46. "Es tut so weh"

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"Wo fange ich an? Oh Gott, das alles hätte nie passieren dürfen."

Olivia und Will tauschten einen besorgten Blick. Das klang einfach nicht nach Jenny.

"Ihr wisst noch, als ich hier angekommen bin, mit den Autogrammen, beim letzten Mal?", fragte Jenny dann und bekam einstimmiges Nicken als Antwort.

"Ich habe die vier wieder getroffen. In LA", flüsterte sie. Will nickte langsam, da war schonmal die Verbindung zu LA.

"Wir haben uns angefreundet, aber ich... Naja, da war... es war Liam..." Also doch ein Typ, dachte sich Will. Aber hatte Jenny sich wirklich verliebt?

"Natürlich, ein Mann. Die können einen fertig machen.", bemerkte Olivia mit einem Seitenhieb gegen Will. Jenny lachte leise, während Will empört protestierte.

"Ich sag es, wie es ist, wir hatten Sex." Jenny sah zu Will und Olivia, die schnaubten und leicht grinsten. Das war schon eher Jenny, wie sie leibte und lebte.

"Die fahren mit ihrer Band ja auch ständig durch die Gegend. Nach LA waren sie in London, aber dann haben wir uns in Nevada wiedergetroffen, Liam und ich hatten Nummern getauscht. Und in Phoenix. Und in Atlanta. Und jetzt zum Schluss in New York." Will machte große Augen. Das klang ja fast schon nach einer Beziehung, was Jenny da sagte.

"Und in New York ist alles den Bach runtergelaufen. Er hat mir gesagt, dass er sich in mich verliebt hat. Aber ich kann das nicht, ich kann keine Beziehung führen, ich will das nicht. Also habe ich ihn abgewiesen und bin abgehauen. Das war gestern." Ihr letzter Satz war kaum mehr als ein Hauchen.

Will und Olivia staunten nicht schlecht. Jenny hatte ihn abgewiesen. Will hatte es nicht groß anders erwartet, er kannte ja seine Schwester. Aber es setzte Jenny mehr zu, als er erwartet hätte.

"Wo ist er jetzt?" fragte Olivia leise.

"Nach London geflogen.", nuschelte Jenny.

"Du hast ihm das Herz gebrochen und ihn dann so nach London fliegen lassen?", fragte Will fassungslos nach, was bei Jenny die Dämme brechen ließ.

"Ich kann das nicht, ich will nicht. Ich kann mich nicht von ihm abhängig machen, ich will ich selber bleiben. Ich kann mich nicht aufgeben. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass es so weit kommt. Ich hätte... hätte aufpassen müssen. Wir hätten nie im Bett landen sollen. Es war alles ein großer Fehler." Jenny strömten Tränen übers Gesicht und sie schluchzte unaufhörlich.

Will umarmte sie sofort, Olivia streichelte ihre Hand. "Also", fing Will an, als Jenny sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. "Du hast ihn abgeschossen, okay. Und was ist jetzt dein Plan? Was willst du?"

Jenny zuckte mit den Schultern. "Ihn vergessen?"

Olivia bemerkte den fragenden Ton in Jennys Stimme und seufzte. "Klappt das?", fragte sie nach.

Jenny schüttelte den Kopf. "Ich hab's schon versucht. Nach LA. In Las Vegas. Das war eine der schrecklichsten Nächte überhaupt. Ich konnte machen, was ich wollte, Liam war immer in meinem Kopf. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass er dort hineinkommt." Jenny nahm ihre Tasse wieder in die Hand und trank einen Schluck. Will verstand jetzt auch, warum Las Vegas ein sensibles Thema gewesen war.

"Willst du wieder versuchen, ihn zu vergessen?", fragte er, woraufhin Jenny nur mit den Schultern zucken konnte.

"Du hast eben gesagt, du willst dich nicht aufgeben. Woher weißt du denn, dass es dazu gekommen wäre?", fragte Olivia vorsichtig.

Jenny schnaubte und wischte sich übers Gesicht. "Das ist eine Beziehung, da gibt man immer etwas von sich weg."

Olivia und Will sahen sich kurz an, dann legte Will seiner Schwester eine Hand auf die Schulter. "Natürlich ist eine Beziehung ein Stück weit ein Kompromiss. Aber man gibt ja nicht nur, man bekommt auch etwas zurück. Meinst du nicht, dass es das wert sein könnte?"

Jenny schwieg, sie wusste die Antwort darauf nicht.

"Und meinst du nicht, dass er es verdient hätte, dass du ihm das sagst? Dass ihr darüber redet? Denn, ganz ehrlich, so wie du hier gerade sitzt, kannst du mir nicht weißmachen, du würdest ihn nicht lieben." Jenny zuckte zusammen und wimmerte leise. Liebe.

"Hast du Angst vor Liebe?", fragte Olivia mitfühlend.

Jenny zögerte, dann schniefte sie einmal. "Ihr versteht das nicht, ihr seid seit Ewigkeiten verliebt."

Will schüttelte energisch den Kopf. "Ich verstehe dich genau."

Jenny hob ihr Gesicht und guckte ihn fragend an, dann zu Olivia, die nur sanft lächelte.

"Glaubst du, mir ging es anders? Jenny, wir sind Geschwister. Und in dem Punkt ticken wir gleich."

"Aber... aber du... ihr...", versuchte Jenny, ihre Gedanken zu formulieren.

"Stell dir mal vor, was passiert wäre. Was wäre, wenn Jason dich damals nicht vor die Wahl gestellt hätte? Was wäre, wenn er mitgekommen wäre? Wenn ihr zusammen geblieben wärt, trotz der Distanz?"

Jenny schwieg, dann zuckte sie mit den Schultern.

"Olivia und ich sind zusammen seit wir Teenager sind, sie wusste immer von meinen Ängsten und Sorgen. Und sie konnte damit umgehen. Deshalb funktionieren wir zusammen." Olivia lächelte und legte ihrem Ehemann eine Hand auf den Arm, um ihn liebevoll zu drücken.

"Du warst jetzt lange alleine, da ist es klar, dass du Angst hast. Aber du hast Liam nicht einmal die Chance gegeben, damit umgehen zu können."

Jenny vergoss ein paar weitere Tränen, als ihr Herz sich quälend zusammenzog. "Es tut so weh", wisperte sie, während Will und Olivia sie festhielten. Keiner der drei sagte noch etwas für einige Zeit.

Dann richtete Jenny sich etwas auf. "Ich... ich will darüber schlafen."

Will streichelte ihr liebevoll übers Haar. "Gute Idee. Denk in Ruhe darüber nach. Und stell dir vielleicht die Frage, was genau der Fehler war."

Jenny zögerte kurz, dann nickte sie und trat den Weg ins Gästezimmer an. Als Jenny im Bett lag, tastete sie nach links und rechts, aber sie war alleine. Die letzten Male in einem richtigen Bett hatte sie nie alleine geschlafen. Konnte sie sich so schnell an Liam gewöhnt haben?

Und was meinte Will mit der Frage, was genau der Fehler war? War sie Liam gegenüber unfair gewesen? Ihn einfach so trocken abzuweisen und abzuhauen? Hätte sie ihm eine Chance geben müssen, wie Will sagte? Wie hätte er sie genutzt? Wäre er damit klargekommen? Mit ihr? Er hatte ihr gesagt, er hätte sich in sie verliebt. Reichte das aus, um damit klarzukommen, dass Jenny ruhelos und unabhängig war, nach ihrem eigenen Kopf lebte?

Eine Beziehung ist ein Kompromiss. Das bedeutete Gewinne und Verluste auf beiden Seiten. Was wäre sie bereit, aufzugeben? Und was würde sie bekommen? Jenny krümelte sich unter der Bettdecke zusammen, wollte am liebsten dort verschwinden.

Was war ihr Fehler gewesen? An welcher Stelle hätte sie anders handeln müssen? Wann war etwas schief gelaufen? Jenny fiel der erste Kuss wieder ein, den sie mit Liam geteilt hatte, in Los Angeles, im Club, auf dem Gang zu den Toiletten. Sie erinnerte sich an das Gefühl, seine Arme um sich zu spüren und seine Lippen auf ihren zu fühlen.

Nein, das konnte es nicht gewesen sein. Es hatte sich gut angefühlt, richtig. Es war ein wunderschöner Moment gewesen. Das war nicht der Fehler. Jenny erlaubte sich, kurz in der Erinnerung zu schwelgen, das Gefühl zu genießen, bevor die Realität knallhart zurückkam.

Sie war alleine, hatte ihn verletzt und würde das nie wieder spüren. Jenny brach in Tränen aus und weinte sich leise in den Schlaf.

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So, Jenny hat es erklärt... Mal sehen, was herauskommt, wenn sie weiter darüber nachdenkt, momentan ist ja nicht besonders glücklich :(

Whirlwind [One Direction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt