#39 Was du für mich bist

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POV Lexi Falkner

Vorsichtig blinzelte ich gegen das grelle Licht. Es schmerzte in meinen Augen und ich bekam umgehend Kopfschmerzen. Wo war ich? Ich konnte es nicht erkennen, doch nachdem der Versuch, mich aufzusetzen, kläglich scheiterte, ließ ich mich wieder zurück in ein zu meiner Verwunderung ausgesprochen weiches Kissen fallen. Ich wusste weder, welcher Tag heute war noch, ob ich zur Schule musste. Auch meine Erinnerung an den gestrigen Tag war nicht vorhanden, ganz so, als hätte ich ihn nie erlebt.

Ich hatte meine Augen wieder geschlossen, um dem Schmerz, den das Sonnenlicht verursachte, zu entkommen, als ich plötzlich eine Stimme vernahm, die ich unter tausenden wiedererkennen würde. „Du bist ja wach... Wie geht es dir?", es war mehr ein Flüstern. Warum war sie so... vorsichtig? Ich stutzte, doch zum Antworten hatte ich keine Kraft, ich blinzelte sie nur an. Dann wurde mir auf eins, zwei speiübel und ich drehte mich zur Seite, wo ein Kübel stand. Dass ich bei Lucrezia war, wusste ich mittlerweile, doch wieso hatte sie einen Kübel neben ihrem Bett platziert? Lange konnte ich nicht darüber nachdenken, da kam mir auch schon alles hoch und ich spürte, wie mir zwei weiche Hände die Haare hielten. Nachdem ich mich wirklich ausgiebig übergeben hatte, raffte ich mich endlich auf, um mich ins Bad zu schleppen und zumindest meinen Mund auszuspülen. Langsam drangen vereinzelt Fetzen in mein Gedächtnis zurück. Ein Klassenzimmer. Tina. Lucrezia. Der Bach. Die Bäume. Verdammt, jetzt verhalte dich doch nicht so kindisch! Mit einem Schlag war alles wieder da und ich erinnerte mich. An unseren Streit. An meinen Abgang und auch daran, dass ich mir im Supermarkt eine Flasche Wodka gekauft und mich zurückgezogen hatte. Ich hatte einen Wutausbruch gehabt und meine Kontrolle verloren. Wie so oft eben. Wie früher immer. Nun bemerkte ich nur noch, wie meine Knie schwach wurden, doch bevor ich von meinen Emotionen überwältigt in mich zusammensacken konnte, hielten mich zwei starke Arme und schon drückte mich Lucrezia an sich. Ich wollte ihrer Nähe entkommen, die sich gleichzeitig so gut anfühlte. Egal wie sehr ich ihr nahe sein wollte, ich war immer noch zornig. Oder war ich wieder zornig? Ich hatte mir meinen ursprünglichen Zorn wohl aus meinem Körper gesoffen und trotzdem tat ihre Aussage noch immer so unglaublich weh. Ich wollte nicht kindisch sein. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, durch die Beziehung zu mir einen Fehler zu begehen. Etwas zu tun, was für sie keinen Sinn hatte. Ich wusste einfach zu gut, dass ich ihr niemals das geben könnte, was ich von ihr bekam. Ich war weder weise, noch hatte ich genügend Lebenserfahrung. Das Einzige, was ich ihr bieten konnte, war Liebe. Bedingungslose Liebe. Doch das reichte doch niemals, wenn sie so viel mehr haben könnte mit einer Frau in ihrem Alter. Wir durften uns ja nicht mal in der Öffentlichkeit zeigen!

Ich wand mich immer noch in ihren Armen, wollte einfach nur weg hier, hatte das Gefühl, ihre Nähe würde mir die Luft zum Atmen nehmen. Irgendwann gab ich meinen Widerstand jedoch auf und brach endgültig heulend in mich zusammen. Sie setzte mich vorsichtig am Boden ab, begab sich dann aber sofort zu mir. So saßen wir jetzt beide hier auf dem kalten Fliesenboden und ich weinte mir die Seele aus dem Leib. „Ich kann dir nichts bieten!", schluchzte ich und sprach somit wahllos den nächstbesten Gedanken aus, „Ich bin beinahe noch ein Kind! Unreif, dumm! Noch dazu ein psychisch labiles Wrack. Du bist wirklich besser dran ohne mich, Lucrezia!" Meine Lehrerin schwieg und ich blickte in den bodenlangen Spiegel uns gegenüber. Es fühlte sich an, als wäre das alles ein Film, den ich schaute. Den ich nur im Fernsehen sah, vollkommen distanziert vom eigentlichen Geschehen. Mir war, als wäre diese Situation nicht real. Meine Lippen schimmerten mittlerweile blau vom Weinen und meine Haare standen in alle Richtungen ab. Neben mir saß meine top gestylte, bildhübsche Lehrerin, die mich einfach nur mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck musterte. Warum war sie nur so schwer zu lesen? Ich hatte keinen Plan, was in ihrem Inneren vorging. Doch sie war hier. Hier bei mir. Und auch wenn ich mich schämte, dass sie mich so sah und dass ich ihr meine seit einiger Zeit unausgesprochenen Zweifel gerade total direkt an den Kopf geworfen hatte, ihre Anwesenheit hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich konnte langsam aber sicher wieder klarer denken und auch mein Heulkrampf klang nach und nach ab. Was blieb, war jedoch das ungute Gefühl in meiner Magengegend. Ich hatte mich ihr geöffnet und es war nicht mehr rückgängig zu machen.

Nach einer Weile, in der wir beide geschwiegen hatten, öffnete Lucrezia dann endlich den Mund: „Lexi, ich muss dir das jetzt einfach sagen. Vielleicht ist das auf einmal etwas viel für dich, aber... du gibst mir alles, was ich brauche. Du gibst mir noch viel mehr. Abgesehen von den Empfindungen, von denen ich nie gedacht hätte, sie überhaupt fühlen zu können, faszinierst du mich. Du inspirierst mich. Ich habe stets den Drang, deine Gedankenwelt verstehen und dich noch besser kennenlernen zu wollen. Mit all deinen Ecken und Kanten. Den guten und den schlechten Seiten. Niemand vor dir konnte das in mir auslösen, mich zurückkatapultieren in mein 20-jähriges Ich, das noch so unbeschwert und glücklich gewesen ist. Ich war einmal warmherzig. Glaubte an das Gute im Menschen. Ich war nicht immer so kühl und abweisend, das kam erst... mit den Jahren... Doch bei dir fühle ich mich genau so, wie ich mich als junge Studentin gefühlt habe. Lebendig. Du machst mich jünger und doch bist du für dein Alter unglaublich reif. Eine verdammt gute Kombination, wie ich finde. Du machst etwas Unbeschreibliches mit mir und ich möchte all das, so schwer und kräftezehrend es auch sein mag, nicht missen... Das ist etwas Besonderes, das wir da haben, Lexi Falkner." Ich schluckte. Bei den Worten „Du inspirierst mich" war ich hängengeblieben, denn sie hatten noch mehr Bedeutung für mich, als wenn sie mir gesagt hätte, dass sie mich liebte. Ich war ihr scheinbar wirklich wichtig und ich konnte nicht glauben, dass ich einen so positiven Effekt auf sie haben konnte. Das hatte ich bis jetzt auf niemanden gehabt. Meistens zog ich Menschen nur mit in den Abgrund. Lucrezia war jedoch offenbar eine Person, die immer ihren Fallschirm dabeihatte und unsere Landung gekonnt abfederte. Sie war unser beider Stoßdämpfer.

Ich atmete einmal tief durch, dann sagte auch ich endlich etwas dazu: „Ich wusste nicht, dass du so fühlst und es freut mich unglaublich, dass ich das für dich bin und vor allem, dass dir unsere Beziehung wohl wirklich etwas bedeutet..." Sie lächelte mild, doch ich wandte meinen Blick nur nachdenklich ab. Da ich nichts mehr von mir gab, fragte sie irgendwann vorsichtig nach: „Hast du... Angst?" Und damit traf sie den Nagel auf den Kopf, denn ich hatte mich gerade von einem Gedankenstrudel mitreißen lassen, der mir die ungewisse Zukunft vor Augen geführt hatte. Wir waren zwar auf unserer Wolke, Wolke sieben, wenn man es so wollte, doch langsam kam es mir vor, als würde dieses Dampfgemisch sich in Zukunft um unsere Köpfe legen und unsere Sicht trüben. Uns dadurch eventuell voneinander trennen. Langsam allein ins Morgen driften lassen. Ich hatte keine Ahnung, ob das mit uns für immer war und der Vorsatz, den Moment zu genießen und im Jetzt zu leben, verabschiedete sich ebenso langsam aber sicher aus meinem Sichtfeld. „Ich... Ja... Ich habe Angst vor der Zukunft...", antwortete ich somit wahrheitsgemäß. Sie blickte mich nur an und wieder konnte ich diesen Gesichtsausdruck nicht deuten. Ich hielt zwar den Blickkontakt, nach einigen Sekunden wandte ich mich jedoch ab. „Ich habe auch Angst, Lexi... Niemand weiß, was morgen kommt und ob es schlimm wird. Doch es könnte genauso gut schön sein, was sich da anbahnt. Es könnte etwas Tolles sein, was da kommt... Und allein dafür lohnt es sich, zu kämpfen und weiterzumachen." Im Endeffekt waren es ihre Worte, die so unglaublich weise klangen, dass es mir die Sprache verschlug. Erst nach etlichen Minuten redete ich wieder: „Wenn du das sagst, klingt es fast schon so, als würden wir gemeinsam in die Zukunft starten... Aber ich bin... Ich bin eine Last, Lucrezia. Ich bin emotional am Ende und das nicht nur jetzt gerade, sondern seit einigen Jahren. Ich denke nicht, dass das je wieder besser wird. Viel mehr ziehe ich dich nur mit hinunter, wenn du nicht...", es fiel mir so unendlich schwer, das folgende, sonst so unbedeutende Wort, auszusprechen, „gehst..." Ich wusste, dass es das Beste für alle Beteiligten wäre, wenn wir das einfach beendeten und uns aus dem Weg gingen. Sie würde ihren Job nicht riskieren, ich würde nicht mit dem schlechten Gewissen leben müssen, ihr ihr Leben zur Hölle zu machen. Und doch tat es so weh, auch nur daran zu denken, dass sie mich verlassen könnte. Die Möglichkeit musste ich ihr aber geben, denn das war nur fair. „Spinnst du?", entfuhr es ihr prompt und schon hatte sie mein Gesicht wieder zwischen ihre Hände genommen. „Egal wie ausgelaugt du dich fühlen magst und wie fertig du mit der Welt auch bist, ich will nichts mehr, als bei dir zu sein. Denn... ich liebe dich, Lexi... Dir das zu sagen, war längst überfällig..." Sie hatte diese drei magischen Worte nur gehaucht und trotzdem hatte ich jedes einzelne mehr als deutlich verstanden. In ihren Augen tobte dieser Ozean, der mit meinem satten Grasgrün zu einem Gemälde zu verschmelzen drohte. Unser Blickkontakt war unfassbar intensiv und ich konnte die Aufrichtigkeit ihrer Worte zum ersten Mal klar und deutlich aus ihren Augen lesen. Sie meinte jedes Wort genau so, wie sie es sagte. Sie liebte mich. Ihre viel zu junge, dumme, naive, emotional erschöpfte, aufsässige, nervige aber gerade unglaublich glückliche Schülerin. Denn die Glücksgefühle durchströmten mich und erreichten jede Zelle meines Körpers. Jeden Winkel. Ich fühlte mich mit einem Mal erlöst von meinen Sorgen. Frei. Und dann grinste ich wie ein Idiot, während auch ich versuchte, ihr mit mindestens genauso viel Gefühl zu entgegnen: „Ich liebe dich auch, Lucy. Und wie!"

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