Kapitel 4: Die Reifeprüfung IV

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Mit geschlossenen Augen, vor der Brust verschränkten Armen und einem hinterhältigen Lächeln auf den Lippen, stand Tiraitān vor seinem Gegner, der seinen Mut verloren hatte und ihn ungläubig anstarrte. Schließlich hob Lakran den Zeigefinger und richtete ihn mit wässrigen Augen auf seinen verhassten Kontrahenten.

"Wie zum Teufel kann das sein?! Wie kann es passieren, dass ausgerechnet du...du mein verdammter Gegner bist?!", brüllte er und versuchte, nicht vor Wut und Verzweiflung loszuheulen. Unbeeindruckt öffnete Tiraitān die Augen und verzog das Gesicht zu einem Schmollmund, mit dem er Lakran noch weiter demütigte.

Palk konzentrierte sich und sah eindringlich zu seinem Freund herüber, der schon jetzt kurz vor dem Ausrasten zu sein schien. Als der endlich den Blick erwiderte, kämpfte Lakran die Stimmen in sich nieder, die ihn als Versager bezeichneten und ihn dazu zwingen wollten, sich vorzustellen, wie er blutend und heulend vor seinem Gegner im Dreck lag und seine Niederlage eingestand. Er ballte die Hände zu Fäusten, konzentrierte seine Kraft darauf und dann rannte er los. Er konnte nicht einmal so schnell hinsehen, wie er plötzlich den Schuh in seinem Magen spürte, der ihn mit voller Wucht nach hinten katapultierte. Hart landete er auf dem rauen Steinboden, wobei er sich die Rückseite seines grauen Pullovers zerschrammte.

Lakran rollte sich mehrfach seitlich herum und blieb einen Moment lang liegen. Seine aufgeschürfte Haut schmerzte, doch er erhob sich sofort wieder und stierte Tiraitān wütend an. Dessen verächtliches Lächeln machte ihn rasend. Tiraitān stand nun dort, wo sich Lakran zuvor befunden hatte, noch immer mit verschränkten Armen und kein Bisschen angestrengt. Wo nahm dieser Mistkerl nur die immense Schnelligkeit her und warum schien ihn der Einsatz seiner Fähigkeiten keinerlei Mühe zu kosten?

"Bist du schon fertig mit versagen?", fragte sein Widersacher lässig. Lakran konzentrierte sich noch stärker als zuvor, versuchte, die aufkommende Wut und den Schmerz nicht an sich heranzulassen. Dann begann er, dünn zu lächeln und hob den Kopf.

"Fangen wir endlich an?", fragte er zurück und Tiraitān lachte freudlos.

"Pass auf! Weil du so ein lieber, kleiner Junge bist, wird der Onkel dich heute nicht ganz so übel verdreschen. Ich werde dich nur ein Wenig treten bis es keinen Spaß mehr macht", verkündete er und Lakran ging in eine Angriffsstellung, die Palk ihm gezeigt hatte. All die Anstrengungen seines Freundes wären umsonst gewesen, hätte er sich jetzt von ein paar windigen Kratzern vom Kampf abhalten lassen. Das konnte und wollte er nicht zulassen. Er würde denen, die an ihm zweifelten, schon noch beweisen, wozu er in der Lage war.

Nun war es Tiraitān, der zuerst angriff und als Lakran tief in sich hineinhorchte, kam es über ihn, wie eine Welle aus Licht. Obwohl sich sein Gegner wie ein geölter Blitz bewegte, sah Lakran den Angriff kommen. Die harte Faust, die auf ihn zuraste, war direkt vor seinem Gesicht, als er sie mit beiden Händen umklammerte und die Attacke stoppte. Als er seinerseits zuschlagen wollte, stieß sich Tiraitān mit den Füßen von seiner Brust ab und landete elegant, in einigen Metern Abstand.

"Mist!", zischte Lakran und biss sich auf die Unterlippe. "Das war nah dran, aber gereicht hat es leider noch nicht."

"Interessant", merkte Tiraitān an und sah wenigstens nicht mehr ganz so gelangweilt aus. "Du hast also endlich was dazugelernt. Schade, dass es umsonst war." Lakran grinste ihn wissend an und nahm diesmal seine Verteidigungsposition ein.

"Wie hast du das eigentlich angestellt?", rief er zu dem Rothaarigen herüber, wobei er jedoch darauf achtete, nicht seine Deckung fallen zu lassen.

"Wovon redest du?", fragte Tiraitān zurück.

"Ich will wissen, wie du dafür gesorgt hast, dass wir jetzt gegeneinander...-"

Weiter kam Lakran nicht, denn sein Gegner schoss auf ihn zu. Ein Faustschlag mit der Linken, dann ein Tritt mit rechts. Zu guter Letzt ließ er nochmal seine Linke gegen die Brust seines Gegners schnellen. Lakran lächelte selbstsicher, als Tiraitān begriff, dass sämtliche seiner Angriffe pariert worden waren. Blitzschnell sauste dieser um Lakran herum und als er hinter ihm stand, trat er mit aller Kraft zu. So schnell hatte sich Lakran noch nie zuvor fallen lassen müssen, doch es gelang ihm zu seiner eigenen Überraschung tatsächlich. Er richtete in Gedanken seinem Freund dank aus, der ihn auch im Ausweichen hervorragend trainiert hatte. Doch bevor er wieder ganz hochkommen konnte, stand sein Widersacher schon über ihm und rammte ihm mit einem Tritt die Stirn in den Boden.

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt