Kapitel 29: Wer ist Tiraitān? V

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Etwa eine halbe Stunde später, machten die beiden sich wieder auf den Rückweg. Sie sprachen auch jetzt wieder nicht viel, was aber in diesem Fall auf Tiraitāns kleinen Ausraster zurückzuführen war. Es war das erste mal gewesen, dass Katāla ihn so gesehen hatte.

Seine Wut hatte er sonst immer gut unter Kontrolle, wenn er denn überhaupt welche empfand. Davon bekam sie eher wenig mit, doch sie konnte sich denken, dass auch er mal wütend wurde. Besonders, wenn man mit einem Mann wie dem Oberältesten Viyalān unter einem Dach wohnte. Nach einer Weile fiel ihm auf, dass sie ihn immer wieder von der Seite ansah und er versuchte ein Lächeln.

„Dass ich vorhin so durchgedreht bin, tut mir leid." sagte er verlegen und fuhr mit der Hand durch sein Gesicht. „Kannst du das bitte für dich behalten? Ich kann es wirklich nicht brauchen, Probleme mit dem alten Mann zu kriegen." Katāla grinste ihn an.

„Sowas darfst du aber nicht sagen, sonst kommt der Fluch von den Göttern auf dich. Das hat mit Großvater erzählt." klärte sie ihn auf. Er schmunzelte und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Der Fluch der Götter soll mich treffen, wenn ich dich nicht beschützen kann." erwiderte er etwas ernster und sie lachte.

Gegenwart

„Weißt du es überhaupt noch, Bruder?" fragte sie mit nassen Augen. Sie zwang sich, stark zu sein, damit er nicht das kleine Mädchen in ihr sah, das sie damals gewesen war. „Weißt du noch, was du mir damals versprochen hast? Dass du mich immer beschützen würdest und dass dich der Fluch der Götter treffen soll, wenn du es nicht tust?"

Es war still geworden und alle Leute, die sich auf dem Marktplatz befanden, verfolgen wie gebannt den Ablauf der Unterhaltung. Tiraitān hatte inzwischen aufgehört zu knurren und seine Körperhaltung entspannt. Seine Hand umfasste das Regenbogenschwert nur noch locker und er blickte seiner Schwester tief in die Augen, die ihn noch immer an reines Gold erinnerten.

„Nimm den Stab runter, Katāla!" sagte er streng und sie hatte alle Mühe, den Blickkontakt zu halten.

„Er unterdrückt deine Fähigkeiten und so wie du in letzter Zeit drauf bist, ist das besser so." antwortete sie entschlossen.

„Das sehe ich aber ganz anders." Eine unheimliche Stimme war es gewesen, die da gesprochen hatte. Sie klang weit entfernt, als befände sie sich überhaupt nicht auf dem Marktplatz. Palk und Lakran waren die Einzigen, die der Meinung waren, sie schon mal irgendwo gehört zu haben.

Plötzlich erhob sich aus einem der umliegenden Holzhaufen, der völlig zerstörten Verkaufsstände, ein hagerer, aber nicht besonders großer Mann. Seine weißgraue Haut hatte fast etwas von einer Statue, woran auch sein heimtückisches Grinsen nichts änderte. In gemächlichem Tempo, gesellte er sich zu den anderen Mitgliedern dieses kuriosen Treffens. Er trug ähnliche Kleidung wie Āmak, die jedoch von Holzsplittern bedeckt war und die Knie seiner Hose, waren vor Dreck fast schwarzgefärbt.

Sein Erscheinen hatte die im Geschehen vertieften dermaßen überrumpelt, dass niemand – nicht einmal Lakran – auf die Idee kam, sich zu der eigentümlichen Gangart des Fremden zu äußern. Er schob im Gehen seine eckige Brille zurecht und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. Etwa eine Armlänge Abstand hielt er zu Katāla, neben der er sich nun positionierte.

„Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du meinen Schützling jetzt in Ruhe lassen würdest." sagte der ihr unbekannte Mann mit einem bedrohlichen Lächeln, dass ihr eine Gänsehaut machte, die man sehen konnte.

„Ihren Schützling?" fragte Yurenas überrascht, als er die Worte des Fremden vernahm. „Wie darf ich das verstehen?"

„Du brauchst es nicht zu verstehen, alter Mann." spottete der Andere und präsentierte das dritte Auge, welches sich auf seiner Stirn befand. Es leuchtete bläulich und allein dessen Vorhandensein, ließ die Brille darunter überflüssig wirken.

„Ich würd's aber gerne verstehen, also raus mit der Sprache, Dreiauge!" tönte Tiraitān zu ihm herüber und nun war die Verwirrung der restlichen Anwesenden perfekt.

„Du dummer, ignoranter, gedankenloser Junge!" rief der Unbekannte theatralisch in die Runde, als spreche er gar nicht mit Tiraitān „Wer, glaubst du, hat dich darauf aufmerksam gemacht, wo das Schwert war?" fragte er den jungen Mann und wies auf das Regenbogenschwert in dessen Hand.

„Ich!" Merkuri stellte sich gerade hin, straffte die Schultern und ging auf den Fremden zu. Der klatschte nur langsam vor sich hin.

„Und wer, glaubst du, hat den Idioten dazu gebracht, es unbedingt haben zu wollen? Wer hat ihm wohl gesagt, dass er es unbedingt vor dem anderen Bengel finden muss?" fragte er weiter und hielt den Blick auf Merkuri gerichtet. Sie konnte sich nicht helfen, aber irgendetwas sagte ihr, dass er sie kannte und er keine besonders gute Meinung von ihr hatte.

„Laber keinen Müll!" verlangte Tiraitān und richtete sich wieder auf, was Katāla geschehen ließ. „Ich wollte das Regenbogenschwert schon immer haben." meinte er ärgerlich.

„Du wusstest doch bis zu unserem Treffen nicht einmal, was das Lavupȋ Rayat überhaupt ist." lachte der Mann und grinste Merkuri süffisant an.

„Das was?" Tiraitāns Frage wurde ignoriert, was vielleicht besser für ihn war, denn sie hätte seine Dummheit in dieser Situation nur bestätigt.

„Wie geht's deinem Mann? Ist er schon tot oder kommt das demnächst in den Zeitungen?"

„Wer zum Teufel bist du? Woher weißt du, wer ich bin und wer mein Mann ist? Wieso bist du..-?"

„Spar dir die dämliche Fragerei!" zischte der Fremde sie an. „Ich hätte dir deinen Erfolg als strahlender Engel der Gerechtigkeit wirklich gegönnt, ganz ehrlich. Aber du musstest ja versagen und dich von diesen Halbwüchsigen aufhalten lassen. Du bist eine bittere Enttäuschung für uns alle."

Seine scharfen und ernst klingenden Worte, warfen für die alte Dame nur Fragen auf. Sie hatte keinen Schimmer, wen er mit uns alle gemeint haben konnte, oder wieso er plötzlich hier auftauchte und so ein Theater veranstaltete. Doch sie kam nicht erst dazu, Fragen zu stellen, denn er nahm die Bühne für sich allein.

„Konntest du nicht ein einziges Mal, etwas in deinem armseligen Leben zu Ende führen? Nur dieses eine mal, Mutter!?" Er brüllte nun fast und spuckte der völlig perplexen Merkuri dabei ins Gesicht. „Ganz genau, erkennst du mich jetzt endlich? Eins kannst du mir glauben: Vergessen wirst du mich nach heute nie wieder."

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt