Kapitel 12: Aufbruch III

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Alle schnappten sich ihre Sachen und verließen die Arena, wo bereits einige ältere Mitbürger auf sie warteten, um sich zu verabschieden. Auch Ältester Ukāla und Ältester Yurenas hatten sich dazugesellt, um den Rat zu repräsentieren und sich auch selbst zu verabschieden. Lakran wunderte sich erst, warum Uvāri nicht gekommen war, doch Yurenas teilte ihm in einem stillen Moment mit, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte und Zuhause zu den Göttern beten wollte, um für seine Sicherheit zu sorgen. Der Hauch von Enttäuschung wich schnell einem warmen Gefühl der Zuneigung und der Dankbarkeit. 

"Sag mal, wo ist eigentlich die zweite Gruppe von der Oberältester Viyalān gesprochen hat?", fragte Palk, als er sich von Yurenas verabschiedete. 

"Sie werden in diesem Moment noch zusammengestellt und werden heute Abend in die entgegengesetzte Richtung losgehen", erklärte Yurenas und umarmte seinen Schützling. Palk war es nicht gewohnt, dass Yurenas übermäßig seine Gefühle preisgab, doch er konnte sehen, dass ihm Tränen in den Augen standen und er Sorgenfalten auf der Stirn hatte. Palk löste sich aus der Umarmung, sah ihn ernst an und meinte dann:

"Mach dir keine Sorgen, ich werde wiederkommen. Ganz egal was passiert, ich kehre zurück!"

"Kannst du das versprechen, Junge?", der alte Mann schluchzte schon fast und musste sich um ein respektables Auftreten sichtlich bemühen.

"Selbstverständlich!", antwortete Palk und lächelte schief. "Wer schnorrt sich denn sonst in den nächsten Jahren bei dir durch?" Yurenas schenkte ihm ein Lächeln und ging gemessenen Schrittes davon. Die anderen Verwandten und Freunde der Gruppe, taten es ihm gleich. Als die acht allein waren, stellte sich Palk in ihre Mitte und rief mit entschlossener Stimme:

"Los geht's, Freunde! Verlieren wir keine Zeit und erledigen unsere Aufgabe!" Eine Welle der Euphorie erfüllte die Gruppe und sie marschierten in Richtung des Eingangstores zu Lyiapatazia.


Gegen Abend kamen sie an der Stadt Lakya-Rapīlo vorbei, in deren Nähe sich Lakran mehr als unwohl fühlte. Das letzte Mal, dass er mit seinem guten Freund Okanur verbracht hatte, war diese kleine Reise gewesen und dort hatten sie erst eine richtige Verbindung zueinander aufgebaut. Dies war nur einer der Gründe, warum sie beschlossen, noch keine Pause einzulegen, sondern solange weiterzugehen, bis einer von ihnen kein Stück mehr gehen konnte. Erstaunlicherweise war dies allerdings erst gegen Mitternacht der Fall. Sie schlugen ihr Lager an einem kleinen Wäldchen auf, machten Feuer und unterhielten sich noch einige Zeit.

Vermutlich war es ihnen peinlich das zuzugeben, aber manchen von ihnen sah Palk an der Nasenspitze an, dass sie Lakrans Füßen dankbar dafür waren, dass er sich als Erster beklagt hatte. Nur noch wenige Stunden Fußmarsch, dann würden sie das nächste Dorf erreichen, hinter dem schon das Meer lag.

Wieder in der Nähe eines Waldes. Dieser hier war dichter und düsterer, was möglicherweise auch an der Dunkelheit lag, die ihn umgab, doch es war wieder ein Wald. Er wirkte unnatürlich still und bis jetzt hatten sie noch keinen einzigen Menschen getroffen oder nur das kleinste Tier gesehen. Diese Gedanken gingen Lakran durch den Kopf, als er sich zum Schlafen gegen einen Stein lehnte und seine Kapuze überzog, um es etwas bequemer zu machen.

Plötzlich hörte er in der Nähe etwas knacken. Die Anderen, die jeweils auch einige Meter voneinander entfernt lagen oder saßen, schienen nichts bemerkt zu haben. Als es erneut leise knackte, stand Lakran lautlos auf und ging langsam in die Richtung, aus der er es zu hören geglaubt hatte. Wenn es hier keine Tiere oder Menschen gab, war dieses Geräusch absolut unnatürlich, denn es hörte sich an, als würde jemand auf dünne, morsche Äste treten.

Lakran kam den Büschen, die in vollkommener Finsternis lagen immer näher und plötzlich nahm er neben sich eine Bewegung wahr. Jemand griff nach seiner rechten Schulter. Er wirbelte herum, holte mit der Faust aus und kaum, dass er zuschlagen wollte, flüsterte der Mann:

"Ganz ruhig!" Lakran versagten beinahe erneut die Beine, doch diesmal kam es von dem kurzen Schock den er gerade loswurde. Makkatū hatte sich unbemerkt genähert, um Lakrans Tun zu beobachten.

"Was zum Teufel machst du hier? Schleich dich doch nicht so an!", zischte Lakran angespannt.

"Ich wollte wissen, wovor du Angst hast. Nichts für ungut", erwiderte Makkatū leise.

"Wer sagt, ich hätte Angst? Ich hab keine Angst!"

"Mein Freund, ich kann deine Gedanken lesen und du hast sehr wohl Angst", säuselte Makkatū. Lakran erwiderte darauf nichts.

"Kommst du mit nachsehen wer sich da drüben versteckt?", fragte er schließlich und Makkatū kicherte leise.

"Deine Ohren sind nicht schlecht", sagte er und gemeinsam schlichen sie auf die Büsche zu, die eine Art löchrigen Zaun um den Wald bildeten. Als sie direkt davor standen, hielt Makkatū seinen Verbündeten jedoch zurück. "Da vorn ist tatsächlich jemand, aber er hat einen Gedankenschild", sagte er und Lakran sah ihn an. Zumindest vermutete Makkatū, dass er ihn ansah, denn er konnte nur schemenhafte Umrisse von ihm erkennen, seit sie sich aus dem Mondlicht entfernt hatten.

"Was soll das heißen? Ist das dieser Code, der Telepathen beschützt?", fragte er und Makkatū war überrascht.

"Beeindruckend, dass du das weißt", sagte er leise. "Ja, der Typ da hinten ist mit großer Wahrscheinlichkeit, ein ziemlich mächtiger Telepath. Vielleicht sogar ein reinrassiger Bermuthaner."

"Scheiße, was machen wir jetzt?" Lakran wurde in seiner wachsenden Angst lauter. Sofort hielt Makkatū ihm die Hand vor den Mund.

"Ganz egal, was der für Fähigkeiten hat, er kann uns anscheinend nicht sehen oder hören. Sonst hätte er schon angegriffen oder sich aus dem Staub gemacht."

"Stimmt, jemand hat mal erwähnt, dass die aus Bermuth alle unterschiedliche, psychische Fähigkeiten haben", fiel Lakran ein.

"Richtig, zumindest die Meisten. Natürlich gibt es auch welche mit den gleichen Kräften und fast alle können Gedanken lesen", erklärte Makkatū weiter.

"So gut wie Meluhhaner?", fragte Lakran nervös.

"Besser."

"Das ist schlecht", bemerkte Palk, der sich hinter die beiden geschlichen hatte und die beiden fuhren so sehr zusammen, dass sie kurz aufschrien.

"Scheiße!", rief Palk, als man jemanden wegrennen hörte. Sofort machte er mit seinen Händen eine Bewegung, als würde er etwas aufreißen und vor ihm teilten sich die Büsche. Er rannte hindurch, hüllte sein Faust in Flammen, um etwas sehen zu können und sprintete los. Um ein Haar hätte er den Spion zu fassen gekriegt, doch der riss im Rennen die Arme nach hinten und ließ zwei Bäume vor Palk ineinander krachen. Sofort sprang dieser zurück und als er über die breiten Stämme sprang um seinem Feind einen Stoß Flammen hinterherzuschicken, drehte der sich kurz um, drehte die offenen Hände über seinem Kopf und ließ es massenweise Blätter regnen.

"Schnell, er entwischt sonst!", rief Makkatū, der nun direkt neben Palk war.

"Warum benutzt du nicht dein Feuer?", rief Lakran hinter ihnen und Palk wurde langsamer.

"Vergiss es!", erwiderte der. "Ich kann hier nicht mehr mit Feuer arbeiten, wir fackeln noch den ganzen Wald ab. Und mit Luft kann ich ihm nicht mehr beikommen. Lasst uns einfach zurückgehen", schlug er vor und mit klopfenden Herzen, gingen sie zurück zu der kleinen Feuerstelle, die sie für die Nacht vorbereitet hatten.

Sie beschlossen, dass einer immer wach bleiben und Wache schieben sollte, um eine Stunde später vom Nächsten abgelöst zu werden. Das zogen sie die nächsten acht Stunden durch und als sie sich wieder aufmachten, waren alle einigermaßen ausgeruht. 

Dass der Fremde ihnen auch weiterhin folgte, bekamen sie gar nicht mit.

Palk - Finde dein Schicksal [Überarbeitung seit 08.2023]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt