N I N E T Y

1.4K 87 7
                                    

Am nächsten Tag wachte ich erschöpft in meinem Bett auf und spürte meine brennenden Augen. An eine Sache konnte ich mich noch erinnern, nachdem Jude mich in meinem Zimmer abgeliefert hatte: Ich hatte geweint. Ich hatte geweint, bis ich eingeschlafen war. Nach wie vor spürte ich die angetrockneten Spuren auf meiner Wange, doch waren diese mein kleinstes Problem. Unfassbar schmerzerfüllt griff ich mir an mein Herz und rang nach Luft. Langsam sickerte wieder zu mir durch, was ich getan hatte und ich sah wieder sein Gesicht vor mir. Diese Verzweiflung und Trauer.

Dennoch hielt ich es nach wie vor für das richtige und ich wusste nicht warum. Zwar sagte der Schmerz etwas anderes, doch mein Kopf lobte mich. Es war eine merkwürdige Situation, die mich glauben ließ, dass ich verrückt war.
Verzweifelt schrie ich auf und presste meinen Kopf in die Kissen. Ich spürte wieder diesen Sog, welcher mich zu sich zog und zu verschlingen schien. Es war ein schreckliches Gefühl und dazu kam es, dass mich alles an ihn erinnerte. Und nicht nur daran, sondern auch noch an die Zeit, in der er scheinbar tot gewesen war. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie sehr es mich zerstört hatte und nun tat ich es wieder. Es gab etwas in mir, was mich hoffen ließ, dass ich dann nie wieder verletzt werden würde, doch war das Schwachsinn. Alles war durch diese Sigyn gekommen und dabei hatten wir schon viel schlimmeres geschafft. Ich konnte doch jetzt nicht einfach alles hinwerfen, nur wegen dieser Göttin. Leider war nicht sie der Grund und das wusste ich. Diese Zweifel hatte ich schon vorher und jetzt waren sie ans Licht getreten. Zum ungünstigsten Zeitpunkt.

"Lia?" Ruckartig setzte ich mich auf und strich mir Tränen von der Wange, welche ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. Danach sprang ich ruckartig auf und ging zum Spiegel, um mich kurz zu ordnen, um weniger fertig auszusehen. Das gelang mir allerdings nicht, sodass ich mich einfach wieder kraftlos zu Boden fallen ließ.
Erst eine Tür, die geöffnet wurde, ließ mich wieder aufblicken. Es war Thor, welcher verwundert zu mir sah und dann zu verstehen schien.
„Oh", kam es nachdenklich von ihm, „Jude hatte es angerissen, aber nicht wirklich etwas gesagt."
Thor stoppte vor mir und zog mich wieder auf die Beine, bevor er mich zum Bett führte: „Was ist passiert?"
Ich schluckte kurz und faltete meine Hände ineinander, bevor ich antwortete: „Ich habe es beendet."
Thor rutschte ruckartig von mir und sah mich mit großen Augen an: „Wieso?"
Langsam nahm ich meinen Blick wieder von ihm und sah nur auf meinen Schoß: „Ich denke es ist besser so."
„Besser so?" Kam es viel zu hoch von ihm, sodass er kurz wieder stoppte und sich räusperte, bevor er weitersprach, „Ihr gehört zusammen! Du liebst ihn doch?"
Ich zögerte, sodass er noch einmal sprach: „Oder etwa nicht?"
„Ja!" Sagte ich dann schnell, „Ich liebe ihn und doch ist es nicht das richtige!"
„Aber Lia-."
„Du verstehst das nicht!" Ich unterbrach ihn und wurde ein wenig hysterisch.
„Ich denke er auch nicht", begann Thor wieder ruhig, „Loki ist ausgerastet."
Verstehend nickte ich, bevor ich mich erhob und ihn ansah: „Ich will nicht mehr darüber reden. Kommst du mit in die Gärten?"
Thor schien kurz zu überlegen, bevor er sich auch erhob und nickte: „Na gut."

Dankend griff ich nach seiner Hand, bevor ich ihn mit mir nach draußen zog. Ich benötigte einfach diese Ablenkung, doch als wir die Gärten erreichten, wäre ich am liebsten sofort wieder umgedreht. Allerdings hielt mich Thor davon ab, da er mich freundlich lächelnd zu dem Geschwisterpaar schob. Er konnte ja auch nicht wissen, was passiert war.
„Thor", begrüßte die Frau ihn und verbeugte sich kurz, bevor sie grinsend zu mir sah und kurz ihren Kopf neigte. Keldan trat an ihre Seite und schenkte uns ebenfalls abwechselnd Blicke: „Ich hatte eure Gärten weniger schön in Erinnerung." Dieser Hieb von seiner Seite aus, ließ mich kurz zusammenzucken und auch Thor stockte kurz: „Wie bitte?"
Auf seinen Lippen breitete sich ein überhebliches Grinsen aus: „Verzeiht, aber sie sind weniger plump."
„Das kann man weniger von den Leuten im Schloss sagen", mischte sich Sigyn mit ein und sandte mir vielsagende Blicke.
Am liebsten hätte ich dieser Schlange die Augen ausgekratzt, doch unterdrückte ich diesen Drang.
„Nun gut", unterbrach Keldan schnell diese Situation und sah sich theatralisch um, „Wie können wir unsere Zeit am besten verbringen?"
„Am See", sagte Thor und zeigte in eine Richtung.
„Ich werde dann jetzt gehen", sagte ich und wollte mich so davonschleichen, doch machte Keldan mir einen Strich durch die Rechnung.
„Du solltest ihn uns zeigen", erklärte er und griff nach meinem Arm. Ruckartig riss ich mich wieder los und funkelte ihn böse an: „Fass mich noch einmal-."
„Wird sie", unterbrach mich Thor und ließ mich jetzt fassungslos zu ihm sehen. Wieder legte sich dieses selbstsichere Grinsen auf Keldans Lippen, welches ich ihm gerne aus dem Gesicht geschlagen hätte.
Bittend sah Thor mich an, was ich verstehen konnte, da die zwei wirklich wichtig für Asgard waren und doch verstand ich nicht, weswegen ich mich dafür opfern müsste. Würde ich diesen Stein nicht in mir tragen, wäre ich niemals im Schloss gelandet und Odin würde sich einen Dreck um mich scheren.

Dennoch nickte ich Thor zu Liebe und ging dichter auf die beiden Geschwister zu.
„Schön", hörte ich Keldan sagen. Er klatschte sich in die Hände, bevor er sich in Bewegung setzte. Unsicher folgte ich ihm und hielt dabei meinen Blick gesenkt. Hinter mir ertönten ebenfalls immer wieder Schritte, welche von Sigyn zu kommen schienen.
Ich sah kurz zu dieser, welche mich mit einem grinsenden Blick bedachte. Sofort blickte ich wieder auf meine Füße, um mich nicht selbst zu verlieren, bei diesem Anblick.
„Wie lange bist du schon im Schloss?" Holte mich Keldans Stimme aus meinen bösen Gedanken gegenüber Sigyn.
„Weiß ich nicht", antwortete ich murmelnd, da ich auf kein Gespräch mit ihm erpicht war.
„Ich hoffe für dich noch nicht allzu lange", lachte er nun, „drei Wochen hier sind schon eine Prozedur."
Daraufhin erwiderte ich gar nichts und schwieg einfach, doch schien er noch nicht fertig zu sein: „Was findest du an Loki?"
Ungewollt zuckte ich zusammen und musste mich kurz sammeln. Dennoch hatte ich nicht vor ihm zu antworten, denn so eine Frage war unangebracht. Besonders in diesem Moment.
„Er ist der Böse", sprach stattdessen Sigyn und lachte, „Frauen stehen auf die Bösen, besonders wenn sie so tiefsinnige blaue Augen oder lange, schwarze Haare haben. Dazu kommen diese andächtigen Wangenknochen und wohlgeformten Lippen."
Erschrocken sah ich zu ihr und spürte wieder diesen Stich in meinem Herzen.
„So genau wollte ich das gar nicht wissen", kam es leicht angeekelt von ihm.
„Du hast gefragt, Bruderherz", erwiderte sie nur unschuldig und am liebsten hätte ich gewürgt, doch unterdrückte ich den Drang.

„Da bist du ja", erklang eine Stimme, welche mich freudig schreien lassen wollte.
Überglücklich lief ich zu Sif, welche mich aus der ganzen Situation zu retten schien.
„Was tust du denn hier?" Fragte sie mich verwirrt und sah zu Sigyn und Keldan.
„Ich sollte den beiden den See zeigen", erklärte ich und sah sie bittend an, sodass nur sie es sehen konnte. Sofort schien sie zu verstehen, da sie begann zu nicken: „Den sollten Sie auch alleine finden."
Mit diesen Worten nahm sie mich am Arm und zog mich von den beiden weg.

Love > Hate Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt