ONE HUNDRED F O U R

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Unsicher malträtierte ich meine Unterlippe und starrte die Tür vor mir an. Ich wusste nicht, wie ich lang ich das jetzt schon tat, doch konnte ich mich nicht dazu überwinden, endlich die Klinke in den Hand zu nehmen und die Tür zu öffnen. Damit würde ich mich nämlich auch all meinen Probleme stellen und das ohne einen Plan, wie ich diese abfedern könnte. Sie würden auf mich einprasseln und mich einfach ungehindert treffen. Dennoch wusste ich, dass ich nun keine Zeit hatte, um einen Schlachtplan zu erstellen und bevor ich noch länger warten würde, umschloss ich schließlich den Henkel und öffnete die Tür. Das brachte ein erleichtertes Seufzen von Stephen mit sich, welcher die ganze Zeit hinter mir gewartete hatte.

Wie in Trance ließ ich mich von ihm die Treppen hinunterführen, bevor er den Weg zum Wohnzimmer einschlug. Dabei spürte ich meine Beine immer weicher werden und musste wieder den Drang unterdrücken, nicht einfach wegzulaufen.
„Wann kann ich endlich zu ihr?!" Hörte ich jemanden aufgebracht fragen. Die Stimme drang nur gedämpft zu mir, da die Tür geschlossen war und doch wusste ich genau, wer da gesprochen hatte. Stephen stoppte kurz und sah mich fragend an. Zögerlich nickte ich, bevor er die Tür öffnete und nun weitere Stimmen zu mir kamen.
„Beruhige dich", hörte ich Thor sagen, „Sie wird-." Dann stoppte er und starrte zur Tür. Genauso wie es alle anderen taten. Ich konnte weitere bekannte Gesichter erkennen, wie Sif, Fandral, Hogun, Jude und Volstagg. Auch Kenan lehnte an der Wand, ebenso Tony. Sie alle sahen zu mir und ihre Gesichter zeigten mir ganz unterschiedliche Emotionen. Mein Blick ging zu Loki, dessen Gesicht mir am wenigsten verriet, was er in dem Moment dachte. Wir sahen uns einfach an und die Luft schien zum Zerreißen gespannt. Allerdings ging es dann plötzlich ganz schnell. Loki kam auf mich zugestürmt, bevor er mein Gesicht in beide Hände nahm und mich einfach küsste. Ich hatte gar keine Möglichkeit zu reagieren. Ich stand einfach wie versteinert da und ließ ihn gewähren. Mit solch einer Reaktion hatte ich am wenigsten gerechnet. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass er mich anschreien oder auch einfach ignorieren würde, doch das, was er wirklich tat, überraschte mich. Sehr sogar, aber auf positive Weise. Er bewegte seine Lippen nicht, sondern drückte sie einfach auf meine. Dabei zog er mich ein Stück weit zu sich hoch und ließ es zu, sodass ich auf meinen Zehenspitzen stand. Irgendwann löste er seine Lippen wieder von meinen, doch blieben seine Hände an meinen Wangen liegen. Ich sah in dem Moment nur noch ihn und vergaß, dass wir nicht alleine waren. Ihm schien es genauso zu ergehen. Ein riesiges Lächeln zeichnete nun seine Lippen und seine Augen schienen förmlich zu leuchten: „Es tut mir leid! Einfach alles! Ich habe dich so sehr vermisst, Lia!" Seine Worte waren ganz leise, weswegen ich mir sicher war, dass die anderen seine Worte nicht hören konnten. Seine Berührungen sandten heiße Blitze durch meinen Körper, die mich erzittern ließen. Ebenso spürte ich Tränenflüssigkeit in meinen Augen aufsteigen, welche meine Freude nur unterstrichen.
„Mir tut es auch leid", hauchte ich und sah ihn lächelnd an, „Ich war so dumm!"
Nun legte er meine eine seiner Hände auf den Mund schüttelte seinen Kopf: „Es ist schon gut."
„Dürfen wir jetzt auch mal?" Hörte ich jemanden hinter Loki sagen. Verwundert sah ich an ihm vorbei und auch Loki drehte sich jetzt um. Viele Augenpaare sahen mir entgegen und sofort stieg mir die Röte ins Gesicht. Thor sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu uns: „Wie geht es dir, Lia?"
Nervös faltete ich meine Hände ineinander: „Ganz gut." Ich starrte auf meine Füße und wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Natürlich wäre es jetzt an der Zeit eine Entschuldigung auszusprechen, doch verließen keine Worte mehr meinen Mund.
„Vielleicht solltest du dich jetzt erklären", hörte ich Sif gereizt sagen. Ungewollt zuckte ich von diesen schneidenden Worten zusammen.
„Sif!" Kam es sofort zischend von Jude.
„Was?" Zischte sie zurück und sprang auf, „Lia ist einfach so weggelaufen, ohne irgendwas zu sagen! Niemand scheint ihr böse zu sein, weil sie doch die perfekte, süße Lia ist! Was stimmt nicht mit euch? Ich koche vor Wut, wenn ich nur darüber nachdenken, dass sie uns so hintergangen hat!"
Erstaunt sah ich die Frau an, welche wirklich wütend schien. Noch nie hatte ich sie so gesehen und doch war ich über ihre Worte nicht böse, da ich diese Wut verstand.
„Ich weiß, dass es mit einem „Es tut mir leid" nicht wieder gut zu machen ist. Es macht es auch nicht besser, wenn ich euch meine Beweggründe nenne. Ich habe wirklich unüberlegt und egoistisch gehandelt. Deswegen verstehe ich es, wenn ihr wütend auf mich seid oder vielleicht sogar eine Strafe für meine Handlung verlangt", erklärte ich und sah vorsichtig in die Runde.
Ein paar von ihnen nickten, doch andere sahen mich wiederum nur ernst an. Sie schienen wirklich böse zu sein, was ich verstehen konnte, da sie vermutlich mehr von mir erwartet hatten, doch war ich in diesem Moment kein Stück besser als Loki. Ich persönlich hatte damit kein Problem, doch sie wohl umso mehr.
„Niemand verlangt nach einer Strafe", beruhigte mich Thor und sah mir lächelnd entgegen.
Ich spürte, wie sich eine Hand in meine schob und sah zu Loki, welcher diese nun an seinen Mund führte und kurz seine Lippen auf meiner Haut platzierte, bevor er lächelnd sagte: „Wir sind alle froh, dass du nun wieder bei uns bist."
„Das bist du doch, oder?" Hörte ich Sif skeptisch sagen, welche wirklich böse zu sein schien.
Schnell nickte ich: „Ich verspreche es."
"Eigentlich wollte ich sie trainieren", mischte sich Stephen das erste Mal seit langem mit in das Gespräch ein.
„Ich werde sie hier keinen Moment länger als nötig lassen. Lia wird zurück mit nach Asgard kommen und dort werde ich sie dann unterrichten", erwiderte Loki und zeigte gleich mit dem Klang seiner Stimme, dass er dabei keine Widerworte zulassen würde. Stephen hob ergeben die Hände und damit schien es für ihn entschieden. Für mich war es ebenso in Ordnung, auch wenn ich ein wenig Angst vor der Konfrontation mit Odin hatte. Ich hoffte inständig, dass er nicht allzu böse war und mir vergeben könnte.
„Dann ist es ja besiegelt", hörte ich nun auch Tony sagen, welcher sich in die Hände klatschte und von der Wand abstieß, „Die Erde wird wieder von Göttern befreit sein."
Daraufhin kam Kenan lächelnd auf mich zu und nahm mich in den Arm: „Wir werden uns bestimmt bald Wiedersehen. Im Guten wie im Bösen."
„Ich hoffe doch dieses Mal im Guten", erwiderte ich lachend. Er erwiderte das Lachen: „Im Guten steckt immer ein klein wenig Böses und umgekehrt, also denkst du vielleicht, dass es gut ist, dabei ist es das ganz und gar nicht." Verwundert zogen sich meine Augenbrauen bei seinen Worten zusammen, doch kam ich gar nicht dazu noch einmal zu fragen, was er mir genau damit sagen wollte, da ihn da bereits Stephen ablöste: „Pass ja auf dich und den Stein auf!"
„Werde ich", erklärte ich und drückte kurz seine Hand, welche er mir hinhielt.
„Dann ist es jetzt soweit", erhob Thor wieder die Stimme, „Auf zurück nach Asgard!"

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