1. Kapitel

5.1K 441 47
                                    

Die Häuser ziehen an uns vorbei und die Kulisse verschwimmt zu bunten Streifen. Adrenalin strömt durch meinen Körper und ich spüre den Schweiß auf meiner Haut, während ich still und unbewegt da sitzen. Meine Gedanken sind wirr und unübersichtlich, während ich versuche, irgendwie zu verstehen, was gerade passiert ist.

Ich habe das Gefühl, ich werde immer noch von den Blitzen der Kameras geblendet, meine Ohren pfeifen und ich höre mein Blut durch meine Venen rauschen. „Louis." Man könnte meinen, ich wäre hunderte Meter von ihm entfernt. Seine Stimme hallt in meinem Kopf wieder und ich würde gerne reagieren, aber ich kann nicht. „Louis... Schatz." wiederholt er, aber ich starre nur weiter aus dem Fenster. Die Straßen meiner Heimatstadt fliegen an mir vorbei, bis wir schließlich anhalten. Wir sind auf einem Rollfeld.

Ich zucke zusammen, als Jimmy die Tür öffnet. Dann stehe ich auf und schaue zu dem Jet vor mir. Ich bemerke nicht einmal, dass Harry zu mir gekommen ist. Erst, als er seine Finger zwischen meine schiebt und meine Hand greift, bekomme ich mit, dass er auch ausgestiegen ist. „Komm mit." sagt er sanft und führt mich zu dem Flugzeug. Er lässt mir den Vortritt und langsam gehe ich die wenigen Stufen hoch. Alles fühlt so an, als wäre es durch eine Schicht Watte von mir getrennt. So surreal, fremd und weit weg. Es ist wie ein schlechter Trip. Ich gehe den schmalen Gang entlang und komme bei den großen Ledersitzen an. Harry steht hinter mir, er hat eine Hand auf meine Hüfte gelegt und mich langsam aber sicher weiter nach vorne gedrängt.

„Setz dich." weißt er mich liebevoll an und deutet auf den freien Platz. Ich sage nichts, komme dieser Aufforderung aber nach. Was passiert hier nur gerade? Fast sofort bewegt sich das Flugzeug und hebt nur etwas später vom Boden ab. Ich sehe aus dem Fenster, aber wirklich beachten, was ich dort erblicken kann, tue ich nicht.

Als wir durch die Wolkendecke fliegen und kurz darauf die Häuser und Straßen unter uns zu weißen Wattebauschen werden, kommt eine Stewardess zu uns und stellt sowohl Harry als auch mir ein Wasser hin. „Trink was." bittet er mich vorsichtig und ich greife nach dem Glas. Als das kühle nass meine Kehle herunter läuft, komme ich wieder etwas näher an die Realität heran und trinke es in einem Zug aus. Harry schiebt mir sein Glas zu und ich auch leere ich in ein paar Sekunden komplett. Ich habe nicht bemerkt, wie trocken mein Mund bis zu dem Zeitpunkt eigentlich war.

Harry hebt eine Hand und die Stewardess kommt wieder. Er sagt ihr, dass sie doch noch mehr Wasser bringen solle und einen Moment später sind die beiden Gläser wieder aufgefüllt. Die Flasche behält Harry direkt da. Ich trinke noch ein wenig, aber das Glas ist danach nicht wieder leer. „Besser?" fragt er und sieht mich besorgt an. Ich nicke leicht und atme tief ein und wieder aus.

Scheißdreck.

„Es... wie haben sie dich gefunden?" frage ich leise und zucke unruhig mit meinem Bein. Harry seufzt und fährt sich durch die Haare. „Ich habe keine Ahnung. Jimmy hat schon alle seine Leute darauf angesetzt. Außerdem kaufen sie die Bilder von allen Quellen ab, die sie finden können." erklärt Harry mir und schafft es damit tatsächlich mich wenigstens ein wenig zu beruhigen. Trotzdem wabern die ganze Zeit verschiedenste Szenarien durch meine Gedanken. Ich kann ja nicht einmal mehr normal einkaufen gehen. Ich kann nicht mehr mit der Tube fahren, ich weiß nicht, ob ich weiter arbeiten kann. Mit Missi war es anders abgesprochen!

Ich versuche ruhig zu bleiben, aber meine Muskeln sind alle angespannt und am liebsten würde ich aufspringen und jeden einzelnen Speicherstick der Fotografen eigenständig im Wasser versenken; im Atlantik oder so. Harry mustert mich, dann stellt er die Gläser neben uns auf den Boden, klappt den Tisch ein und drückt auf einen anderen Knopf. Seine Rücklehne fährt ein wenig herunter und die Beinstütze fährt etwas hoch. Verwundert sehe ich zu, wie ich der Sitz zu einer Liege verwandelt. Er sitzt noch aufrecht, streckt einen Arm aus und hält mir seine geöffnete Hand hin. Zögerlich lege ich meine hinein und stehe auf.

This OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt