Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 70

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In dieser großen arabischen Stadt, dessen Name Fina vergessen hat, hockt sie sich an eine Mauer, den Kopf gesenkt. Sie hatte gemordet, getötet, Gemetzel hinterlassen, doch wozu? Gerechtigkeit? Ihr ist plötzlich nicht mehr ganz so klar, warum sie ein Schlachtfeld hinterlassen hat, aber das ist ihr egal. Sie hatte niemanden mehr. Sie würde niemals die Ziele erreichen, die ihre Mutter ihr aufgetragen hat, dazu war sie nicht bereit. Da sie nicht sterben kann, wartet sie einfach an dieser Mauer, irgendwann würde sie sterben, wenn sie kein Blut trinkt. Sie sitzt dort, sich nicht bewegend. Wie viel Sonnenaufgänge und Untergänge vergingen? Vielleicht zehn? Ihr Hunger nach Blut wurde immer größer, aber sie konnte sich beherrschen und unterdrückt diesen. An einem Tag, an welchem die Sonne wieder ihr Gesicht plagt, beachtet sie jemand. Die anderen Leute haben sie komplett ignoriert, aber jemand bleibt stehen? Sie unterhalten sich auf Arabisch, aber Fina spricht diese Sprache so wie viele andere fließend. „Was meinst du?" Eine ruhige Stimme redet mit ein paar anderen. Sie unterhalten sich kurz und Fina blickt genervt auf. Konnte man sie nicht einfach sterben lassen und sie in Ruhe lassen? Die kleine Truppe wurde angeführt von einem edlen, kräftigen Mann mit schwarzen, langen Bart, welcher ihm bis zur Burst reicht. Sein Kopf ist mit einem Turban geschmückt und seine Haut ist braun gebrannt von der gleißenden Sonne. Ein Haufen Wachen umringen ihn. Er unterhält sich aufgeregt mit einer Frau, welche in bunte Kleider gehüllt ist. Nur ihr Gesicht ist sichtbar, allerdings blockieren die Wachen den Blick auf ihr Gesicht. Außerhalb dieses Kreises stehen weitere Begleiter, die von einer Wache geschützt werden. Es sind drei Frauen. Sie alle sind ziemlich knapp begleitet und schauen aus, wie Dienerinnen. Sie tragen alle dieselbe Kleidung. Ein goldener Brustschutz bedeckt deren Brüste und eine goldene Hose, die starke Ähnlichkeit mit einer Badehose der Zukunft aufweist. Diese "Rüstung" glänzt im Licht der Sonne. Aber warum sollte irgendein wichtiger Mann mit Wachen ein paar Sklavinnen durch die Stadt schleppen? Etwa für einen einfachen Spaziergang? Oder will er sie etwa verkaufen? Als ob sie das kümmern müsste. Eine der Dienerinnen drängelt sich an den Wachen vorbei, die sie nicht mal aufzuhalten scheinen. Im Gegenteil, sie treten sogar beiseite. Sie unterbricht das Gespräch der beiden edlen Arabar und flüstert den Mann etwas ins Ohr. Dabei zeigt sie auf Fina. Neugierig schaut er in die gezeigte Richtung und die Wachen bilden eine Gasse, die direkt zu Fina führt. Der edle Mann bewegt sich langsam auf das Häufchen Elend zu, für das sich Fina mittlerweile hält. Interessanterweise folgt die Dienerin ihrem Herrn. Ihre Haut ist in einem leicht bräunlichen Ton, ihre Augen schmal. Ihre Haare sind wie ihre Augen ebenfalls hellbraun, ihre Frisur besteht aus einem geflochtenen Zopf, welcher ihr die Schulter herunterhängt, ähnlich wie bei Fina.
Ihre Stirn ist schmal und frei von Haaren. Im Allgemeinen ist sie eine zierliche Gestalt. Sehr schlank, aber für Finas Ansichten eine schöne Frau. Wie alt sie wohl sein mag? Vielleicht Mitte zwanzig? Der Mann steht zwei Meter von ihr entfernt, kratzt sich am Bart und schaut zu ihr herunter. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass seit Tagen eine junge Frau an diesem Haus hockt, nicht trinkt, sich nicht bewegt und irgendwie immer noch lebt. Du siehst nicht gerade nach sterben aus, aber die wichtigere Frage ist doch, was tut eine Frau wie du, die dazu noch den Kampf kennt in meiner Stadt? Du gehörst zu diesen Fremden, die Krieg führen, plündern, Morden und Brandschatzen. Aber du scheinst nicht zu ihnen zu gehören oder nicht mehr. Also, was willst du hier?" Er kratzt sich an seinem Bart und beobachtet sie ganz genau. Er verzieht keine Miene. Hinter ihm steht seine Dienerin, die Fina schon fokussiert hat. „Was geht es dich an? Lass mich einfach hier sterben und werft mich dann aus der Stadt. Sollte doch kein Problem sein." Immer noch schaut er sie an. In seinem Kopf drehen sich viele Zahnräder, dass kann Fina mehr als lesen. Seine Gedanken sind auf sie fokussiert. Irgendetwas wichtiges scheint sie für diesen Mann zu sein, sonst wäre sie schon tot. „Ich bin der Sultan dieser Stadt. Sultan Tarek. Einem meiner besten Späher zufolge sollst du mit den Kreuzrittern gezogen sein, nur um sie später abgeschlachtet zu haben. Warum frag ich mich, hockst du dann hier in der Stadt, anstatt sie alle zu vernichten?" Fina lacht spöttisch auf. „Das würde Euch wohl gut kommen, wenn ich die Kreuzritter dezimiere. Sagt, was Ihr von mir wollt, ansonsten verschwindet wieder." Sultan Tarek ist erstaunt. Für eine junge Frau in ihrem Alter spricht sie fließend seine Sprache. „Wie heißt du?" Sie antwortet wahrheitsgetreu mit ihrem Namen. „Also Fina. Betrachte mich nicht als deinen Feind. Ich weiß nicht warum, aber die Kreuzritter scheinen nicht deine besten Freunde zu sein. Eine Gemeinsamkeit die wir teilen. Ich möchte dich als Gast bei mir haben. Natürlich möchte ich etwas von dir, aber es hat nichts damit zu tun, dass ich mich bei dir als Gastgeber einschleimen möchte. Ich kann dir auch hier die Frage stellen und dann wieder verschwinden, wie du möchtest. Wenn du sterben möchtest, kann ich dir auch gern den Kopf abschlagen. Wenn du wirklich zu... wenn du hättest sterben wollen, warum hast du es nicht eher getan? Ich sehe in dir eine starke Frau, also, warum lebst du noch?" Dieser Mann trifft einige Punkte genau, war aber nicht in der Lage, das große Ganze zu erkennen. Fina fällt der Blick auf, den die Frau neben dem Sultan ihr zuwirft. Sie muss allerdings selbst gestehen, dass sie sie ebenfalls die ganze Zeit angeschaut hat, außer sie hat dem Sultan geantwortet. „Wer ist sie?" Der Sultan rührt sich nicht, stattdessen geht die Frau selbst vor. Ihre Haut ist eben und glatt und leichte Schweißtropfen bilden sich auf ihrer Haut. Sie hatte bisher nur einmal eine Frau berührt und das mehr oder weniger in jugendlichem Leichtsinn. Jetzt war sie reifer, vor allem ist sie als Vampir reifer geworden, als sie es vielleicht hätte werden können.
Sie malt sich in ihrem Kopf schon Szenarios aus und lächelt, zur Verwirrung der umherstehenden. Sie selbst bemerkt es nicht einmal. „Ich bin Samira, werte Fina." Sie verbeugt sich sogar vor ihr. Samira. Soweit sich Fina erinnern kann bedeutet dieser Name ungefähr so etwas wie Begleiterin in der Nacht oder Freundin in der Nacht. Manchmal fragt sie sich wirklich, ob das Schicksal aus Zufällen besteht, oder ob dies alles mit Absicht geschieht. Sie ist selbst ein Wesen der Nacht und dann steht jemand vor ihr, die selbst Freundin der Nacht heißt oder bedeutet. Und wahrlich, sie ist schön, wie die Nacht. Nach der Verbeugung tritt sie wieder hinter ihren Meister. Sie schuldet dem Sultan zwar immer noch eine Antwort, ihm scheint diese Übergehung aber nicht im Geringsten zu stören. Fina richtet sich auf. Ihr Kettenhemd ist voll mit Sand, Staub und Dreck der Wüste. Ihr Äußeres muss abscheulich Aussehen. Ihre Haare sind fettig, ihre Haut voller Dreck. „Wenn es mir erlaubt ist Sultan Tarek, würde ich euch gern begleiten." Fina vergisst im Moment alles. Ihre Sorgen und ihr Kummer ist wie ausgelöscht. Samira hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Auch der Sultan scheint ein gebildeter Mann zu sein. Gerade als sie an ihn denkt, lacht er wie ein Großvater, der sich über seine spielenden Enkel freut. Er klatscht in die Hände. „Na wunderbar. Auf zum Palast. Ich würde Vorschlagen du nimmst erst einmal ein Bad und dann schauen wir weiter.

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