Der beißende Schmerz, der Āmaks Schulter lähmte und ihn immer panischer werden ließ, fraß sich in Form einer stetig wachsenden Wunde durch seinen Körper. Lady Atokēla, oder Merkuri, wie auch immer sie sich nun nannte, hatte ihn fallen lassen. Diese tiefe Demütigung konnte und wollte Āmak sich nicht bieten lassen. Der Hass wütete in ihm und sein Verlangen nach Vergeltung, trieb ihn zu einer folgenschweren Entscheidung.
Er wartete auf die beste Gelegenheit, in der gerade niemand auf das Regenbogenschwert achtete und steuerte es mit der Hilfe seines gesunden Armes, ohne dass Tiraitān es mitbekam. Wenn er schon in dieser hoffnungslosen Lage war, würde er zumindest noch einen Abgang wie aus einem guten Film hinlegen. Er würde diese Ratte Tiraitān mit sich nehmen und dadurch als Held von Meluhha in die Geschichtsbücher eingehen.
Tiraitān, der gesuchte Schwerverbrecher und Mörder, gefasst und zur Strecke gebracht von einem armen Unbekannten, der doch bloß der Kontrolle der bösen Hexe Merkuri hatte entkommen wollen. So oder so ähnlich würde es den Kindern einer späteren Generation beigebracht werden.
Blitzartig ließ er die legendäre Waffe nach oben schießen und lenkte sie mit Hilfe des Zeigefingers auf sich zu. Er kniff krampfhaft die Augen zusammen und wartete darauf, dass das Metall Tiraitān in den Rücken fahren und ihn selbst durch den Brustkorb durchbohren würde. Ein leises, zufrieden Lächeln legte sich auf seine Lippen und den Schmerz in seiner Schulter hatte er längst vergessen, als habe es ihn nie gegeben.
„Verschwinde sofort!" brüllte Merkuri Tiraitān zu, der keine Fragen stellte, sondern sich vom Körper des schwerverwundeten Āmak losriss und zur Seite drehte, um zu gehen. Diese kleine Drehung war es, die sein Leben rettete, als die Spitze des Regenbogenschwertes sich gnadenlos in den schockstarren Āmak bohrte. Er stolperte einige Schritte zurück, würgte und spuckte Blut. Seine letzte Kraft nutzte er dazu, das Schwert wieder aus seiner löchrigen Brust zu ziehen, womit er den Sterbeprozess nur noch schneller vorantrieb.
Seine graue Kleidung des einfachen meluhhanischen Mannes, färbte sich nach und nach rot, während er sich noch fragte, warum seine Herrin ihn so im Stich gelassen hatte. Womit hatte er diesen Tod verdient? Als er fiel, rappelte er sich noch einmal auf und drehte sich, als wüsste er nicht genau, in welche Richtung er liegen wollte, wenn er starb. Als sein Körper ihm endgültig den Dienst quittierte, lag er auf dem Bauch, wo sich die winzigen Steinchen und der auf einem Marktplatz so übliche Dreck in die Wunde einfügten, wovon er jedoch schon nichts mehr mitbekam. Er hob noch den Zeigefinger und starrte Merkuri aus trüben und dennoch hasserfüllten Augen an.
„Du...du bist d-die Nä...Nächste!" brachte er noch mit heiserer Stimme hervor, bevor er das letzte Bisschen Blut ausspuckte, das sich in seinem Mund gesammelt hatte und ihn gurgeln ließ. Dann wurde sein Arm schwerer und schwerer, bis er am Boden, neben seinem Kopf lag und er die Augen schloss.
Tiraitān war gleich zur Stelle und riss sich das Regenbogenschwert unter den Nagel. Als sähe er es gerade zum ersten Mal, begutachtete er es genüsslich, streichelte mit der freien Handfläche über den kalten Stahl und lächelte niederträchtig. „Endlich!" sagte er leise. „Jetzt gehört es mir mit seiner vollen Kraft."
„Nicht einmal annähernd." unterbrach Palk seinen kurzen Moment der Freude. „Dir fehlen noch einige Steine. Zum Beispiel der Smaragd, ohne den die beiden, die du mir schon geklaut hast, gar nichts nützen. Vielen Dank an der Stelle nochmal dafür." meinte er sarkastisch und zeigte Tiraitān den Mittelfinger.
Am liebsten wäre der nun noch mehr von sich selbst überzeugte Mörder direkt auf ihn losgegangen, doch er musste feststellen, dass er noch immer nicht in der Lage war, seine gewohnte Schnelligkeit und seine Blitzfähigkeiten zu nutzen, solange er das Schwert trug. Das brachte ihn aber nicht aus der Fassung, denn er wusste etwas, was die Anderen nicht wussten und da Palk schon so freundlich gewesen war, den Rubin und den Saphir schon mal für ihn in das Schwert einzusetzen, konnte er nicht anders, als vor Überlegenheit zu lachen.
„Danke." sagte er langgezogen und beugte sich zu Āmak herunter, damit er ihn besser am Kragen packen und nach oben ziehen konnte. Er suchte einen Augenblick in der Innentasche von dessen Oberteil und fand schließlich, was er suchte. Den Smaragd und damit das letzte Puzzleteil, um dem Schwert seine legendären, Elementarfähigkeiten zu verleihen.
Er drehte das Schwert so, dass seine Spitze nach unten zeigte und rammte es in den Boden, der sofort nachgab, als bestünde er aus Butter. Dann suchte er nach dem Einsatz für seinen neuen Stein und als er ihn gefunden hatte, setzte er ihn ganz langsam rein, um den Augenblick auszukosten. Es geschah überhaupt nichts und Tiraitān zweifelte schon daran, ob die Legende tatsächlich stimmte. Er hatte mit einer spektakulären Lichtshow, oder zumindest irgendeiner Art von Machtdemonstration gerechnet, aber es passierte einfach nichts.
„Möglicherweise müssen ja alle Kristalle eingesetzt werden, damit etwas passiert." überlegte Merkuri laut, der man die Enttäuschung deutlich ansehen konnte.
„Oder das Regenbogenschwert weiß, wer sein wahrer Besitzer ist!" hörten sie eine weibliche Stimme rufen. Sie klang weich und freundlich, doch diese unterschwellige Bitterkeit war nur schwer zu überhören. Das Mädchen mit den rotbraunen Haaren, der schreiend gelben Weste und dem Stab auf ihrem Rücken, stand mit Tränen in den Augen, einige Meter abseits ihres Bruders und blickte ihm verzweifelt in die lieblosen, goldbraunen Augen.
„Katāla." sagte er erstaunt. „Du bist wirklich die Letzte, der ich zugetraut hab, dass sie hier auftaucht." gab er zu. „Was willst du hier?"
„Ich will, dass du mit diesen schrecklichen Taten aufhörst!" rief sie ihm laut zu, wobei sie immer stärker gegen die Tränen ankämpfte. „Wann bist du so geworden? Wie konnte es so weit kommen, dass du dein Land verrätst und unschuldige Menschen tötest?"
„Hör schon auf mit dem Theater!" ärgerte Tiraitān sich. „Den da hab ich ja nicht getötet." Grinsend sah er auf Āmak hinunter und trat mit der Fußspitze gegen dessen leblosen Körper.
„Was ist aus dem Tiraitān geworden, der sich so liebevoll um mich gekümmert hat und der immer so neugierig auf die Welt war?" schluchzte Katāla und sackte in die Knie. Tiraitān rührte ihr kleiner Auftritt allerdings wenig.
„Wie kommst du überhaupt her?" wollte er wissen.
„Ich hab sie hergebracht." Tiraitān fuhr herum, als er die Stimme vom Ältesten Yurenas neben sich vernahm. Langsam wurde er richtig sauer.
„Wo kommen die ganzen Schießbudenfiguren her, Merkuri? Ich dachte, das hier wäre so eine geheime Operation von dir!" brüllte er und riss das Schwert aus dem Boden. Er holte weit aus, um Yurenas genauso schnell wieder verschwinden zu lassen, wie er aufgetaucht war, doch Palk war schneller. Er hatte den Holostein, den er seit dem Vorfall im Dorf Nirnuk nicht mehr verwendet hatte, hervorgeholt und mit dessen Hilfe einen Doppelgänger von sich erschaffen. So war er unbemerkt zum heiligen Schwert geschlichen.
Die relativ kurze, kreuzförmige Klinge war wunderschön und ihre weißen Kristalle, die in die vier Enden eingesetzt worden waren, verströmten ihre magische Energie augenblicklich. Es war fast so, als besitze das Schwert einen eigenen Willen,baute eine telepathische Verbindung zu ihm auf. Er verstand nicht, wie das möglich war, doch im Bruchteil einer Sekunde, wusste er nicht nur, welche genauen Fähigkeiten es hatte, sondern auch noch, wie er sie nutzen konnte.
Das Regenbogenschwert zischte auf Yurenas' Hals zu, ehe er reagieren konnte und in der letzten Sekunde, war ein leises Geräusch zu hören, das Ähnlichkeit mit dem Zischen hatte, bei dem der dunkle Gott beinahe zurückgekehrt wäre. Reflexartig und wie von selbst, schmetterte der alte Mann das heilige Schwert nach vorn und verhinderte damit noch einmal, dass Tiraitān ihm den Kopf abschlug. Yurenas atmete erleichtert auf, da zog Tiraitān das Regenbogenschwert wieder zurück, um gleich darauf erneut zuzuschlagen.
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Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]
FantasyDer gerade volljährig gewordene Meluhhaner Palk plant, seine Heimat zu verlassen und die Welt zu entdecken. Doch während er zu diesem Zweck einige Verbündete um sich schart, geschehen schreckliche Dinge und finstere Geheimnisse kommen allmählich ans...