Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 22

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Die beiden Geschwister hocken gemeinsam auf dem Bett in Annas Zimmer. Das einzige Hintergrundgeräusch ist die leise gestellte Musik aus der schwarzen Szene. Sophia beobachtet ihre Schwester dabei, wie sie ihre Fingernägel schwarz lackiert.
„Anna. Ich muss dich mal was fragen."
„Schieß los. Was hast du auf dem Herzen?"
Sie spricht es schon an. Ungern wöllte sie erwähnen, dass sie furchtbar in Fina verschossen ist. Komisch, sonst hat sie doch jedes Detail immer mit ihrer Schwester geteilt. Sie fragt sich, wie das wohl kommen mag?
„Kennst du das, wenn du dich auf etwas so konzentrierst, dass es nicht mehr aus deinem Kopf hinaus will, egal was du tust? Es treibt einen in den Wahnsinn und lässt einen völlig Verrückt werden." Anna flucht kurz, als die mit dem Nagellack von ihrem Fingernagel abgekommen ist. Sie entschließt sich aber, ihre volle Aufmerksamkeit trotz des Ärgers den sie gerade verspürt, auf Sophia zu lenken. „Worauf möchtest du jetzt genau hinaus?"
„Ich...ich glaube ich..." Das Bild von Fina manifestiert sich wieder in ihren Gedanken. Ihr Herz fängt nur bei dem Bild im Kopf schon wieder wie wild zu flattern an. Anna zieht ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln. „Weiter?"
„Ich bin in eine Frau verknallt Sophia. In eine Frau. Ist das etwa normal? Mir sind Jungs auf einmal Scheiß egal geworden, unabhängig von meiner vorherigen Beziehung. Hat das etwa die ganze Zeit in mir geschlummert und... Warum überhaupt? Ich bin so durcheinander. Und dann geht mir ihr Gesicht nicht aus dem Kopf." Tränen fließen ihr Gesicht herab.
Anna deutet mit einer Geste an, dass sie sich auf ihren Schoß legen soll. Sie bekommt sogar noch ihren Hasen Flauschi, den sie seit Tagen hier liegen hat. Sophia schläft schon eine Weile bei ihrer Schwester. Jetzt weiß sie auch mit genauer Sicherheit warum.
Anna streichelt ihren Kopf und fährt durch ihre Haare. „Ach Sophia. Sowas ist doch gar nicht schlimm. Es ist vielleicht ein neues Gefühl für dich, aber es war tief in dir verborgen. Und ich kenne dich besser als jeder andere Mensch. Überleg mal. Wie viele Beziehungen hattest du jetzt schon mit Kerlen und wie oft ist es bei den nächsten intimen Schritten zu Bruch gegangen? Es hat nur in dir geschlummert und jetzt ist es erwacht aus jahrelanger Unterdrückung. Ich glaube, du weißt es schon eine ganze Weile, wolltest es aber nie akzeptieren. Erinnerst du dich noch an Laura, Sophia? Du hast ihr hinterhergestarrt, sie hat dir hinterhergestarrt und du warst mit einem Kerl zusammen. Und als ihr euch getrennt habt und sie fort war, warst du so am Boden zerstört, dass ich beinah geglaubt hätte, du würdest dir etwas antun. Du musst jetzt nur noch in deinen Schädel bekommen, dass das völlig normal ist und es wundervoll ist, dass du solche Gefühle hast. Du musst begreifen, dass an einer Beziehung mit einer anderen Frau nichts unnormal ist, auch wenn die Leute da draußen etwas anderes sagen. Je schneller du das in deinen Kopf bekommst, umso mehr Mut kannst du für Fina sammeln, verstehst du?"
Sophia weint. Weint vor Freunde. Sie hat so eine tolle Schwester, die immer für sie da wahr und heute noch immer für sie da ist. Sie hinterfragt auch gar nicht, woher sie über sie so genau bescheid weiß. Dafür kennt Anna sie viel zu gut. „Tu dir und mir einen großen Gefallen. Lass Fina nicht verschwinden, so wie Laura einst verschwand. Fina hat dein Herz in einer Größe eingenommen, die ich nicht verstehen kann. Aber wenn du sie wieder gehen lässt, dann wirst du diesmal daran zerbrechen. Vielleicht steht sie auch nur auf Kerle und mag keine Frauen, aber du musst es wenigstens versucht haben. Du brauchst Gewissheit. Und ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass sie auf Männer steht, so abfällig wie sie die meisten anblickt."
Es herrscht eine kurze Pause, in der nur die Musik und das Schniefen von Sophia zu hören sind. „Ich habe sie heute beim Schwimmen getroffen. Sie ist so wunderschön Anna." Jedes Wort, das Anna an Fina richtet, treibt ihr eine weitere Träne in ihr Auge, die ihr Gesicht herunterfließt. „Sie ist hübsch Anna. Alles an ihr. Was würde ich dafür geben, für nur einen Kuss oder eine Stunde mit ihr auf der Couch oder in einem Bett zu kuscheln. Ungestört, nur sie und ich. Ich möchte ihr Kosenamen zuwerfen, sie küssen, mit ihr Lachen und sie lieben bis in alle Ewigkeit. Ich sehne mich so sehr danach. Das Gefühl in mir ist so stark, ich habe so etwas noch nie erlebt oder kann es in Worte verpacken.
Sie ist einfach nur hübsch Anna, so schön. Was gäbe ich dafür, ihr zu gehören."
Anna sagt nichts, sie streichelt nur ihre Schwester liebevoll und hört ihr zu. Das erste Mal, seitdem sie zusammenleben, hat sie keine Ahnung, was in Sophia vorgeht. Ja, sie liebt Fina mehr als alles, was sie sich nur vorstellen kann. Aber sie kann die Gefühle absolut nicht nachvollziehen. Das erste Mal ist Anna nicht in der Lage, so auf ihre Schwester einzuwirken, wie sie es seit jeher getan hat.
„Sophia?"
„Ja?"
„Ich werde dich unterstützen, so gut es geht. Ich werde dich ermutigen, wenn du Angst hast sie anzusprechen und ich werde da sein, um dich im Notfall aufzufangen. Aber du musst Fina allein begreiflich machen, dass du sie liebst. Schaffst du das?"
Sie nickt nur. „Sehr schön. Ich würde vor allem Vorschlagen, dass du ab jetzt jeden Tag schwimmen gehst. Wenn sie dort ist, kommt ihr sicher wieder in ein Gespräch. Dort seid ihr auch größtenteils ungestört. Okay?"
Sophia nickt nur auf dem Schoß ihrer Schwester. Sie ist so froh, dass sie eine Schwester wie sie hat. Was würde sie nur ohne Anna anfangen? Sie wäre schon längst zerbrochen.

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