Kapitel 11: Gnadenfrist III

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Tiraitān war nicht entgangen, dass inzwischen das halbe Land nach ihm suchte, um ihn festzunehmen. Warum hätte er den Ärger auf sich nehmen sollen, der ihn für die Kleinigkeiten erwarten würde, die er sich geleistet hatte? Niemand hatte das Recht, ihm das vorzuenthalten, was er haben wollte und niemand würde ihn dafür bestrafen, dass er es sich nahm. Er war ja nicht irgendwer, sondern Tiraitān, der Enkel des Oberältesten und zugleich ein Übermensch. Er war der erbärmlichen Sippe, die nun Jagd auf ihn machte, bei Weitem überlegen und das würden sie schon noch zu spüren bekommen. 

Von der Dunkelheit der Nacht gedeckt, schoss er wieder davon, nachdem er einige Steckbriefe, die er von sich gefunden hatte, durch einen kurzen Stromschlag verbrannt hatte. Am Liebsten hätte er seine Feinde jetzt einfach in ihren Häusern aufgesucht, um sie im Schlaf zu ermorden, aber das Risiko konnte er nicht eingehen. Er musste damit rechnen, dass eines dieser lästigen Ältestenkinder das Regenbogenschwert besaß und solange er nicht einmal sagen konnte, wer es hatte, war es zu gefährlich. Er hatte Palk schon einmal unterschätzt, doch das würde ihm nicht wieder passieren. Während er auf sein Ziel zusteuerte, dachte er gründlich darüber nach, wie er die Fähigkeiten seines Gegners einschränken konnte.


Es handelte sich nur um Minuten, die zwischen seinem plötzlichen Erscheinen und dem Entschluss der Bevölkerung von Lyiapatazia lagen, sich auf die Suche nach ihm zu machen. Ein Junger Mann hatte sie alle auf dem Trainingsplatz zusammengetrommelt und ihnen mit einer überzeugenden Rede, den Mut und die Entschlossenheit gegeben, die sie dafür brauchten.

Mehr als 200 Menschen hatten sich auf den Weg gemacht, das Gebiet in und um die Hauptstadt Meluhhas zu durchsuchen. Tiraitān würde ihnen nicht entkommen, dafür hatte Palk gesorgt. Er hatte diejenigen, deren Fähigkeiten noch außergewöhnlicher waren, als bei normalen Meluhhanern, in spezielle Gruppen eingeteilt. Die Hauptgruppe dieses Suchtrupps, führte er selbst an, nachdem darüber abgestimmt worden war. Unter seinen Begleitern fanden sich Lakran, Okanur und Katāla, die sich sofort freiwillig gemeldet hatten, seine Gruppe zu unterstützen. 

Es war noch nicht einmal vier Uhr morgens, als sie loszogen und in festgelegter Reihenfolge erst den Marktplatz, dann den Bereich um den Palast, die Arena und schließlich den Turm und seine Umgebung erkundeten. Immer mal wieder schickte Palk ein paar von ihnen in eine andere Richtung, damit ihre Strategie undurchsichtig blieb und Tiraitān nicht auf die Idee kam, sich an einem Ort zu verstecken, wo bereits gesucht worden war.

Alles in Allem war Meluhha ein gewaltfreies Land, in dem es kaum Negatives gab. Doch in letzter Zeit war es unruhig geworden, was sich weder die Ältesten, noch die jüngeren Menschen, zu denen natürlich auch Palk und seine Freunde gehörten, erklären konnten.

Erst einige Minuten nach Sonnenaufgang, brachen auch sie die Suche ab. Möglicherweise waren noch ein paar Gruppen außerhalb von Lyiapatazia unterwegs, doch Palk bezweifelte, dass sich Tiraitān überhaupt noch in der Nähe aufhielt. Auch wenn er einen starken Hang dazu hatte, sich selbst zu überschätzen, war Tiraitān dermaßen schnell, dass er innerhalb weniger Sekunden in einer anderen Stadt sein konnte und innerhalb von Minuten, sogar in einem anderen Land.

"Super!", schimpfte Katāla und ließ sich auf eine der steinernen Sitzflächen nahe ihres Ausgangspunktes plumpsen. "Der ganze Aufwand umsonst! Ich hätte so schön schlafen können."

"Du kannst den ganzen Tag schlafen, morgen ist nichts weiter los", tröstete Okanur sie. Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen, ähnlich wie bei der ersten Begegnung des Mädchens mit Palk.

"Ach, dafür hab ich keine Zeit", widersprach sie. "Ich muss dringend meinen Bruder finden. Es ist auch irgendwie meine Schuld, dass er Palk seine Kristalle geklaut hat. Außerdem muss ich endlich wissen, was geschehen ist, dass er sich so verändert hat."

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt