Kapitel 20: Die Guten sind die Bösen I

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"Was war denn das eben?", wollte Palk wissen, der noch immer nicht so richtig glauben konnte, was er seinen früheren Lehrmeister da hatte tun sehen. 

"Wovon sprichst du, Junge?"

"Eventuell davon, dass du gerade einen Typen weggeschleudert hast, ohne ihn anzufassen", antwortete Palk ernst.

"Das war ganz einfacher Spiritismus", erklärte Yurenas und ging wieder in Richtung Haus.

"Was für'n Ding?" 

"Spiritismus."

"Aha", machte Palk nur.

"Hast du noch nie davon gehört? Ich dachte, ich hätte es dir mal erklärt", meinte Yurenas und trat durch die Tür, die glücklicherweise unversehrt geblieben war. 

"Ist das auch so ne Art Untergruppe von der Telepathie?", wollte Palk wissen.

"Nicht schlecht, Junge. Ganz recht, es gibt mehrere Arten von Bermuthanern, zu denen ich im Übrigen auch gehöre", bestätigte Yurenas und die beiden betraten die leicht durcheinandergewirbelte Küche.

"Na, da habt ihr ja schön randaliert", stellte Palk fest und ihm wurde ein leises Pfeifen entlockt. 

"Sehr witzig. Hilf mir lieber, die Stühle wieder an den Tisch zu stellen und gib mir das Ding da", sagte Yurenas ärgerlich und Palk reichte ihm den Messerblock, der nahe der Küchentür auf dem Boden gelegen hatte.

"Ähm, möchtest du das als Dekoration da drin lassen oder..-"

"Lass die Faxen, Junge, ich hab wirklich keine gute Laune im Moment", unterbrach Yurenas Palk, der gerade mit einem schiefen Grinsen auf das Messer zeigte, dass neben dem Fenster in der Wand steckte.

"Darf ich mal raten? Das warst du." Kaum hatte Palk es ausgesprochen, fuhr Yurenas zu ihm herum.

"Wie kommst du denn auf die Idee?", fragte er irritiert.

"Nur geraten, aber deine Reaktion hat alles gesagt", ertappte Palk ihn und grinste kurz. "Jetzt bin ich neugierig. Warum hast du mir nie davon erzählt?" Yurenas schwieg einen Moment, ließ dann alles, wie es war und sah ihn an.

"Jeder hat seine Vergangenheit und die dazugehörige Geschichte", begann er. "Eigentlich hab ich meine hinter mir lassen wollen. Bis heute ist mir das ganz gut gelungen, aber wie es aussieht, kann ich es nicht mehr vor dir verbergen." Palk zog eine Augenbraue hoch und wartete. "Wie du weißt, bin auch ich mal jung gewesen. Es ist schon fast 200 Jahre her, aber damals hab ich angefangen, die Telekinese zu lernen, weil ich mich für ein Gebiet entscheiden musste."

"Du bist also tatsächlich ein Bermuthaner?", fragte Palk ungläubig.

"Es gibt da noch etwas, das du nicht weißt, weil es niemand mehr lehrt", antwortete Yurenas. "Es ist schon wahr, dass wir alle hier Eingeborene sind, aber wir stammen ursprünglich auch nur von Siedlern ab, die es irgendwann geschafft haben, dieses Land zu erreichen", erzählte er und Palk legte den Kopf schief. 

"Aber das ist doch genau das, was man uns schon unser ganzes Leben lang erzählt."

"Nein, so einfach ist es nicht", widersprach Yurenas. "Ich spreche hier nicht von der vorherigen Generation oder der davor. Was ich meine ist, dass Meluhha mal einem ganz anderen Volk gehört hat. Eigentlich stammen wir alle aus einem anderen Land."

"Und aus welchem?", wollte Palk wissen und legte die Stirn in Falten.

"Unsere Urahnen stammen von Bermuth", sagte Yurenas ernst. "Wir alle sind eigentlich Bermuthaner und das heißt, dass wir alle einen Teil des Genmaterials in uns tragen, das den Telepathen ihre Kräfte verleiht. "

"Das kann doch nicht dein Ernst sein?!", rief Palk entsetzt. "Wie kann es dann sein, dass manche von uns nur Halbbermuthaner sind, oder das unsere Hautfarbe völlig unterschiedlich aussieht?" 

"Das ist doch ganz einfach", sagte Yurenas und machte beschwichtigende Handbewegungen. "Wir haben uns mit den Ureinwohnern vermischt. Daher unsere strahlend weiße Hautfarbe und die goldenen Augen. 

"Und daher auch die angeborenen Talente für Hellsehen und so weiter", setzte Palk die Erklärung selbst fort und blickte fassungslos auf den Boden. 

"Wenn du willst, kann ich es dir nun auch etwas genauer erklären", bot Yurenas an und Palk nickte entschlossen. "Also gut", begann Yurenas. "Von klein auf bekommt man beigebracht, wie das mit der Zeit funktioniert. Aber wie und warum man angefangen hat, sie so zu zählen, interessiert niemanden. Dabei ist das ein wichtiger Teil unserer Geschichte. Vor bald 2000 Jahren, hat der erste Bermuthaner das Land Meluhha entdeckt, das damals noch Utopia hieß. Die altbermuthanische Sprache hat er gleich mitgebracht und seine Anhänger waren viele."

"Warte mal", sprach Palk dazwischen. "Wenn man erst angefangen hat, die Zeit zu zählen, als die Bermuthaner dieses Land übernommen haben, hat dann jedes Land eine andere Zeit?"

"Zu aller Erst hat niemand dieses Land einfach übernommen", widersprach Yurenas. "Und nein, das ist nicht ganz so gewesen. Ich werde es dir erklären, wenn du mich weitersprechen lässt." Palk nickte und hörte weiter zu.

"Es kamen viele, die damals eben Auserwählte waren, aber sie wussten natürlich noch nicht, dass sie Utopia nur aus diesem Grund betreten konnten. Die Ureinwohner des Landes waren friedlich, gebildet und mental so stark, dass sie zum Teil in der Lage waren, die psychischen Fähigkeiten der Bermuthaner zu verstehen und damit irgendwann auch zu erlernen. Natürlich waren sie im Vergleich zu den Auserwählten nichts Besonderes, doch aus irgendeinem Grund, waren die Kinder dieser gemischtrassigen Menschen dazu fähig, eine Art mentales Band zu den Göttern zu finden, das sie auf eine gewisse Art miteinander kommunizieren ließ. Daher kam es nie zu Problemen zwischen den Völkern und sie haben sich ganz einfach gegenseitig ausradiert und durch ein ganz Neues ersetzt."

"Na gut, das erklärt wenigstens, wieso es immer noch reinrassige Bermuthaner und die anderen Völker gibt. Aber was ist dann zum Beispiel mit mir? Du musst doch wissen, woher meine Eltern kommen", überlegte Palk und sah Yurenas erwartungsvoll an, doch der schüttelte betroffen den Kopf.

"Ich weiß es wirklich nicht, mein Junge." 

"Also wurde aus den Menschen von Utopia und Bermuth, irgendwann der Meluhhaner?", wechselte Palk das Thema sofort wieder und Yurenas nickte etwas erleichtert.

"Richtig und als sich herausgestellt hat, wozu diese neue Rasse imstande war, hat man sich irgendwann entschieden, das Land in Meluhha umzubenennen, was in der alten utopischen Sprache so viel hieß wie 'Land der Auserwählten'", bestätigte der alte Mann und Palk begriff langsam.

"Dann war das der Zeitpunkt, wo man angefangen hat, die Zeit zu zählen. Die Gründung von Meluhha war das Jahr Null, stimmt's? Aber woher will man dann wissen, wie viele tausend Jahre andere Ereignisse her sind?" In Yurenas' Gesicht war Stolz zu erkennen.

"Deswegen bist du mein Lieblingsschüler", sagte er und musste lächeln. "Ganz genau weiß diese Sachen nämlich niemand, aber da es schon früher Aufzeichnungen gegeben hat, können wir Vieles heute noch ungefähr nachvollziehen", erklärte er.

"Jetzt hab ich aber noch eine Frage", sagte Palk und fuhr einfach fort. "Warum werden wir eigentlich so alt, wenn wir doch im Grunde nur Bermuthaner sind, die sich mit anderen vermischt haben?"

"Die Ureinwohner Utopias, konnten sehr viel älter werden als wir. Erst mit der Vereinigung, kamen Schwächen wie die schnellere Sterblichkeit bei ihnen auf", antwortete Yurenas. "Sind damit alle brennenden Fragen beantwortet?", fragte er und lächelte wieder, was Palk sofort erwiderte. 

"Für heute schon."

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt