Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 47

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Cloe ist schon fleißig am Ausschenken. Sie mixt Cocktails,
erfüllt fleißig die Bestellungen von Bier oder befriedigt einfach das durstige Bedürfnis einiger Leute. „Da ist dein Long Island Iced Tea." Ein junger Kerl mit einer jungen Frau bedankt sich nett bei ihr und verschwindet dann zu einer der gemütlichen Sitzecken.
Und weiter geht's. Sie hatte mal angefangen zu zählen, wieviel sie täglich ausschenkt, aber das hatte sie schon längst aufgegeben. Immer wieder vergisst sie das mitzählen, da sie die Musik oder nette Kundschaft ablenkt. Wenige bleiben an ihrer Theke sitzen und wenn, dann unterhalten sie sich untereinander. Auch wenn es jede Nacht vorkommt, dass man sich mit ihr unterhält, sind es doch nicht viele. Manche wollen freundlich plaudern, andere klagen ihr Leid und wieder andere wollen wissen, was in diesen Cocktails alles steckt. Cloe kennt alles auswendig. Dieser Job ist perfekt für sie. Es bereitet ihr unheimlich viel Freude, die Bezahlung ist nett und alle sind unheimlich nett, beinah wie eine kleine Familie, die sie nie hatte.
Einige behaupten, so ein paar Cocktails und ein bisschen Bier bereit stellen sei keine Kunst und leicht verdientes Geld. Beim Bier bereit stellen stimmt sie zu. Cocktails anzufertigen benötigt Übung, Feingefühl, um keine Pampe oder zu viel Rum hineinzuschütten. Diese Fertigkeiten hat sie gemeistert, worauf sie sehr stolz ist. Zur Hölle mit der Uni und der Akademie, sie würde hier eine Festanstellung bekommen, das ist eine Tatsache, die sie auch liebend gern annimmt. Ein weiterer Cocktail aus ihrer Hand. Es ist ein schöner Anblick, wenn sich die Gäste an ihren Werken erfreuen und mit einem Lächeln ihr die leeren Gläser wiedergeben. Nebenbei versucht sie, den Abwasch, der dabei anfällt, so gut es geht zu säubern, aber sie hat genug Gläser für eine halbe Armee, dass reicht immer.
Der DJ spielt gerade etwas elektronische Musik, allerdings nicht solche, bei denen man sich vor lauter Lautstärke und Beats gar nicht mehr auf die Melodie konzentrieren kann. In diesem zusammengemischten Song steckt trotzdem die nötige Energie, die einem zum tanzen mitreißt, aber darin hört man auch das Mystische, dass diesen Ort umgibt. Solche Momente liebt sie. Etwas Zeit für sich haben, sich von der Musik treiben lassen, es ist einfach nur verzaubernd. Niemand wird bei ihr etwas bestellen, wenn gespielt wird, was diesem Club seine besondere Magie verleiht.
Es vergehen einige Minuten, in denen sie die Augen schließt und sich wie fast jede Nacht treiben lässt, ehe sie wiedererwacht oder von Kundschaft geweckt wird. All ihre Gedanken verschwinden, sie befindet sich fast wie in einer Trance. Ihr sechster Sinn lässt sie wiedererwachen. Jemand ist in ihrer Nähe und hat wahrscheinlich Platz genommen.
Langsam öffnet sie ihre Augen wieder und versucht, in die Realität zurückzukehren. „Eine herrliche Nacht, nicht wahr?" Sie ist es wieder. Die Eigentümerin des Clubs, ihre Vorgesetzte in schwarzen Kleid. Doch heute trägt sie keinen Schleier. Ihre Haut ist hell und blass wie der Mond. Sie hat ein recht schmales Gesicht, dafür aber hohe Wangenknochen und lange, dunkle Wimpern, die schwarz aufleuchten. Ihre Lippen sind auffällig rot gefärbt. „Ja, das kann man wohl so sagen." In Cloe breitet sich angenehme Wärme aus, die von ihrem Herzen aus strömt. Sie kann nicht leugnen, dass sie eine gewisse Sympathie für diese Frau empfindet. Es würde aber ziemlich blöd aussehen, wenn sie etwas mit ihrer Chefin anfangen würde...
Sie fragt sich gerade verwundert, wieso in letzter Zeit alle ihre Freundinnen, inklusive sie, durchdrehen. Für Sophia empfindet sie Freude, dass sie endlich herausgefunden hat, wie sie empfindet und dass sie diesen Umstand akzeptiert hat. Es ging los, als sie Fina das erste Mal ansah.
Melissa, welche die Ruhe und Schüchternheit perfektioniert hat, verwandelt sich in das genaue Gegenteil. Was würde wohl demnächst noch passieren? Wenn sie schon mitgeteilt hat, dass sie Fina nicht unbedingt liebt, aber Interesse an ihr hat... Das ist nicht die Melissa, die sie kennt. Kein Mensch, kann sich binnen ein paar Tagen so radikal verändern.
An Anna hat sie nichts beobachten können. Sie ist auch die einzige, die zu 100% weiß, was sie möchte und wer sie ist.
Und dann ist da noch sie selbst. Selbst betrunken hätte sie nicht angefangen, wegen einer x-beliebigen Frau zu Tanzen und sich schick zu kleiden, nur um Eindruck zu hinterlassen. Es konnte auch so gut dummer Zufall sein, aber sie kann nicht erklären, was diese gravierenden Veränderungen erzeugt hat. Fina? Ihre Vorgesetzte oder eine geheimnisvolle äußere Kraft? Sie glaubt eigentlich nicht an Hokuspokus, aber wie lässt sich so etwas erklären?
Sie wehrt sich gegen den Gedanken, nicht wieder auf Flirts oder Sonstiges ihrer Chefin zu reagieren, aber ihr ganzer Körper wehrt sich dagegen.
„Mir gefällt dein neuer Style sehr." Sie lehnt sich über die Theke, um ein komplettes Bild von Cloe zu bekommen. „Du siehst schön aus Cloe. Bezaubernd wie immer. Bist du heute in Stimmung zum Feiern?"
Erst heute fällt Cloe ihr bronzefarbenes, lang gewelltes Haar auf, welches ihren Rücken herunterfällt. Sie ist vielleicht Anfang dreißig, so alt sieht sie zumindest noch nicht aus. „Es gefiel mir einfach und ich muss mal etwas Neues ausprobieren. Man fühlt sich gleich etwas wohler." Ob ihr der Versuch gelang, es wie eine Stilerneuerung zu verkaufen oder nicht, um damit Aufmerksamkeit zu erlangen, bezweifelt sie. Aber was soll schon schiefgehen? „Wie auch immer, mir gefällt es ebenso wie dir." Der abtastende Blick entgeht Cloe keinesfalls, sie würde aber nicht behaupten, dass sie einen Deut besser wäre. „Magst du was trinken", flüstert Cloe völlig verzaubert. Es scheint andersherum nicht besser zu sein. „Nein, nein. Alles in Ordnung." Ihr gefällt der Gedanke, dass sie jemanden den Kopf verdrehen kann, es wärmt ihr Herz mehr den je. „Bruce wird kurz deinen Dienst hier übernehmen. Du kommst mir mit. Es gibt etwas zu besprechen."
Cloe schluckt bitter. Das klingt jetzt nicht mehr wirklich sehr nach Romantik. War das etwa ein Test und sie ist darauf reingefallen? Hatte sie tatsächlich ihren Job gerade so gut wie verloren, nur weil sie sich nicht beherrschen konnte? „Komm, los geht's." Cloe verlässt ihre vertraute Barumgebung und folgt ihr schnellen Schrittes. Ein kurzer Wortwechsel zwischen ihr und Bruce, der die Treppe zum Büro der Chefin bewacht, und die Sache war geregelt. Er geht seiner neuen Aufgabe nach und klopft Cloe mitfühlend und viel Erfolg wünschend auf die Schulter. Er hat wahrlich Mitgefühl mit ihr.
Jeder Schritt auf der metallenen Treppe lässt ihr Herz vor Angst schneller schlagen. Sie wünscht sich gerade, woanders zu sein.
Sie öffnet die Tür zu dem Ort, von dem sie alles steuern kann. Von außen sieht das ganze aus, wie ein Baucontainer, von innen wie eine halbe Luxuswohnung, auch, wenn nur spärlich eingerichtet. Eine lilafarbene Sofaecke mit Tisch steht in der einen Ecke ohne sonstige Verzierungen.
Cloe kann von hier aus alles im Club überblicken. Es ist also einer dieser speziellen Fensterscheiben, wie sie in Verhörungsräumen genutzt werden. Sie kann zwar nach außen schauen, aber von der Tanzfläche kann man nichts im Büro sehen.
Am Fenster steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Laptop darauf und einem Bürostuhl davor.
Ganz am Ende des Raumes steht noch ein Schrank mit ein paar Weinflaschen und ein paar Gläsern, an denen sich ihre Chefin bedient. Es muss besonderer Wein sein, den sie in das Glas schenkt, er ist dickflüssiger, als normaler Wein, den sie kennt. „Setz dich", befiehlt sie ihr schnippisch. Cloe nimmt auf dem Sofa Platz, gegenüber nimmt sie Platz. Erneut schluckt sie sie schwer. Was jetzt wohl passieren wird, ist sehr offensichtlich.
Das Glas wird ziemlich schnell leer und sie stellt es auf dem Tisch ab. Was auch immer das ist, es ist kein Wein, stellt Cloe im Monolog fest. Das Zeug klebt viel zu sehr am Glas und ist viel zu dickflüssig, außerdem sieht die Farbe weinrot nicht so aus. Sie könnte sich aber auch täuschen, denn ein kleines Deckenlicht färbt den Raum in hellrotem Ton, fast ein wenig romantisch.
„Wirst du mich rauswerfen?"
„Was? Dich? Rauswerfen?" Das Lachen hallt wieder, wie eine schöne Melodie. „Wieso sollte ich dich rauswerfen?" Sie lacht weiter.
„Ehm okay? Und wieso dann der strenge Ton? Und warum bin ich jetzt eigentlich hier?"
Nach dem kurzen Lachanfall erhält sie ihre Antwort. „Wie hätte ich dich den sonst hierherbekommen sollen?" Sie wechselt ihren Platz und nimmt neben Cloe Platz. Nah an Cloe, sodass sich ihre Beine und ihre Hüften berühren.
Die junge Barkeeperin schaut gerade aus, riskiert selten einen Blick zur Seite, aber wenn sie es tut, dann sieht sie den Blick ihrer Vorgesetzten, welche sie interessiert beobachtet. „Du darfst mich Eliza nennen, wenn du möchtest." Cloes Körpertemperatur ist deutlich gestiegen, ihr Herz pocht etwas zu heftig. Sie möchte am liebsten hier raus, bevor noch etwas geschieht, dass sie später bereut.
„O...Okay, Eliza?"
„Na siehst du, es geht doch." Beide schweigen sich eine Weile an, ehe es Cloe nicht mehr aushält. „Was wird das hier eigentlich, wenn es fertig ist?"
Eine kühle Hand legt sich auf ihr Bein und tausende ihrer Nerven fangen an zu kribbeln. „Das hängt ganz von dir ab, was du von mir möchtest. Ich hörte nur das Gerücht, dass du eine Festanstellung willst. Oder gibt es da noch etwas, was du mir mitteilen möchtest?" Keine Antwort.
Sie denkt schwer nach. Das muss also in Sophia vorgegangen sein, als Anna ihr erzählte, dass sie etwas durcheinander sei.
Tja, vor was hat Cloe eigentlich Angst? Was hindert sie daran, einfach jetzt diese Blockade fallen zu lassen?
Eliza scheint sie zu mögen und andersherum genauso, also was hindert sie daran?
„Vor was habe ich Angst" fragte sie laut hörbar.
Eliza spricht kein Wort. Warum ist Cloe hier? Hatte sie es sich nicht eigentlich gewünscht, tief versteckt in ihrem Herzen? Was hindert sie daran?
Dieses Mal dreht sich ihr ganzer Kopf zu Eliza, welche sie mit einem warmen Lächeln empfängt. Sie schließt automatisch die Augen, ehe sich die Lippen treffen und beide Herzen mehr als erwärmen. Was auch immer jetzt geschehen mag, darum konnte sich Cloe später noch sorgen. Jetzt zählt nur der Moment, und er wird noch magischer, als sich beide auf die bequeme Couch fallen lassen.

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