35. Kapitel

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Er zieht die Decke höher und hofft darauf, dass er einfach in Ruhe gelassen wird. „Prinz Harry." Es klopft. „Eure Hoheit." Es klopft erneut. Harry ignoriert es strickt und wartet darauf, dass, wer auch immer gerade vor der großen Flügeltür steht, in den nächsten paar Sekunden wieder verschwindet.

„Eure Hoheit, ihr müsstet so langsam aufstehen." ertönt es erneut und wieder wird geklopft. Harry stöhnt genervt. Könnten sie ihn nicht einfach mal in Ruhe lassen? „Ja doch." murmelt er, öffnet die Augen aber nicht. Am liebsten würde er direkt wieder einschlafen, seinen Auftritt von Vorgestern vergessen. Es war ein absolutes Desaster und das weiß er. Er will gar nicht wissen, was jetzt alles über ihn geschrieben wird. Tatsächlich ist es ihm ziemlich egal, aber er weiß, dass er die nächste Ausgabe von MiRoyl ja doch lesen wird. Wozu hat er auch dieses blöde Abo abgeschlossen?

Es klopft wieder. „Ihr werdet im großen Saal erwartet, Eure Hoheit." - „Bin gleich da." antwortet er nur und setzt sich gezwungener Maßen auf. Kann er nicht einfach kündigen. Ach nein, er vergaß, es ist ja ungefähr der einzige Job auf der ganzen weiten Welt, den man nicht kündigen kann. Ihm bleibt nichts anders übrig, als sich aufzurappeln und in die Dusche zu schleppen. Er hat einige Bilder gesehen, die aktuell von ihm durch die Presse kursieren, und sie sind alles, aber nicht hinnehmbar.

Auch nach der Dusche, blickt sein Spiegelbild ihm müde, mit roten Augen und blasser Haut, entgegen. Seine Locken hängen nass an den Seiten herab, aber es könnte ihm nicht egaler sein. Er geht in sein Ankleidezimmer und entscheidet sich für eine schwarze, weite Hose und ein stinknormales Shirt. Erst wollte er nach der Kleidung von ADIDAS greifen, aber wirklich Lust, schon wieder mit seinem Vater zu diskutieren hat er nicht. Er föhnt seine Haare nicht, kämmt sie nicht einmal und zieht auch keine Schuhe an. Wieso auch? Das hier ist sein Zuhause und außerdem wird sowieso jeden Tag gefühlt dutzende Male geputzt, Staub gewischt und alles poliert.

Er kommt in den großen Saal und murmelt ein „Morgen." vor sich hin. Gemma mustert ihn und seufzt leise. Er tut ihr unfassbar leid. Zugegeben, am Anfang war sie eher skeptisch gegenüber Louis, aber dann hat sie recht schnell mitbekommen, wie viel glücklicher er war, ausgeglichener und ihr ist auch aufgefallen, dass Harry schon lange nicht mehr seine Bar aufgefüllt hat. Normalerweise musste das einmal die Woche getan werden, ab und an auch öfter. Inzwischen trinkt er deutlich weniger und sie meint mitbekommen zu haben, dass er auch schon seit einer Weile nichts mehr geraucht hat.

Trotzdem war ihr natürlich auch klar, dass Harry und ihr Vater noch ordentlich Stress wegen Louis bekommen würden. Ihr Vater will die Monarchie erhalten, irgendwie logisch, aber genau deswegen kann Harry keinen Mann heiraten. Absoluter Schwachsinn. Der eingestaubten Monarchie würde ein wenig Abwechslung mal ganz gut tun. Abgesehen davon möchte sie natürlich nur das beste für Harry und jeder, der behauptet, dass es nicht Louis ist, muss wohl hinterm Mond leben.

Harry lässt sich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen und greift nach seiner Tasse. „Frühstückst du nichts, Harry?" fragt die Königin dann verwundert und ein besorgter Unterton schwingt in ihrer Stimme mit. Harry reagiert nicht. Gestern hat er nicht einmal sein Zimmer verlassen, vielleicht einen halben Teller gegessen und den Rest zurück gehen lassen. Er ist nicht in Hungerstreik gegangen, er hat einfach nur nicht das Bedürfnis, etwas zu essen, kein Appetit, kein Hungergefühl.

„Du musst etwas essen, Sohn. Heute kommt der französische Präsident und das weißt du. Noch so einen Auftritt wirst du dir nicht leisen." Das Wort Sohn, passt in diesen Satz ganz und gar nicht rein. Der König spricht mit Harry eher, wie mit einem Angestellten, kalt und distanziert. Harry nickt abwesend. Er weiß, dass es heute besser werden muss, aber er hat nicht die geringste Ahnung, wie das klappen soll.

Wie soll er denn so tun können, als würde sein Herz nicht immer mehr ausbluten? Wie soll er so tun, als ginge es ihm gut? Jeder Mensch hat schlechte Zeiten und es ist unfair dass das bei den Royals nicht so sein soll. Nein, Harry muss immer strahlen, ein Vorbild sein und die gute Lebensqualität des Landes widerspiegeln. Pah. Lebensqualität. Er wird jeden Tag beobachtet, hat keine Privatsphäre, nicht die Befugnis, die Politik besser zu machen, obwohl er die Reichweite hat und ein gebrochenes Herz, weil er den Mann, den er so sehr liebt, angelogen hat.

Aber nach der Meinung seines Vaters, hat er das zu verbergen; mit einem schicken Anzug, maßgeschneidert versteht sich, einigen Abzeichen und der Krone auf dem Kopf, ist das alles nicht mehr so wichtig und die Schmerzen sind wohl auch nicht mehr da. Harry fragt sich wirklich, ob sein Vater so etwas, wie Liebeskummer oder nur mal im Ansatz gespürt hat.

Es ist eine totgeschwiegene Tatsache, dass die Ehe seiner Eltern mehr oder weniger arrangiert war. Sie haben sich zu ihrem Glück wirklich gut verstanden, sie waren beide für die Ehe, aber vermutlich hätte es noch einige Jahre gedauert, bis sie wirklich vor den Altar getreten wären, wenn es nicht die ganze Nation interessiert hätte. Bei ihm ist das anders, es gibt jemanden, den er so viel lieber heiraten würde, wenn es sein müsste, auch jetzt und hier auf der Stelle.

„Also Harry, hast du dir schon überlegt, wen du zum Winterball einladen möchtest?" fragt seine Mutter dann und er zuckt mit den Schultern. „Niemanden." murmelt er, nachdem ihm fast Louis' Name herausgerutscht wäre. „Harry, der Ball ist in zwei Wochen und wir haben dir wirklich Zeit gelassen, dich zu entscheiden." sagt sein Vater mit deutlich härterer Stimme.

„Du weißt, dass dieser Ball äußerst wichtig ist und wir erwarten von dir, dass du deine Stellung ernst nimmst! Die letzten paar Tage haben wir dich weitestgehend in Ruhe gelassen, aber so kann das nicht weiter gehen. In zwei Wochen erwarte ich von dir, einen perfekten Auftritt. Also, wen möchtest du einladen?" fragt er erneut und Harry seufzt genervt. „Harper." entgegnet er nur, da sie nach Louis der Mensch ist, dem er am nächsten steht.

Außerdem wäre Harper so oder so da gewesen und eine beste Freundin an seiner Seite zu haben, ist vielleicht gar nicht so schlecht. „Gut, Steven!" Der Bodyguard tritt einen Schritt nach vorne. „Schicken Sie die Einladung an Harper Anderson mit der Frage, ob sie den Prinzen zum Winterball begleitet. Und schicken sie den Schneider, er wird einen neuen Anzug tragen." weißt er ihn an und Harry würde ihm am liebsten sagen, dass das nicht Stevens Aufgabe ist, aber er lässt es.

Steven gibt die Anweisung weiter und Harry stellt die leere Tasse weg. „Wann werde ich erwartet?" fragt er monoton. „Eine Stunde." erwidert sein Vater im gleichen Tonfall und Harry steht auf. „Als er aus der Tür ist, atmet er tief ein und wieder aus. Sehr viel länger hätte er es darin wirklich nicht ausgehalten. Sein Vater tut so, als wäre nichts geschehen, als hätte er vielleicht eine leichte Erkältung gehabt, aber mehr nicht.

Dann hört er plötzlich, dass die Tür erneut geöffnet wird. „Lass gut sein." sagt er nur und seine Schwester stellt sich neben ihn. „Woher weißt du, dass ich es bin?" - „Glaubst du wirklich, Mum oder Dad bequemen sich dazu, aufzustehen und mir nachzulaufen?" fragt er ironisch. Sie muss ihm recht geben, das wäre mehr als unrealistisch.

„Hast du ihn angerufen?" fragt sie dann, während sie den Weg zu Harrys Gemach einschlagen. Er antwortet nicht, aber das reicht, damit Gemma es weiß. „Wieso nicht?" - „Er hat es beendet, Gem." erwidert Harry und klingt dabei so verzweifelt, wie selten. Gemma weiß nicht recht, was sie darauf antworten soll. Es war immer so, dass Harry eine Lösung für alles hatte, manchmal war es vielleicht Alkohol und Geld, aber es hat funktioniert. Jetzt tut es das nicht und Gemma fühlt sich unglaublich machtlos.

Harry weiß nicht mehr, was er fühlt, oder ob der Schmerz in seiner Brust sowieso alles andere in den Schatten stellt. „Er hat mir deutlich gesagt, dass es vorbei ist, dass es nichts bringt, so zu tun, als könnten wir daran arbeiten und du weißt, er hat recht. Ich.. ich möchte nur, dass er schnell weiterleben kann, dass er glücklich wird weiß du?" Harry lässt den Kopf nach vorne fallen und schaut auf den roten Teppich, der plötzlich gar nicht mehr so hochwertig und edel aussieht. Er ist halt rot, nicht mehr, nicht weniger. Sofort denkt Harry daran, wie Louis weinend vor ihm gestanden hat, die Tränen auf den Teppich gefallen sind und der sich verfärbt hat. Sicherlich sind die kleinen, kreisrunden Flecken schon längst weggemacht worden, aber Harry sieht diesen Moment so bildhaft vor sich, dass man meinen könnte, er hätte sie gefilmt.

„Er hat immer noch die Chance, sein Leben so zu leben, wie er es möchte und.. sich neu zu verlieben." flüstert er am Ende und Gemma schüttelt leicht den Kopf. „Der Kerl liebt dich so sehr Harry. Er denkt, er tut das richtige, dich gehen zu lassen, damit du keine Probleme bekommst, aber hast du dich mal im Spiegel angeschaut? Dir geht es so elend wie noch nie." - „Was soll ich denn machen, Gemma?" fragt Harry leise und Tränen schwimmen in seinen Augen. Seine Stimme bricht und dann fragt seine Schwester unüberlegt, „Was wärst du denn breit zu tun?"

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Was Harry wohl antworten wird? Und wie wird der nächste Auftritt von ihm wohl werden? Ihm geht es richtig dreckig und doch muss er bald auf den Weihnachtsball, als wäre nichts gewesen. Meint ihr, er packt das?

Love L 

This OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt