Kapitel 15: Der Schlangenmensch II

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Am Ende des kleinen Ganges konnte man sich zwischen der letzten Tür entscheiden, oder um die Ecke gehen, was einen auf direktem Weg nach draußen führte. Makān und die Arzthelferin betraten den Raum hinter der einfachen Holztür, der sich wider Erwarten als großer Besprechungsraum herausstellte, in dem offensichtlich auch behandelt und experimentiert wurde. Makān befahl der ängstlichen Frau sich auf die liege zu setzen, die in der linken Ecke beim Fenster stand und als seine Gefährten ebenfalls in den Raum gekommen waren, schloss er hinter ihnen die Tür. 

"Wo habt ihr die Medikamente?", fragte er die Frau, während sich die Anderen ringsherum auf den Boden oder auf Hocker setzten.

"Da." Sie zeigte auf eines der kleinen Schränkchen, die der Tür gegenüber hingen. Makān ging darauf zu, öffnete einen der Schränke und durchsuchte ihn. Er entnahm einige Fläschchen und Dosen, dann schloss er den Schrank wieder und stellte die zusammengesammelten Glasbehälter auf den großen, weißen Schreibtisch. Palk kam auf die Frau zu, die nun sichtlich zusammenzuckte, hockte sich vor ihr hin und sah ihr tief in die goldenen Augen.

"Wir sind nicht die Bösen", sagte er eindringlich aber sanft. "Wir wollen nur unseren Freunden helfen, die von den Bösen verletzt wurden, verstehen Sie das?" Die Frau nickte zögerlich.

"Gib dir keine Mühe", sagte Makān beiläufig, während er Itiama vom Boden hochhob und ihn zum Schreibtisch trug, den er leergeräumt hatte, um die Medikamente darauf zu stapeln. "Ich hab dafür gesorgt, dass sie ängstlich bleibt, damit sie nichts Dummes macht. Sie bleibt so lange so, bis ich es nicht mehr will", sagte er und entfernte sich von dem Schreibtisch, um Mizlok zu holen, der neben der Tür lag. 

"Sie wissen jetzt, dass Sie vor uns nichts zu befürchten haben, richtig?", fragte Palk wieder an die Frau gewandt. Als sie einmal in die Runde sah, wollte sie erst nicken, dann holte sie die Angst wieder ein. "Okay, mach sie wieder normal." Palk erhob sich und sah Makān erwartungsvoll an.

"Erst wenn ich mich um Itiama gekümmert hab", entgegnete der ruhig und scheuchte die Frau von der Liege, damit Platz für Mizlok war, den er nun hinlegte. "Wenn sie ohne meine Beeinflussung immer noch panisch oder ängstlich ist, kriegen wir ernsthafte Probleme. Nur Itiama kann sie vollkommen ruhig machen", erklärte er.

"Schön, aber beeil dich. Ich hab keine Lust selbst als Verbrecher gesucht zu werden, weil wir eine Straftat nach der Anderen begehen", meckerte Palk und setzte sich wieder.

"Du scheinst dich mit dem Medizin-Zeug gut auszukennen", bemerkte Katāla, die Makān fasziniert dabei beobachtete, wie er sich Handschuhe überzog, wieder zum Schreibtisch ging und dort einige Utensilien sammelte.

"Nicht wirklich. Mein Spezialgebiet ist eigentlich ein anderes", verneinte er und warf ihr einen beiläufigen Blick über seine Schulter zu.

"Du bist Giftmischer, was?", stellte Palk fest und Katāla sah ihn fragend an. Makān hielt kurz inne, dann machte er weiter mit seiner Tätigkeit.

"Ich bin nicht wie ihr normalen Menschen", antwortete er schließlich. "Ich bin etwas Besonderes, etwas Einzigartiges. So etwas wie mich, gibt es nur einmal auf der Welt."

"Das trifft ja wohl auf alle hier zu." Lakran schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Nein!", zischte Makān heiser. "Ihr seid austauschbar. Ihr seid nur normale Menschen."

"Woher nimmst du dir das Recht..-" Makkatū wollte weitersprechen, was Palk verhinderte, indem er ihm die Hand vor den Mund hielt und selbst sprach.

"Warum bist du besser als wir?", wollte er wissen.

"Ich hab nicht gesagt, dass ich besser bin, sondern nur, dass ich einzigartiger bin. Das ist ein feiner Unterschied", antwortete Makān und Palk konnte teilweise beobachten, wie er begann an der Bauchwunde herumzuhantieren. "Weißt du, dass ich einer der letzten Auserwählten bin, die es in Meluhha noch gibt?", fragte Makān jetzt, sah dabei aber weiterhin auf seine Arbeit.

"Wie meinst du das?", fragte Palk interessiert.

"Wie dir klar sein dürfte, kommen nur Auserwählte nach Meluhha. Alle anderen werden entweder hier geboren oder müssen draußen bleiben. Ihnen offenbart sich der Weg nicht", sagte Makān und Palk nickte stumm. "Ich bin einer von dieser Auserwählten und mein Vater war auch schon einer", erzählte er und keiner sagte etwas.

"Das verstehe ich nicht", murmelte Lakran plötzlich. "Wie kann dein Vater nach Meluhha kommen und dann irgendwann du? Ist er einfach abgehauen?"

"So ein Schwachsinn!", zischte Makān. "Mein Vater war der Mann, den man auf der ganzen Welt als Kobra kennt. Manche nennen ihn auch den Angstmenschen."

"Du bist der Sohn von Kobra?!", rief Katāla laut, was Lakran und Arīsak zusammenzucken ließ.

"Du hast also von ihm gehört?" Freude legte sich kaum merklich in die Stimme des unheimlichen Aushilfsarztes. 

"Wie kann man nicht von ihm gehört haben?", fragte Katāla und so langsam wurde sie wütend. "Jeder in Meluhha weiß, dass Kobra ein schwarzer Itavāri war! Er gehörte zu derselben Sorte Mensch, zu der auch mein Bruder inzwischen gehört." 

"Mein Vater war ein Auserwählter und als er mit Meluhha fertig war, ist er gegangen", erzählte Makān, an dessen ruhiger Stimmlage sich nichts geändert hatte. "Euer Land ist es gewesen, das ihn zu dem gemacht hat, was ihr heute alle so verabscheut. Diese DNA hat er an mich weitergegeben und ich bin stolz darauf", sagte er überzeugt und drehte sich zu den Anderen um. Seine Hände waren voll mit Itiamas Blut, doch die Wunde hatte er bereits zugenäht. 

"Was soll das heißen, Meluhha hat ihn zu dem..-"

"Meluhha ist das einzige Land auf der ganzen Welt, in dem man in Kontakt mit den Göttern dieser Welt kommen kann", säuselte Makān dazwischen und nahm Palks Frage vorweg. "Sie haben ihn den Göttern präsentiert und er wurde....anders."

"Ich komm nicht mehr mit", gab Lakran zu. "Den Göttern präsentiert?"

"Also haben sie es euch tatsächlich nie gesagt." Makān kicherte und wandte sich der Liege zu, auf der Mizlok lag. "Nur die mächtigsten und von ihnen persönlich ausgewählten Menschen bekommen diese Ehre, aber die Götter können mit einem Auserwählten zusammentreffen, wenn es zwischen ihnen eine Art natürliches Band gibt."

"Was passiert dann mit den Leuten?", wollte Makkatū wissen.

"Mein Vater sagte mir damals, er hätte gespürt, wie sich in seinem Inneren etwas verändert hat", antwortete Makān, während er Mizlok von seiner Jacke befreite und ihm den halb zerrissenen Stoff seines Oberteils herunterriss, um an die Wunde zu kommen. "Er hat einen Teil der göttlichen Energie in sich aufgenommen und wurde so unheimlich mächtig."

"Willst du damit sagen, dass er zu einem Gott geworden ist?" Palk konnte es nicht glauben. Makān verzog das Gesicht zu einem undefinierbaren Blick und legte den Kopf ein wenig schief.

"Eher zu einem Halbgott", korrigierte er.

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt