Der süße Kuss des Blutes - Kapitel 33

997 72 1
                                    

Sie geht auf ihre Tür zu. Rechts von ihr liegt das Zimmer, in welches ihr verboten ist einzutreten ohne Erlaubnis. Sie würde so gern einen kurzen Blick hineinwerfen. Was sie wohl für eine Persönlichkeit aus Finas privatem Gemach herauslesen könnte? Vielleicht eine empfindliche Seele? Eine harte Schale mit einem weichen Kern? Nun, das wäre sicher süß, aber das würde Sophia wohl nie erfahren, oder?
Sie schaut sich um. Niemand steht mehr auf dem Gang. Sie ist allein. Hoffnungsvoll blickt sie den Gang hinunter, auf dass Fina in ihrem strahlenden Haar nur wenige Meter von ihr entfernt steht und sie anlächelt, zu ihr läuft und sie dann...
Aber nichts dergleichen geschieht. Sophia fährt sich nervös durch die Haare und seufzt, bevor sie Hand an die Türklinge legt. Ohne knarren, ohne quietschen, völlig geräuschlos öffnet sie die Tür und schubst sie auf.
Vor lauter Respekt möchte sie dieses Zimmer gar nicht betreten. „Ja klar, "Gästezimmer", sicher." Wenn das ein einfaches Gästezimmer sein soll, für das sich James noch extra entschuldigt hat, dann weiß sie auch nicht weiter, was mit diesen Leuten schiefläuft. Entweder ist Fina in Wahrheit eine Stalkerin oder ihr räumlicher Stil überschneidet sich rein zufällig. Weiß ist nur die Wand, die ähnlich verziert ist, wie im Erdgeschoss, sowie die weißen Vorhänge aus einem Stoff oder Seide, aber davon hat Sophia nicht wirklich Ahnung. Die Vorhänge sehen nur teurer aus, als ihre Alltagskleidung, die sie im Schrank hat.
Der Teppich ist komplett schwarz, der große, doppeltürige Kleiderschrank ist schwarz, selbst der Rand eines großen Spiegels ist schwarz, aber er hat eine recht hübsche Umrandung. Es schaut so aus, als würden Dornen darum wachsen und hier und dort blüht eine einzelne Rose auf. Ehrfürchtig betritt sie das Zimmer. Direkt rechts steht ein schwarzes, großes Bett mit dunklem, lila Bezug, gegenüber befindet sich der Spiegel, daneben der Kleiderschrank. Wenn man von der Tür aus direkt gerade ausschaut, kann man das Fenster sehen, wiederrum rechts daneben steht ein leerer Schreibtisch. Nun fast leer, darauf steht eine kleine Karte.
Zuerst wirft sie sich kurz auf das Bett, indem locker drei Personen nebeneinander Platz haben und immer noch gemütlich liegen können. „Ich glaub ich sterbe." So weich und kuschelig, einfach perfekt. Am liebsten jetzt einfach einschlafen, aber dann verpasst sie Finas Anwesenheit. Und das ist nicht akzeptabel. Sie erhebt sich murmelnd wieder und geht langsam zum Fenster, um einen Blick hinaus zu werfen. Vor lauter staunen hält Sophia die Luft an. Das ist wohl das Schönste, was sie abgesehen von Fina je gesehen hat. Ein wahrlich großer Blumengarten mit einem Marmorbrunnen in der Mitte, der fröhlich von sich her plätschert. Somit steht der Garten in seinen bunten Farben in krassen Kontrast zur Inneneinrichtung des Hauses, zu dem halben viktorianischen Schloss.
In ihrem Kopf entsteht wieder ein schönes Bild, eines noch fernen Traumes. Hand in Hand zusammen mit ihr durch den Garten in einer sternenklaren Nacht zu schlendern im schein des Mondes.
Sie würde sie in den Brunnen schubsen, ihr nachspringen, ihr tief in die Augen blicken und sie küssen. Ja, so würde sie es tun, wenn sie nicht wieder in ihrer nähe weich wird. Sie ist und bleibt eben in ihrer nähe ein weiches Stück Käse, mehr nicht. Sie schrumpft zusammen, kann keinen klaren Gedanken fassen, gar nichts kann sie in Finas Anwesenheit. Wenn sie nur sagen könnte, was sie fühlt. Sie sehnt sich nach ihr, dieses Gefühl wird von Tag zu Tag immer stärker, sie hält es kaum noch aus.
Sie muss sich irgendwie ablenken. Sie beschließt, die Karte auf dem Tisch anzuschauen. „Eine weiße Karte?" Nichts steht darauf. Es hätte auch einfach ein weißer Zettel sein können. Also öffnet sie die Karte, vielleicht steht ja etwas darin. Ein zusammengefalteter Zettel fällt heraus. Da in der Karte nichts steht, beschließt sie verwirrt und etwas enttäuscht, den Zettel aufzuheben.
Sie faltet ihn gelangweilt auf. Wenn dies ein dummer Scherz ist, dann hasst sie diesen Scherz. Nach wenigen Sekunden hat sie den Zettel aufgefaltet und betrachtet diesen. Mit zittrigen Händen lässt sie den Zettel fallen, während ihr einige Tränen das Gesicht entlang rollen.
Sie wirft sich auf das Bett und schluchzt in ihr Kopfkissen hinein.
Das Bild ist eine Zeichnung von ihr selbst, wie sie sich durch die Haare streicht und schüchtern lächelt. Unterschrieben ist das Bild mit Finas Unterschrift und mit einem Kuss darunter, durch einen blutroten Lippenstift.
Sie weint vor Freude. Sie hofft, dass diese Zeichnung mit dem unterschriebenen Kuss nicht nur ein Freundschaftsgeschenk, sondern ein Zeichen, dass Fina sie mehr mag, als es scheint. Vielleicht war das die Zeichnung, die Fina ihr nie zeigen wollte, aber warum? Wollte sie abwarten, ob es sich lohnt, für sie zu kämpfen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Möglicherweise deutet sie dies auch alles falsch.
Wie auch immer das hier ausgeht, diese Zeichnung würde einen Ehrenplatz erhalten.

Der süße Kuss des Blutes |GirlxGirl [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt