T W E N T Y NINE

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Müde öffnete ich meine Augen und blickte mich um. Ich lag in meinem Bett, ordentlich zugedeckt und mit aufgeschüttelten Kopfkissen. Allerdings war nirgendwo eine Spur von Jude, der das ganz sicher zu verantworten hatte. Niemand lag neben mir oder auf dem Fußboden. Er schien gegangen zu sein, als ich eingeschlafen war, was mich schmunzeln ließ. Der Herr mit seinen guten Manieren. Nächtigte bei keiner Frau, die nicht seine wahr. So kam es, dass ich mich langsam erhob und zum Kleiderschrank ging. Ich trug nach wie vor das Kleid, welches allerdings leicht verrutscht war und nun sehr ulkig an meinem Körper aussah. Also zog ich mir dieses schnell über den Kopf, bevor ich mir etwas bequemeres heraussuchte, um damit in den Tag zu starten. Vermutlich würde ich heute sogar zusammen mit den anderen am Frühstückstisch erscheinen, denn wie ich erkennen konnte war es noch früh. Vorher allerdings bändigte ich noch leicht meine Haare und reichte danach den Brief einer der Wachen, bevor ich mich wirklich zum Frühstück aufmachte.
Mir war klar, wen ich dort Wiedersehen würde, doch war dies eh unausweichlich. Immerhin lebten wir im selben Schloss und unsere Zimmer waren direkt nebeneinander, sogar mit einer Tür verbunden. Deswegen hob ich nur noch weiter mein Kinn, um ihm meine Stärke zu zeigen, bevor ich in den Saal trat. Meine Augen wanderten kurz über die Anwesenden und natürlich traf ich auf blau-grüne Augen. So gut es ging unterdrückte ich die aufkeimende Wut und Trauer und setzte nur ein Lächeln auf.
"Lia", wurde ich von Sif begrüßt, welche mich aufgeregt zu sich zog. Zuvor hatte ich mich kurz vor dem Königspaar verbeugt.
Sofort stellte man mir einen Teller vor, welcher voller Köstlichkeiten war. Ich hob wieder meinen Blick und als ich Jude entdeckte, hellte sich sofort meine Stimmung auf. Lächelnd nickte er mir zu, was ich ebenso lächelnd erwiderte.
"Hast du die Feier genossen?" Stellte plötzlich Odin die Frage an mich. Ungewollt verschluckte ich mich, denn sofort musste ich wieder an den Vorfall mit Loki denken. Schnell sammelte ich mich allerdings wieder und begann zu nicken: "Sehr!" Mein Blick ging zu Thor, welcher einen Platz von mir entfernt saß. Vorsichtig griff ich nach seiner Hand, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Sofort sah er mich an und lächelte leicht.
"Ich möchte dir noch gratulieren", erklärte ich leise und doch wusste ich, dass ein Gott ganz genau hörte, was ich sagte, doch davon ließ ich mich nicht verunsichern und sprach einfach weiter: "Ich kann es immer noch nicht fassen. Du wirst bald König!"
"Ach", erwiderte Thor und machte eine wegwischende Handbewegung.
Lachend schlug ich ihm auf den Arm: "Ach?! Thor!"
Unser Gespräch ging noch lange so weiter, bis Odin ihn allerdings bat ihm zu folgen, damit sie noch etwas besprechen konnten. Lächelnd verabschiedete sich Thor von mir und schließlich erhob ich mich ebenfalls. Ich benötigte dringend Luft, denn das Gespräch mit dem blonden Gott hatte mir immer wieder die Worte von Loki ins Herz getrieben. Leider musste ich zugeben, dass ich den Tränen sehr nah war. Dennoch wollte ich mir die Blöße nicht geben vor allen und vor allem vor Loki zu weinen. Genau aus diesem Grund verließ ich schnellen Schrittes den Saal und stürmte förmlich nach draußen. Immer wieder blinzelte ich, damit die Tränen verschwinden würden, doch machte es die nur noch schlimmer, sodass meine Sicht bald darauf nur noch verschwommen war. So war ich also gezwungen anzuhalten. Schmerzhaft biss ich mir auf die Unterlippe und krallte mich in eine der Säulen neben mir. Ich wollte nicht weinen, denn ich wusste ich könnte nicht mehr aufhören, wenn ich nun beginnen würde. Doch passierte es natürlich, dass mir bereits die ersten Tränen an der Wange hinabliefen und es dann immer mehr wurden. Um nicht direkt neben dem Eingang des Schlosses zusammenzubrechen, löste ich mich schnell von der Säule und lief los. Trotz meiner verschwommenen Sicht fand ich den Weg in den Wald. Dennoch übersah ich nach einiger Zeit eine der vielen Wurzeln, welche mich dann schließlich in die Knie zwang. Ergeben fiel ich zu Boden und blieb dort auch liegen, denn ich hatte einfach nicht mehr die Kraft mich zu erheben.
Was diese Worte, doch bei mir ausgelöst hatten. Sie schienen mich förmlich zu zerstören, doch musste ich langsam zugeben, dass es nicht nur an den Worten lag. Er hatte mich einfach zutiefst verletzt und alles kaputt gemacht, was wir uns mehr oder weniger aufgebaut hatten. Eigentlich wusste ich selbst, dass diese Worte nur im Eifer des Gefechts seinen Mund verlassen hatten und er nicht darüber nachgedacht hatte und doch taten sie schrecklich weh.

Eine Hand auf meiner Schulter ließ mich herumfahren. Instinktiv sprang ich auf und stellte mich in eine Position, die zeigte, dass ich jeder Zeit bereit war zu kämpfen. Als ich allerdings in die vor mir blau-grünen Augen blickte, erschlafften meine Muskeln. Langsam glitten die Arme wieder an meinem Körper hinab und meine Hände lockerten sich.
„Lia", begann er und seine Stimme troff förmlich vor Schuld und Verzweiflung. All die Wut kehrte in meine Glieder zurück und ehe ich mich versah, stand ich dicht vor ihm und schlug auf seine Brust ein. Schreie der Schmerzen verließen meinen Mund und die Tränen rannen wieder unaufhörlich meine Wangen hinab. Überraschenderweise wehrte Loki sich nicht. Er stand einfach vor mir und ließ mich tun. Ich hatte das Gefühl, dass er einfach bestraft werden wollte und es ihm eine Art Genugtuung war. Ich wollte aufhören und ihm zeigen, dass es damit nicht aus der Welt war, doch konnte ich nicht. Meine Muskeln schienen so sehr verkrampft und auch in meinem Kopf herrschte nur die Wut. Plötzlich wurde ich nach hinten gerissen, was mich stark aus der Bahn warf. Dennoch wollte ich wieder auf ihn zu laufen und ihm erneut eine scheuern, doch hielten mich zwei starke Arme umklammert.
„Siehst du das?!" Schrie ich weinend und stemmte mich in den Boden: „Das ist alles deine Schuld! Ich habe dir vertraut! Ich habe für dich so etwas wie Freundschaft empfunden!"
„Es ist alles gut! Beruhige dich, Aurelia", sprach eine weitere Stimme auf mich ein, die ich als die Stimme von Jude erkannte. Ich ignorierte ihn einfach und beobachtete die weit aufgerissenen Augen des Gottes vor mir. Nun empfand ich so etwas wie Genugtuung, denn so hatte ich ihn noch nie gesehen.
„Sie sollten gehen, Prinz", hörte ich die Anweisung von Jude, welcher Loki natürlich nicht folgen wollte, doch kamen weitere Männer hinzu, die ihn nahmen und mit sich zogen.
Als sie aus unserer Sichtweite waren, ließ Jude mich los und drehte mich zu sich um.
„Was sollte das?!" Fragte der Mann vor mir empört.
Ich konnte und wollte jetzt nicht reden, weswegen ich einfach den Abstand überbrückte und ihn in den Arm schloss. Ich brauchte jetzt einfach Halt.

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