4 Tage später
An diesem Vormittag war das Wetter besonders schön. Die Sonne schien, es war angenehm warm und ein leichter Wind sorgte für ein Klima, über das sich selbst der letzte Nörgler kaum hätte beschweren können. Doch dafür hatte Lakran heute keinen Sinn, denn bis zu seiner großen Prüfung, die vermutlich über den Verlauf seines gesamten weiteren Lebens entscheiden würde, waren es nur noch einige Minuten. Aufgeregt wie ein Kind bei seiner Einschulung, rannte er vor dem Veranstaltungsort, der ihm in den vergangenen Wochen als Trainingsplatz gedient hatte, hin und her. In Meluhha machte man um die Reifeprüfungen der neuen Generation, einen seiner Meinung nach unnötig übertriebenen Aufriss.
Von überall aus der Stadt waren Menschen gekommen und hatten sich auf den steinernen Stufen niedergelassen, die ringsherum um die große Arena errichtet worden waren. Sein Großvater Uvāri hatte ihm einmal erzählt, dass man im Laufe der letzten hundert Jahre immer mehr zusätzliche Stufen hatte bauen müssen, da der Andrang stetig größer geworden sei. In jeder anderen Stadt und in jedem Dorf Meluhhas, wurden derartige Ereignisse fast ausschließlich im Kreis der eigenen Gemeinde abgehalten. Nicht so in Lyiapatazia. Hier kam es durchaus schonmal vor, dass sich der ein oder andere Mensch von außerhalb in die große Arena verirrte, um an dem Spektakel teilhaben zu können. Dies war nur eines der Dinge, für die Lakran es hasste, ausgerechnet in Lyiapatazia aufgewachsen zu sein. Obendrein war es klar, dass heute besonders viele Zuschauer aus ganz Meluhha anwesend sein würden. Lakran war schließlich nicht irgendwer, sondern der Enkel eines der Ältesten und hatte damit einen nicht ganz unbedeutenden Stand in seiner Heimat, auch wenn ihm dies bisher mehr Nachteile als Vorteile verschafft hatte. Immerhin schauten jetzt schon tausende von Augenpaaren von teils mehr als fünf Meter hohen Sitzplätzen auf den Veranstaltungsort herunter und trugen somit wesentlich zu Lakrans Nervosität bei.
Mit einer Mischung aus Ärger und Erleichterung beobachtete er gerade, wie nun auch endlich Palk auf den Platz geschlendert kam und sich gemütlich nach einem passenden Sitzplatz auf mittlerer Höhe umsah. Er sprintete auf seinen Freund und Lehrer zu, der sich die trüben Augen rieb.
"He, wo bist du denn gewesen, man? Ich bin so verdammt nervös, dass ich am liebsten wegrennen würde", klagte Lakran hektisch und stellte sich sehr dich vor Palk. Der schaute ihn bedeutungsvoll an und ließ dann kurz den Blick durch die Reihen schweifen. Sein Freund schien gar nicht bemerkt zu haben, dass er soeben durch das Tor der Arena spaziert war und auch die Zuschauer realisierten es erst, nachdem Lakran verdutzt nach oben starrte.
"Wegrennen ist keine Option", entgegnete Palk laut, um gegen das einsetzende Jubeln anzukommen. Ein lautes Gähnen drang aus seiner Kehle und er wandte sich zum Gehen. "Ich hab schlecht geschlafen, da musste es eben ein bisschen länger sein", meinte er und trat an die knapp zwei Meter hohe Mauer heran, hinter der sich die Reihen der Sitzplätze befanden. Mit einem kräftigen Satz stand Palk auf der Mauer, wo sich einige der Zuschauer erschrocken nach hinten warfen und die Augen aufrissen. Desinteressiert stieg er zwischen ihnen einige Stufen nach oben und machte es sich auf einem Platz bequem, der ideal lag, um alles gut übersehen zu können.
Man wies Lakran an, sich in der Mitte des großen Platzes aufzustellen und zu warten. Kaum hatte er sich dorthin begeben, trat ein alter Mann neben ihn, der ihm eine Hand auf die Schulter legte und mit einem Megafon seine Ansprache begann.
"Wertes Volk von Meluhha, vielen Dank für ihr zahlreiches Erscheinen! Am heutigen Tag steht wieder die Prüfung eines ganz besonderen jungen Mannes an, den unser Ort hier als den Enkel des Ältesten Uvāri kennt." Er machte eine kurze Sprechpause, als alles zu jubeln und zu schreien begann. Als er das Megafon herunter nahm, erkannte Lakran, dass es der Älteste Yurenas war, der ihm zuzwinkerte. Offenbar hatte er sich bereit erklärt hatte, die Verkündigung zu übernehmen. Wobei 'sich bereiterklären' da nicht so zutreffend war, wie er gerne behauptet hätte. Als jüngstes Mitglied des Ältestenrates, gehörte sowas einfach zu seinen Aufgaben.
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Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]
FantasyDer gerade volljährig gewordene Meluhhaner Palk plant, seine Heimat zu verlassen und die Welt zu entdecken. Doch während er zu diesem Zweck einige Verbündete um sich schart, geschehen schreckliche Dinge und finstere Geheimnisse kommen allmählich ans...