Kapitel 21: Nachtmahr II

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Sie sahen sie kommen. Zwar nur sehr undeutlich, da sowohl die Straßen, als auch das Innere der Praxis praktisch nicht beleuchtet waren, aber sie sahen eindeutig, wie eine ganze Menge Menschen, mit seltsamen Bewegungen auf sie zu geschlendert kamen. Mizlok und die Frau waren sofort ohnmächtig geworden, worüber der erschrockene, aber gefasst bleibende Makān nur die Augen verdrehen konnte. 

Auch Arīsak schien sich noch unter Kontrolle zu haben. Von Itiama bekamen sie nichts mit, erkannten nur seine Umrisse, die von der Liege aus, Richtung Fenster zu starren schienen. 

"Wer zum Teufel sind die?", zischte Makān. Arīsak hatte inzwischen solche Angst, dass seine schlangenartige Stimme sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Um ihre aufsteigende Angst zu bekämpfen, entschied sie sich für besonders lautes Sprechen. Sie war der Meinung, ihre Unsicherheit dahinter besser verbergen zu können.

"Mir ist egal, was die wollen! Wenn sie uns angreifen sollten, machen wir sie fertig!", rief sie ihm zu und da er ihr verängstigtes Gesicht nicht erkennen konnte, lächelte er zufrieden. Er eilte zu einem der Schränke, öffnete mehrere Schubladen, in denen er blind herumkramte, bis er ein Skalpell zu fassen bekam. Er sprang zu Mizlok herüber, rollte ihn rücksichtslos aus dem vollen Mülleimer und trug diesen zu einem weiteren Schränkchen. Daraus holte er eine noch verschlossene Verpackung eines Medikaments heraus, das er in den letzten Stunden wiederholt gesehen aber keine Verwendung dafür gehabt hatte. Er schnitt es mit einem Ruck auf und kippte den Inhalt der Flasche über dem Müll aus. Dann schnitt er sich leicht in die Hand und ließ einige Tropfen seines Blutes, ebenfalls in den Eimer fließen.

Itiama, der ihm am nächsten war, hatte alles beobachten können und wollte ihn gerade fragen, was er da tat, als das Gemisch in dem Mülleimer plötzlich Feuer fing. Zufrieden lächelte Makān und positionierte den Eimer in der Mitte des Raumes. Arīsak spürte, wie das Feuer sie etwas beruhigte, doch als sie wieder zum Fenster sah, hatte sich das gleich erledigt. Das Schlimmste, was sie zu befürchten gehabt hatte, war in wenigen Sekunden eingetreten. Niemand zu sehen.

Es war totenstill in dem Haus und keiner rührte sich. Bald hörte Makān die angstverzerrte Stimme von Arīsak neben sich.

"Was glaubst du, wo sie sind?", flüsterte sie.

"Woher soll ich das wissen?", zischte er zurück. "Du solltest dir lieber eine Waffe schnappen und dich kampfbereit machen."

"Glaubst du, dass sie uns angreifen werden?"

"Ne freundliche Unterhaltung haben die bestimmt nicht im Sinn", antwortete er und blickte immer wieder zwischen Tür und Fenster hin und her.

"Sieht ganz so aus, als müsste ich jetzt doch kämpfen", bemerkte Itiama hinter ihnen und erhob sich langsam. Da hämmerte es plötzlich hart gegen die Tür und Arīsak wirbelte herum. Mit einem Mal waren auf dem Flur gedämpfte Stimmen zu hören. Wieder dieses unheimliche Geflüster, vermischt mit den schlurfenden Schritten der Unbekannten, die sich unbemerkt Zutritt verschafft hatten. Das Poltern wurde lauter und man hörte immer mehr knochige Finger gegen das Holz schlagen. 

"Wieso kommen die nicht rein?", wunderte sich Makān stirnrunzelnd. "Die Tür ist nicht abgeschlossen." Arīsak hob die bewusstlose Ärztin hoch und legte sie zügig auf die Liege, von der sich Itiama soeben erhoben hatte. Er hatte offenbar noch immer Schmerzen, die er aber ignorierte. Während er sich noch nach einer geeigneten Waffe umsah, explodierte das Fenster und zwei der dunklen Gestalten kletterten hindurch. Im Schein des Feuers erkannte Arīsak, dass sie keinerlei Mimik besaßen, sondern stumpf vor sich hin fauchten und brüllten. 

Als sie zum kaputten Fenster lief, um die eintretenden Feinde am Weitergehen zu hindern, flog die Tür auf und ein halbes Dutzend von ihnen, taumelte auf Itiama zu. Der wollte zum Gegenangriff ausholen, als er plötzlich bemerkte, dass Makān neben ihm stand und die Arme ausbreitete. Der unheimliche Krieger, dessen Haut so dunkel wie Kohlen war und dessen Augen nun so hellrot glühten, als würden sie von innen beleuchtet, machte Bewegungen, als würde er etwas Unsichtbares von hinten zu sich heranziehen.

Itiama bemerkte, wie die Schattenrisse an den umliegenden Wänden, ihre Form veränderten und dann ihre Position. Sie schoben sich deutlich sichtbar auf Makān zu und wurden zu einer Art Peitschen, die er nun je eine in die Hände nahm und damit zuschlug. Er schleuderte die Schatten seinen Feinden entgegen, die genau so schnell wieder aus dem Zimmer verschwanden, wie sie hereingekommen waren, allerdings mit etwas mehr Schwung. 

Völlig perplex beobachtete Itiama das weitere Tun seines Verbündeten, der seine Schatten wieder losließ, sich den Typen am Fenster zuwandte, die auf Arīsak loszugehen versuchten und mit den Händen eine freischwebende Kugel aus Dunkelheit bildete. Als täte er nie etwas Anderes, nahm er die Kugel in die Rechte und schleuderte sie auf einen der Angreifer, der sich einfach zur Seite fallen ließ. Makān dirigierte die Schattenkugel mit leichten Bewegungen seiner Zeige- und Mittelfinger und ließ sie einfach in den Anderen krachen. Schreiend flog der Mann wieder aus dem Fenster und sein Kollege stand wieder auf, ohne eine Miene zu verziehen. 

"Die werden kontrolliert", rief er Arīsak zu, die dem unerschrockenen Mann ein Bein stellte.

"Und was machen wir jetzt? Wir können sie nicht einfach alle verprügeln oder umbringen", rief sie zurück, während sie sich darum bemühte, den Mann nicht wieder aufstehen zu lassen, doch der ließ sich weder vom Schmerz, noch irgendetwas Anderem stoppen. 

"Vielleicht würde es reichen, wenn wir wüssten, wer sie kontrolliert", brachte Itiama sich ein und warf sich gegen die Tür, durch die noch mehr seltsame Gestalten brechen wollten.

"Selbst wenn wir das wüssten, wie sollten wir ihn daran hindern..-"

"Hey, ist euch eigentlich aufgefallen, dass sie weg ist?!", unterbrach Arīsak Makāns Frage und deutete auf die leere Liege.

"Es gab doch überhaupt keine Gelegenheit, von hier zu verschwinden!", zischte Makān verärgert und schoss mit Hilfe seiner Schatten, einen Angreifer davon, der durch das Fenster klettern wollte. Dann wickelte er den Mann, gegen den Arīsak kämpfte in seine Schatten ein und hielt sie nach draußen. Er lockerte den Griff der Schatten und der Kontrollierte, der seinem Aussehen nach, ein Bauer oder Ähnliches zu sein schien, landete auf dem Rasen hinter dem Haus.

"Was ist nur mit diesem verfluchten Dorf los?", rief Itiama, der dem Druck der Feinde auf die Tür nicht mehr standhalten konnte und hart auf dem Bauch landete, als sie ins Innere flog. Diesmal blieb die Tür neben ihm liegen und bildete somit kein Hindernis mehr für irgendjemanden.

"Los, raus mit euch!", zischte Makān ihnen laut zu und ein böses Grinsen legte sich über seine Lippen. "Jetzt werden hier andere Seiten aufgezogen." Während er das sagte, kam eine gespaltene Zunge zwischen seinen Zähnen zum Vorschein. 

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt