Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 74

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Fina atmet schwer aus und widmet sich ihrem eigentlichen Ziel zu. Samira spielt mit geschlossenen Augen auf der Harfe. In der Nähe spielen noch andere dieses engelsgleiche Instrument, aber sie hat nur Augen für Samira. Sie setzt sich etwa zwei Meter von der Harfe entfernt hin und schaut ihr beim Spielen zu. Ihre Hände gleiten sanft über die Seiten und jede Bewegung erfolgt gezielt. Nervös spielt sich Fina in den Haaren. Um sich abzulenken, flechtet sie sich einen Zopf, lässt ihn über die Schulter hängen und wiederholt das Ganze noch einmal. Ihren Zopf lässt sie über die Schulter hängen, sie will lieber wieder Samira zuschauen. Es ist eigenartig, was sie für diese Frau empfindet. Kein Verlangen, kein Besitzen, nein. Das übersteigt alles, was sie bisher erlebt hat. Sie will diese Frau in die Hand nehmen und mit ihr zusammenleben.
Unbewusst öffnet Finas Begehrte die Augen. Sie spürte es schon eine ganze Zeit, dass Fina, ehmalige Kreuzritterin auf arabischer Seite sie betrachtet und ihrem Spiel lauscht. Sie hat sich einen Zopf gebunden und schaut sie an, einfach nur an mit einem Lächeln auf dem Gesicht, wie sie es selten gesehen hat. Ständig wurde sie beim Spielen angestarrt, auf ihr hübsches Aussehen von Männern angesprochen, die ihre knapp bekleidete Haut anstarren. Nie hat sie Interesse gezeigt, nie einen Mann genommen, sie hatte sich immer gewehrt. Warum sie ausgerechnet Herzrasen bei Fina bekommt, ist ihr unklar. Vielleicht weil sie nett ist, gebildet, wunderschön ist und unter ihrem äußeren Panzer eine tiefe Seele besitzt, die sich nichts weiter wünscht, als die Liebe, die sie so vergeblich sucht. Sie ist sich ziemlich sicher, dass Fina mit ihrem Aussehen jeden haben könnte, davon hat sie in dieser kurzen Zeit nichts gemerkt. Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Ist dies nicht eine trügerische Art der Liebe? Oder sollte man nicht eine Chance geben? Und warum denkt sie darüber nach?
Während sie darüber grübelt und ihre Hände über die Saiten der Harfe gleiten, treffen sich ihre Blicke. Sie verliert sich in dem intensiven grün, Fina scheint das gleiche mit ihren braunen Augen zu passieren. Samira wird breit angegrinst und ihr fallen die zwei auffälligen, langen spitzen Zähne an den Ecken auf. Wozu sind diese überlangen Zähne den gut? Enttäuscht schaut sie, wie Fina sich abwendet. Traurig spielt sie weiter auf ihrer Harfe, bis sie auf der Schulter eine Hand antippt. „Mein Ehrengast und Militärberater wünscht etwas Zeit mit dir zu verbringen. Sie will gern die Stadt und den Palast sehen. Komm diesem Wunsch so gut es geht nach, ja?" Sie muss sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer ihr diese Aufgabe erteilt. Sultan Tarek wendet sich schon wieder ab und vor ihrem Gesichtsfeld taucht Fina auf, welche voller Energie strotzt. „Das war mein Wunsch. Ich hätte dich natürlich auch so entführt, aber ich glaub, es wäre angebrachter gewesen, den Sultan darum zu bitten." Beide grinsen sich an, als hätten sich lange Freunde nach mehreren Jahren wiedergefunden. „Also, welche Gegend der Stadt möchtest du mir zeigen?" Samira überlegt. Die Frage von Fina war zwar ernst gemeint, aber sie beinhaltet eine unterschwellige Botschaft, zumindest verrät dies ihre Mimik und Gestik. Die Zweite wäre, an welchen Ort soll sie sie führen? Welcher Ort wäre geeignet, wäre passend, würde ihr gefallen? „Ich habe eine Idee. Du musst aber die Augen schließen und du darfst nicht schummeln. Ich führe dich an einen tollen Ort, den ich dir gern zeigen möchte." Fina schließt die Augen. Kurz darauf werden ihre Augen verbunden. „Du würdest bestimmt schummeln." Tja, hatte sie vermutlich. Eine warme Hand schlingt sich um ihre kalte. Der Druck, mit dem Samira sie festhält, ist stärker, als nötig. Fina spürt die kühle Luft der Nacht auf ihrer Haut. Es ist leicht windig. Sie wünschte, sie würde jetzt gerade ihre Haare offen tragen, um sie im Wind wehen zu lassen. Sie fühlt warmen Sand auf ihren nackten Füßen, sie verzichtet auf diese unnötige Fußbekleidung. Samira stolpert zwischendurch, fängt sich aber schnell wieder. Fina zählt nicht, hinter wie viel Abzweigungen sie geführt wird von der Frau, für welche sie ihr Leben geben würde. Sie hört ein paar Stimmen, welche sich aber immer weiter entfernen. Es geht bergauf. Nach einer kurzen Strecke eines anscheinend sandigen Hügels bleibt Samira stehen. „Wir sind da, schau selbst." Als Fina die Augenbinde abgenommen wird, befinden sie sich außerhalb der Stadt, aber in unmittelbarer Nähe. Sie befinden sich auf einem Hügel, an dessen Hangbeginn eine Oase ist. Es ist Vollmond, eine wunderschöne klare Nacht und die dunkle Wüste benötigt somit keine künstlich erschaffen Lichter.
Der Mond scheint hier heller zu strahlen, als woanders. „Und, wie gefällt es dir?" Fina verschränkt die Arme vor ihrer Brust, bereit, sie ein wenig zu Ärgern. „Ich dachte du wolltest mir die Stadt zeigen und nicht mich an himmlische Orte entführen. Der Sultan wird aber erzürnt sein." Samira boxt ihr gegen die Schulter. Normalerweise wäre sie bei solchen Scherzen zu eingeschüchtert, aber sie kann Fina verstehen, als wäre sie schon ewig ihre Freundin. „Du bist blöd." Erneut boxt sie Fina gegen die Schulter. „Uh, jetzt habe ich aber Angst. Die große böse Samira haut mich. Himmel Hilfe." Fina gähnt gelangweilt. „Na warte, ich zeig dir mal den Kampfgeist unseres Volkes!" Sie verpasst Fina ein paar Hiebe, die für sie als Vampirin lächerlich wirken. Aber sie ist ziemlich geschickt. Fina stürzt sich mit einem gekünstelten Kampfschrei auf sie und Samira geht zu Boden. Sie zerrt Fina mit auf den Boden und so rollen beide denn Hang herunter, das kurze Stück Richtung der Oase. Der andere Weg zur Stadt wäre die reinste Schwindelpartie gewesen. Sie kommen vor dem kühlen Wasser der Oase zum Stehen. Fina liegt am Boden, während Samira sich auf ihre Schultern stützt. Beide atmen schwer nach dieser kleinen Rangelei, die vergessen scheint. Fina hat nur Augen für Samira, für nichts anderes. Sie ist ihr Stern, ihr Anker, der sie vor dem Wahnsinn rettet, dem sie beinah erlag. Sie weiß genau, dass ein ausgehungerter Vampir sich niemals hätte sterben lassen. Sie hätte die Kontrolle verloren und ein Blutbad angerichtet. Früher oder später wäre die Stadt ihrem automatisch einprogrammierten Überlebensinstinkt zum Opfer gefallen.
Samira. Sie verharrt immer noch über Fina und scheint ihr kleines Spielchen auch vergessen zu haben. Sekunden kommen beiden endlos vor, in einer Zeitschleife gefangen, die ewig andauern könnte. Finas Zopf ruht im Sand der Wüste.
Samira bewegt sich seit einigen Minuten das erste Mal und setzt die roten Haare wieder dorthin, wo sie hingehören, über die rechte Schulter ihrer Besitzerin. Über diese kleine Geste, lächelt die Vampirin leicht und sanft. Samira schaut ihr noch ein paar Sekunden in die Augen, ehe sie ihre eigenen schließt, sich langsam Fina nähert, sich auf sie fallen lässt und ihre Lippen auf die ihrigen presst. Sie spürt, wie Fina diesen entgegennimmt, sanft, zart, vorsichtig abtastend. Ebenso nimmt sie Fina wahr, die ihre Augen geschlossen hat, sich ihr hingibt und den Moment genießt wie er ewig sein könnte.
Der Mund der bleichen Frau öffnet sich, als sie Samiras Zunge an ihren Lippen fühlt, wie sie versucht, ihn sie vorzudringen. Fina gibt sich ihr hin, während Samira langsam den Stoff von Finas Körper entfernt und sich liebevoll auf sie stürzt.
Das erste Mal hat Fina das Gefühl, wahrlich zu lieben, abgesehen von der Liebe zu ihrer Mutter, die aber nichts im Vergleich zu dem hier ist. All der Kummer, alle Sorgen werden vom Strand ihrer Sorgen fortgespült, weit weg, kaum mehr erreichbar. Das erste Mal will sie nicht dominieren, sondern einfach nur Lieben, für sie da sein und ihre Nähe und Küsse spüren. Was in dieser Nacht geschah, war das wundervollste, was Fina in diesem Jahrhundert erlebt hat. Sie würde es nie vergessen. Niemals. Es gab außerhalb der Rache und des Krieges noch einen Feldzug. Einen der viel größer, viel bedeutender ist, für was sie sogar gern sterben würde. Die Liebe. Die Liebe zu Samira.


Samira schlief ein, als sie in Finas Armen zurück zur Stadt getragen wurde.
Fina hat sie in ein weiches, Bett gelegt. Eine Palastwache gab ihr diese Auskunft, wo sie ihr vorbereitetes Zimmer finden könne. Die Wache warf einen merkwürdigen Blick auf die beiden, entschließt sich aber zu diesem eigenartigen Auftritt nichts zu sagen, schließlich wollte er es sich nicht mit dem Ehrengast des ehrenwerten Sultans verscherzen.
In ihrem Gästeraum legt sie Samira auf ein weiches, großes Bett ab, welches extra für sie bereitet wurde. Fina streichelt ihr leicht bräunliches Gesicht. Niemals wird sie diese Nacht vergessen. Niemals in ihrem Leben. Dies ist vielleicht der Beginn eines komplett neuen Lebens, wenn nicht gerade die Kreuzritter vor der Haustür stehen würden. Aber egal was passiert, sie würde nicht zulassen, dass jemand ihre Herzensliebe verletzt. Im Moment, schläft sie ruhig, friedlich. Niemals hätte sie geglaubt, sich jemandem hinzugeben, dass entspricht eigentlich nicht ihrer Natur. Eigentlich. Sie war es immer, die sich nahm, was sie wollte. Veränderte die Liebe sie so sehr? Fina beobachtet, wie sich der unbekleidete Brustkorb der jungen Frau hebt und senkt. Fina wünschte sich, sie könnte sich neben sie legen und schlafen, aber ihr Kopf ist viel zu voll, so vieles schwirrt ihr durch den Kopf, so viele Gedanken. Ihre Mutter zu finden ist nicht mehr das oberste Ziel, wenn es ihr auch unheimlich wichtig ist.
Sie seufzt. Am liebsten würde sie gern erneut die Zeit zurückspulen, um diese wundervolle Nacht an der Oase nochmal zu erleben. Aber es würden noch andere Nächte auftauchen, die genauso magisch sind.
Fina streift ihre Kleidung ab und kuschelt sich an Samira heran. Sie schließt ihre Augen, während ihre Hand auf dem Bauch ihrer neuen Liebe ruht.

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