Kapitel 19: Meister und Schüler I

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"Los, Beeilung! Nur noch eine halbe Stunde, dann haben wir's geschafft!", motivierte Palk seine Anhänger, die schon seit einigen Minuten gegen die aufkommende Müdigkeit ankämpften. 

"Palk, ich kann nicht mehr", stöhnte Lakran hinter ihm. "Wir haben die blöde Strecke in Rekordzeit zurückgelegt aber wenn wir ankommen, werden wir viel zu schwach sein um irgendwas zu machen."

"Da muss ich ihm zustimmen", rief Makkatū, der vor einer Stunde gestolpert war und seit der gerade so geglückten Landung auf beiden Füßen, schmerzen im Schienenbein hatte. Palk blieb stehen und die überraschten Kämpfer, konnten gerade noch hinter ihm bremsen und kamen schwer atmend zum Stillstand. 

"Wie ihr meint", meinte Palk schließlich. "Glaubt ihr, ihr könnt auf euch aufpassen? Es sind nur noch einige Kilometer, da sollte eigentlich nichts mehr passieren, aber man weiß ja nie."

"Ich denke, falls etwas sein sollte, können wir uns schon noch wehren. Hast du wirklich vor, allein weiterzulaufen oder sehe ich das falsch?", fragte Katāla mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck. 

"Keine Angst, ich kümmere mich schnell um...was auch immer auf mich wartet und dann komm ich euch entgegen", sagte Palk, lächelte ihr kurz zu und hob dann nur noch die Hand zum Abschied. Als er außer Sichtweite war, schaute Lakran sie nachdenklich an.

"Ich verstehe diesen Typen nicht ganz, aber ich bekomme langsam selbst ein schlechtes Gefühl. Ob wir ihn wirklich allein lassen sollten?"

"Wir haben keine Wahl", winkte Makkatū ab. "Keiner von uns ist noch fit genug, mit seinem Tempo mitzuhalten. Woher er diese Energie nimmt, soll mir mal einer verraten." Katāla und Lakran mussten unwillkürlich lächeln.


Es dauerte nicht lange, da erreicht Āmak das Haus, von dem man ihm gesagt hatte, dort wohne der Älteste Yurenas. Noch einmal setzte er sein freundlichstes Lächeln auf und klopfte. Einen Moment später öffnete Yurenas und blickte ihn nichtssagend an. Als der alte Mann keine Anstalten machte, irgendwas zu sagen, ergriff Āmak selbst das Wort.

"Hallo nochmal, wir kennen uns ja schon." Er streckte Yurenas seine Hand hin, dieser zögerte erst und schaute auf das Kästchen in dessen anderer Hand. Dann erwiderte er die Geste und antwortete ihm.

"Stimmt, da musste ich doch tatsächlich erstmal überlegen. Ich bin eben schon ein alter Mann."

"Ach was?", lachte Āmak übertrieben laut und hielt die Schatulle hoch. "Wie Sie vielleicht sehen können, Ältester Yurenas, sammle ich die Lichtsteine ein, wie mich der Oberälteste persönlich gebeten hat. Dürfte ich vielleicht kurz reinkommen und Ihnen die Situation genauer erklären?"

"Bitte, kommen Sie!", sagte Yurenas höflich und schloss die Tür hinter Āmak, der unsicheren Schrittes, den Weg zur Küche fand. Auf seinen fragenden Blick hin, nickte Yurenas und die beiden setzten sich gegenüber voneinander hin. Āmak stellte die Schatulle auf den Tisch und holte einmal tief Luft. 

"Wie ich schon sagte, bat mich der Oberälteste, die Lichtsteine der Ältesten einzusammeln und sagte mir..-"

"Zu welchem Zweck?", unterbrach Yurenas ihn tonlos. Āmak kämpfte gegen die Nervosität.

"Nun ja", sagte er und dachte angestrengt nach. "Es geht um...also, man macht sich Sorgen um die Kristalle, weil sie in falsche Hände gelangen könnten." Er musste sich Mühe geben, nicht an seinem Kragen herumzufummeln, der sich fühlbar mit Schweiß füllte. 

"So so, darum macht man sich Sorgen?", wunderte sich Yurenas. "Dabei weiß doch jeder in Lyiapatazia, dass ich mich nicht so einfach bestehlen lasse."

"Jeder hat doch mal einen schlechten Tag", argumentierte Āmak schief lächelnd. 

"Nein, ich nicht", widersprach der alte Mann wie aus der Pistole geschossen und lächelte dabei hochnäsig.

"Wie dem auch sei", meinte Āmak ungeduldig. "Der Oberälteste bat mich, Ihnen den Stein abzunehmen, damit ich ihn zu den Ander...-"

"Dem Oberältesten habe ich nie gesagt, dass ich einen Lichtstein besitze", sprach Yurenas erneut dazwischen und seine Stimme wurde düster. 

"Sagte ich das? Oh, entschuldigen Sie, ich bin gerade ziemlich im Stress", redete Āmak sich heraus.

"Scheint so."

"Eigentlich war ich vorher bei Makarik und Merkuri und die haben mir gesagt, dass ich den Stein bei Ihnen fände."

"Hm, wenn das so ist", sagte Yurenas und fuhr sich mit der Hand durch den Bart. "Allerdings können Sie dem Oberältesten ausrichten, dass ich nicht beabsichtige, den Kristall aus der Hand zu geben. Ich kann selbst auf ihn aufpassen", stellte Yurenas klar.

"Ich bitte Sie, machen Sie dem Rat keinen Ärger." Āmaks Unsicherheit wandelte sich langsam in Wut. Der alte Mann überlegte ein paar Sekunden und legte die Hände auf den Tisch.

"Wie Sie meinen, ich will mich dem Oberältesten gegenüber ja nicht feindselig benehmen", sagte er schließlich und Āmak lächelte. 

"Das ist wirklich weise von Ihnen, Ältester Yurenas." 

"Ich weiß."

"Würden Sie dann so freundlich sein?", bat Āmak. 

"Selbstverständlich. Würden Sie mir noch einmal Ihren Namen sagen?", fragte Yurenas und kratzte sich verlegen an der Stirn. "Ich hab ihn ehrlich gesagt vergessen."

"Gerne doch", lachte Āmak erleichtert. "Mein Name ist Āmak." Yurenas stand auf, ging um den Tisch herum und blieb auf der Türschwelle stehen. Als Āmak ihm folgen wollte, drehte sich Yurenas um und blickte ihm so finster in die Augen, wie der es noch nie bei einem Meluhhaner gesehen hatte. 

"Und jetzt sagst du mir augenblicklich, wer du wirklich bist, sonst werde ich meine von Haus aus freundliche Art ablegen!" Kaum dass er es ausgesprochen hatte, raste ihm eine Faust entgegen. Yurenas ergriff sie direkt vor seinem Gesicht. Seine faltige Hand zitterte zwar, doch für einen so alten Mann, waren seine Reflexe mindestens ebenso beeindruckend, wie seine Kraft, mit der er den Schlag sauber pariert hatte. 

"Woher hast du es gewusst?", fragte Āmak, der keinen Wert mehr auf seine Tarnung legte. Nun war er schon durchschaut worden, da konnte er auch gänzlich ehrlich sein.

"Du sagtest vorhin, dein Name sei Amakamakasi oder so ein Gestammel." Yurenas rann sich ein überlegenes Lächeln ab. Noch immer hielt er die Faust seines zornig zitternden Gegenübers gepackt. "Außerdem trägst du die Kleidung eines echten Meluhhaners, aber wusstest nicht, dass eine Durchreise hier nicht möglich ist. Hinter Meluhha liegt das Meer."

"So was kann auch nur mir passieren", ächzte Āmak genervt. "Natürlich war es keine Lüge, die mich enttarnt hat. Für einen alten Knochen, bist du wirklich in Form."

"Du hast ja keine Ahnung", gab Yurenas zurück und holte mit der freien Hand aus. Āmak konnte noch zurückspringen und spürte plötzlich eine Arbeitsplatte in seinem Rücken. Diesen winzigen Augenblick der Verwirrung, nutzte Yurenas aus und sprang auf Āmak zu. Der warf sich zur Seite, Yurenas Faust sauste ins Leere und Āmak wirbelte seine linke Hand herum. Yurenas wollte gerade über diese dämlich aussehende Bewegung lachen, als ihm ein leerer Messerblock an den Kopf knallte. Stöhnend erhob er sich und hielt seine blutende Stirn. "Gut, dass die alle im Abwasch sind, was?"

"Wofür hast du denn alle deine Messer gebraucht?", wunderte sich Āmak, da schoss ein Fleischermesser an ihm vorbei und blieb in der Wand hinter ihm stecken. Mit großen Augen starrte er Yurenas an, der ihn souverän angrinste.

"Was denkst du eigentlich, mit wem du es hier zu tun hast?", fragte er und bevor er noch etwas sagen konnte, sprang Āmak plötzlich hoch und ließ einen Stuhl unter seinen Beinen hinweg fliegen, der in Yurenas' Beine krachte. "Was hast du eigentlich vor?", fragte er, als er sich erneut erhob.

"Du hast ja keine Ahnung", äffte Āmak ihn nach und grinste, bevor er wieder die Hand hob.

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt