Selbstverständlich war die nächtliche Entdeckung, die Palk, Lakran und Makkatū gemacht hatten, auch während des weiteren Weges ein Thema, welches dringend zur Sprache gebracht werden musste.
"Warum habt ihr mich nicht aufgeweckt?", fragte Makān verärgert. "Ich hätte diesen Freak in Nullkommanichts erledigt und wir hätten alle in Ruhe schlafen können."
"Du spinnst wohl", meckerte Katāla. "Wenn Palk ihn nicht kriegen konnte, hättest du ja wohl gar keine Chance gehabt."
"Da hat sie recht. Du bist nicht gerade der Stärkste und besonders schnell bist du auch nicht", bestätigte Lakran.
"Jemand wie du kann es sich nicht leisten, mich zu unterschätzen", machte Makān mit einer lauernden Stimme klar. Ausnahmsweise versuchte Lakran, den Zorn einfach runterzuschlucken und ging nicht näher darauf ein. Schlimm genug, dass ihm das Thema Stärke sowieso peinlich war, denn alle hatten seine verheerende Niederlage gegen Tiraitān mit angesehen. Doch diese in jeder Hinsicht finstere Typ, machte ihn nervös.
"Der Typ war so mächtig, das hab ich echt noch nie gesehen", schaltete sich Makkatū ein.
"Er ist vor euch abgehauen. Wie beeindruckend kann seine Macht schon sein?", meinte Mizlok und grinste.
"Du hast ja mal überhaupt keine Ahnung", zischte Makān, dessen Art zu sprechen, an eine Schlange erinnerte. "Wenn dieser Typ die Fähigkeiten hat, von denen ihr berichtet habt, dann habt ihr wirklich Glück gehabt, dass er aus irgendeinem Grund nicht angreifen wollte", machte er Lakran klar, doch dieser schüttelte zweiflerisch den Kopf.
"Er hat ein paar Blätter von den Bäumen geholt und zwei Bäume umgeworfen. Was hat das mit besonderen Fähigkeiten zu tun?"
"Du sagst es! Bäume, es waren Bäume!", wiederholte Makkatū. "Wir haben uns die Stelle vorhin nochmal angesehen. Dieser Typ hat die Eichen mitsamt Wurzeln aus dem Boden gerissen, ohne sie anzufassen. Er ist ohne Zweifel, einer der mächtigsten Telepathen überhaupt", erklärte er und die Zuhörer staunten nicht schlecht.
"Einer, der die Telekinese auf dem Niveau beherrscht, spielt in einer anderen Liga als wir", sprach nun auch Arīsak mit.
"Ich dachte immer, das wäre Psychokinese", kam es von Mizlok.
"Das wäre ja noch schöner, Psychokinese ist sogar noch gefährlicher, selbst wenn man sie nicht so gut drauf hat wie Telekinese", widersprach Makkatū.
"Wo liegt denn eigentlich der Unterschied?", fragte sich Lakran laut.
"Auf der Insel Bermuth gibt es einige Menschen, die die Telekinese beherrschen", begann Makkatū. "Mit dieser Kraft kann man Gegenstände und eigentlich alles, das keinen eigenen Willen hat, durch bloße Gedankenkraft bewegen. Je mächtiger ein Telepath ist, der so etwas kann, desto größere, schwerere und stabilere Gegenstände kann er bewegen. Die Meisten fangen mit einem verbogenen Löffel an und finden ihre Grenzen bei einem umfallenden Regal oder einer fliegenden Couch." Lakran musste lachen. Doch Makkatū blieb ernst. "Es soll aber schon jemanden gegeben haben, der mächtig genug war, Panzer zu zerstören und Häuser einstürzen zu lassen. Ich bin auf dem Gebiet kein Experte, aber wenn jemand Bäume aus dem Boden reißen kann, dürfte er mindestens an dieses Niveau rankommen", schloss er ab.
"Was die Psychokinese angeht", fuhr Makān an seiner Stelle fort, "gibt es kaum noch Leute, die sie erlernen. Eine solche Macht hat bis jetzt noch jeden in den Wahnsinn getrieben. Das muss man sich mal vorstellen, man steht irgendwo rum und dann kommt einer, der dich mit seinen Gedanken dazu zwingt, dich von einem Gebäude zu werfen oder dich mit Schwung in einen Berg krachen lässt."
"Es gibt wirklich Menschen, die sowas können?!", rief Lakran fassungslos.
"Und wenn uns nicht alles täuscht, gibt es noch Andere, mit viel gefährlicheren Fähigkeiten", mischte sich nun auch noch Palk ein, der die Unterhaltung bisher nur mitangehört hatte. Auf Lakrans fragenden Blick hin, fuhr Tiraitāns Schwester Katāla fort.
"Hast du dich nie gefragt, wieso auf einmal so viele Verbrecher und Schläger hier unterwegs sind, obwohl Meluhha ein so friedliches Land ist?"
"Äh, nö", sagte Lakran knapp.
"Könnte daran liegen, dass du auch mal ein Arsch warst", lachte Palk und Lakran rollte grinsend mit den Augen.
"Vielleicht gibt es jemanden, der die Bewohner des Landes manipuliert oder ihnen ein Mittel gibt, das sie so aggressiv macht", vermutete Katāla und Palk nickte.
"Hey, Makkatū, ich hab mal eine Frage an dich." Lakran sah ihn ernst an und ging etwas langsamer, was die gesamte Gruppe dazu brachte, es ihm gleich zu tun. "Du hast in der letzten Nacht gesagt, dass du meine Gedanken gelesen hast und deshalb wüsstest, dass ich Angst hätte. Ich hatte in dem Moment aber wirklich nur im Kopf, herauszufinden, wer uns da beobachtet. Woher hast du gewusst, dass ich unterbewusst Angst hatte?" Makkatū sah ihn einige Sekunden an und spürte die Blicke der Anderen auf sich.
"Das wird daran liegen, dass ich auch ein Telepath bin", war seine Antwort und Palk und Katāla schienen als Einzige damit gerechnet zu haben. Lakran jedenfalls, wurde noch etwas blasser als gewöhnlich und verzog leicht das Gesicht.
"Du..du bist auch ein..einer von denen?", stotterte er vor sich hin.
"Ich wurde in Meluhha geboren aber mein Vater war ein Bermuthaner", erzählt Makkatū. "Die Fähigkeit, Emotionen in den Herzen der Menschen sehen zu können, ist eine Form des Gedankenlesens, also sowas wie spezialisierte Telepathie."
"Ich verstehe", meinte Palk weiter vorn, ohne sich umzudrehen. "Deshalb hast du auch sofort gewusst, dass der Typ im Wald einen Gedankenschild hatte, weil du seine Gefühle nicht wahrnehmen konntest", stellte er fest. Als ob er gespürt hätte, dass Makkatū daraufhin nickte, rief er nach hinten zu den Anderen: "Gibt es unter uns noch mehr Telepathen?" Es blieb einen Moment lang still, nur Itiama meldete sich stumm. Dann meldete sich Arīsak zu Wort.
"Zählt es auch, wenn man zwar Bermuthanerin ist, aber keine Telepathin?"
"Du kommst von Bermuth und hast keine psychischen Fähigkeiten? Wie bedauernswert", kommentierte Makān.
"Vielleicht liegt das daran, dass meine Eltern beide nur Halbbermuthaner waren", vermutete Arīsak.
"Wie funktioniert denn sowas? Wie lernen sich solche Leute kennen?", interessierte Mizlok.
"Was Anderes ist wohl etwas wichtiger", mischte sich Makkatū ein. "Makān, du hast gerade eben Verachtung für das Mädchen empfunden, weil sie keine Telepathin ist. Warum hast du nicht gesagt, dass du auch einer bist?" Makān grinste ihn finster an und schüttelte dann den Kopf.
"Ich finde deine Fähigkeit, dich in die Herzen von Menschen einzumischen, jetzt schon extrem nervig." Das war alles, was er dazu zu sagen hatte und jedem der Anderen kroch bei seiner Stimme ein Schauer über den Rücken.
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Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]
FantasiDer gerade volljährig gewordene Meluhhaner Palk plant, seine Heimat zu verlassen und die Welt zu entdecken. Doch während er zu diesem Zweck einige Verbündete um sich schart, geschehen schreckliche Dinge und finstere Geheimnisse kommen allmählich ans...