen laut auf, andere geben einem kräftigen jungen Mann Zuspruch. Sie kann leider nicht erkennen, was da vor sich geht, sie stehen alle mit dem Rücken zu ihr. Und sind ziemlich groß. „Also nochmal für mich. Wir schwimmen um die Wette, acht Bahnen, heißt achtmal hin und wieder zurück. Wenn du gewinnst, darfst du mich hauen und wenn ich gewinne darf ich...?"
„Ja du hast schon richtig verstanden. Dann gehöre ich dir für ein paar Stunden. Du bekommst ja auch Vorsprung, schließlich war ich ja die Schnellste gestern. Sagen wir, drei Bahnen?" Die Meute lacht wieder laut auf, einer schüttelt den Kopf und entfernt sich, als wolle er damit nichts mehr zu tun haben. „Na gut, da sag ich nicht nein. Ich bin rein zufällig auch im Schwimmverein."
Sophia klappt der Mund auf. Nein. Nein. Das kann einfach nicht wahr sein. Sie verlässt nun komplett das Becken und stellt sich hin, um einen Blick auf das Spektakel zu erhalten.
Sie kommt sich vor, wie in einem Horrorfilm, wo der Serienkiller immer wartet, egal wo sie hingeht. Warum muss sie IMMER dort sein, wo sie gerade ist. Wenn das so weitergeht, muss sie sich einen Psychiater suchen wegen Wahnvorstellungen oder Verfolgungswahn.
Der junge Mann mit einem schnellen Sprung herein, während Fina ihn entspannt beobachtet. Von allen Seiten wird er angefeuert. Sophia drückt Fina die Daumen, jedoch ohne laut zu rufen. Das andere Mädchen, das im Becken geschwommen ist, gesellt sich zu der Masse an neugierigen Zuschauern hinzu.
„Verdammt ist der flink," fällt Sophia auf. Zwei Bahnen. Verdammt, Fina beweg dich, oder willst du mit Absicht verlieren?
Der Gedanke daran sticht in ihrem Herzen wie eintausend kleine Nadeln. Zweieinhalb Bahnen Vorsprung. Fina schaut auf ihre Fingernägel.
Drei Bahnen Vorsprung. Fina schießt geradezu kerzengerade aus dem Stand hinein und beginnt, den Vorsprung deutlich zu verkleinern.
So schnell hat sie noch keinen gesehen. Sie bewegt sich wie ein Hai, als wäre das Wasser ihr Herrschaftsgebiet, ihr Element, ihre Heimat. Der junge Mann befindet sich auf der fünften Bahn, da hat Fina ihn eingeholt.
Die Masse der anfeuernden verstummt schließlich, als Fina sich gemütlich an den Beckenrand setzt, während ihr Konkurrent eine halbe Minute später eintrifft und sich schwer atmend aus dem Becken erhebt und auf den Boden kracht. Sein Burstkorb hebt und senkt sich vor Anstrengung, während Fina, die mittlerweile sich auch erhoben hat, entspannt dasteht, als wäre nie etwas passiert. „Was ist? Schon aus der Puste? Hast du nicht vorhin noch große Töne gespuckt und dir Fantasien zusammengezimmert, was du mit mir anstellen würdest, hätte ich verloren? Du hattest zweieinhalb Bahnen Vorsprung. Zweieinhalb. Deine Niederlage ist mehr als erbärmlich. Steh auf."
Sophia würde am allerliebsten schreiend wegrennen. Fina verspottet ihren Gegner nicht nur, ja, sie macht ihn geradezu platt. In Finas Augen brennt ein unheimlicher Zorn, ein Inferno des Hasses. Zögernd steht er auf und schaut Fina in die Augen.
„Bereit deine Schuld einzulösen?" Finas rechte Hand legt sich auf seine linke Schulter. Sie sucht den richtigen Halt, ehe sie zudrückt. Der Junge schreit vor Schmerz auf und geht auf die Knie. Ein verzweifelter Versuch, Finas Hand abzuschütteln, gelingt ihm nicht.
„Wenn du noch einmal mich auch nur so ansiehst wie vorhin oder auch nur in irgendeiner Art Kopfkino mit mir hast oder jemand anderem in meiner Umgebung, machen wir den Spaß hier jeden Tag. Hast du das kapiert?"
„Ja verdammte Scheiße. Lass bitte los Bitte." In dem Satz steckt der Schrei nach Erlösung von dem Schmerz, was Fina ihm gewährt. Daraufhin helfen seine Freunde ihm auf. „Alter komm, wir verschwinden. Ich will nicht in der Nähe dieser durchgeknallten Schlampe sein."
„Hexe," faucht einer sie an. Schnellen Schrittes entfernen sie sich. Dem anderen Mädchen wurde es anscheinend auch zu gruselig, sie ist ebenfalls nicht mehr sichtbar.
Und Sophia? Sie steht einfach da. Nicht ganz sicher ob sie vor Fina wegrennen soll oder in ihre Arme soll. Es hat ihr etwas Angst gemacht. Die Art und Weise empfand sie als ziemlich brutal.

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