Teil 14: Aussprache (1)

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Als ich es einen Moment später doch schaffe meinen ganzen Mut zusammen zunehmen, erhebe ich mich vom Bett, laufe zur Tür, atme noch einmal tief durch und drücke dann die Klinke herunter.

Sofort erblicke ich Hendrik, der mit einer fast leeren Flasche Whiskey auf dem Flurteppich sitzt. Offensichtlich hat er versucht sich in Alkohol zu ertränken und sieht aus wie ein Häufchen Elend. Sein Anblick zerreißt mir fast das Herz. Mit trüben Augen starrt er mich an, sagt aber kein Wort. Ich beschließe mich stumm neben ihn auf den Boden zu setzen und lege meinen Kopf auf meine Knie. Dabei höre ich wie er seufzt.

"Es tut mir leid", nuschel ich vor mich hin und hoffe, dass er es vielleicht gar nicht gehört hat.

Doch er muss es definitiv gehört haben, denn ich spüre seine Hand, die nach meiner Schulter greift.

"Nein. Mir tut es leid." äußert er sehr aufrichtig, woraufhin ich ihn unsicher anblicke.

"Ich hätte nicht versuchen sollen dich zu küssen", gesteht er.

"Mir hätte bewusst sein sollen, dass ich dich dadurch bedränge. Ich bin so ein Idiot!"

Er nimmt seine Hand wieder weg und trinkt erneut einen Schluck aus seiner Flasche. Dann bumpert er mit seinem Kopf zweimal verzweifelt gegen die Wand.

Ehrlich gesagt hätte ich nie damit gerechnet, dass er sich für die Situation von vorhin die Schuld gibt. Immerhin war ich es, die ein solches Drama daraus gemacht hat. Stattdessen sitzt er jetzt hier und wird von Schuldgefühlen zerfressen.

Behutsam nehme ich ihm die Flasche aus der Hand, drehe mich zu ihm und sage ruhig:

"Nur weil du ein Idiot bist, heißt das nicht, dass du dich selbst bestrafen sollst."

Dabei huscht mir ein verschmitztes Grinsen über die Lippen, dass ihn zum Schmunzeln bringt.

"Und es war nicht allein deine Schuld. Ich hätte mich nicht so anstellen sollen. Du hast es nämlich auf keinen Fall verdient so stehen gelassen zu werden."

Seine Augen werden wieder heller und seine Gesichtszüge ein klein wenig sorgloser.

"Heut ist wohl der Tag der Entschuldigungen" , witzel ich schließlich und lehne mich dabei vorsichtig an seiner Schulter an.

"Gewöhn dich nicht dran!" ermahnt er mich, lächelt und legt seinen Kopf sanft auf meinen.

Es ist schön so nah bei ihm zu sitzen und sich an ihn zu schmiegen, bis mein Blick auf meine Armbanduhr fällt.
Verdammt! Es ist schon 5 Uhr.
Ich sollte dringend nach Hause.

Hendrik bemerkt, dass ich unruhig werde und schaut mich verunsichert an.

"Ich muss dringend nach Hause", gestehe ich ihm", bevor er etwas sagen kann.

"In vier Stunden klingelt schon mein Wecker."

Ich schlage bekümmert die Hände über dem Kopf zusammen.
Hendrik schaut mich belustigt an, erhebt sich aber dann verständnisvoll und reicht mir seine Hand um mir auf zu helfen. Ich nehme seine Hand dankbar entgegen und stehe mit einem flinken Ruck wieder auf meinen Beinen.

Zusammen gehen wir ins Wohnzimmer und ich verabschiede mich mit einer großen Umarmung von Anne.

"Tschau Süße und liebe Grüße an deine Mom", sagt sie und gibt mir ein Abschiedsküsschen auf die Wange.

Hendrik begleitet mich noch zur Tür und hilft mir in meinen Mantel hinein.

"Also dann", kommt es mir verlegen über die Lippen, als ich den letzten Knopf zumache und die Wohnungstür öffne. Auf Zehenspitzen drehe ich mich noch einmal zu Hendrik und möchte ihn zum Abschied drücken. Er scheint das ebenfalls zu wollen und umarmt mich ziemlich energisch.

Als er sich von mir löst, nennt er zögerlich meinen Namen.

"Ja?", sage ich verwundert und bin gespannt, was er noch sagen will.

Er wirkt unglaublich nervös und ich sehe ihm an, dass es für ihn nicht gerade leicht ist weiter zu reden.

"Hättest du mich geküsst, wenn es kein Spiel gewesen wäre?"

Was?
Die Frage überrumpelt mich etwas, doch ich fange mich schnell wieder und beschließe nicht eindeutig auf sie zu antworten. Denn wenn er wirklich wissen wollen würde, ob ich ihn ohne Publikum und Zwang geküsst hätte, hätte er es einfach nochmal probieren sollen. Ich glaube nicht, dass ich ihm noch einen Korb gegeben hätte.

"Möglicherweise", sage ich gewieft und grinse.

"Du bist gemein!" höre ich ihn darauf sagen und bin innerlich vergnügt, dass meine vage Antwort ihn etwas foppt.

Ohne noch einmal auf seine Frage einzugehen, trete ich durch die Tür und winke ihm zu. Er winkt zurück und will gerade die Tür schließen, als mir ein Gedanke kommt:
Soll ich ihn nach seiner Handynummer fragen?

1. Ja
2. Nein

Und plötzlich warst du da (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt