#77 Small steps are better than no steps at all

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POV Lexi Falkner

Ich hatte mich im Endeffekt wirklich dazu überreden lassen, mich wieder auf den Beifahrersitz zu begeben und Lucrezia das O.K. zu geben, unseren Weg fortzusetzen. Immer wieder spürte ich ihren vorsichtigen Blick auf mir ruhen, der überprüfte, ob ich noch okay war und dafür war ich ihr ausgesprochen dankbar. Noch konnte ich meine Ängste einigermaßen im Zaum halten, doch je näher wir dem See kamen, wenn auch quasi nur in Schrittgeschwindigkeit, desto unruhiger wurde ich und desto aufgewühlter war mein Inneres. Würde ich es aushalten, den gleichen Weg zur Hütte zu gehen, den ich an der Seite meiner geliebten Schwester regelmäßig gegangen war? Würde ich stark bleiben können, wenn wir zum Steg kämen, an dem alles passiert war?

„Halt bitte nochmal an", meinte ich nach einer Weile. Auch wenn ich das Fenster bereits weit geöffnet hatte, fühlte es sich so an, als würde meine Lunge einfach nicht genügend Sauerstoff erhalten. Ich schnallte mich erneut ab und hastete nach draußen, wo ich mich nach und nach wieder beruhigte. Lucrezia hielt ebenfalls ihr Wort, sie wich mir nicht von der Seite und streichelte gerade sanft über meinen Rücken. Hätte ich im Moment nicht so sehr mit mir selbst zu kämpfen gehabt, hätte ich das wirklich sehr geschätzt. Ich atmete erneut tief durch und meinte dann: „Okay, geht wieder. Lass uns die letzten Meter bis zum Parkplatz fahren." Mich ständig für mein Verhalten zu entschuldigen, hatte ich bereits aufgegeben, als wir etwa das dritte Mal anhalten hatten müssen, damit ich nicht in absolute Panik verfiel. Lucy hatte mich gebeten, die Entschuldigungen sein zu lassen, denn mein Gehirn würde dieses Muster abspeichern und sie wollte jedwede Art zusätzlicher negativer Gedanken unterbinden. Sie meinte, ich hätte nichts, wofür ich um Vergebung bitten müsste.

„Hey, die erste Hürde ist schon mal geschafft, Tesoro", lächelte meine Freundin voller Zuversicht, als wir den Parkplatz endlich erreicht hatten. „Naja, wir sind dem See noch nicht wirklich nahegekommen...", gab ich ein wenig enttäuscht zurück, denn irgendetwas in mir sagte mir, dass das eine harte Probe werden würde. „Wir sind definitiv weiter gekommen, als wenn wir wirklich umgedreht hätten! Im Prinzip war das erste Erfolgserlebnis bereits jenes, als du den Mut gefasst hast, mich dich doch hier runterfahren zu lassen! Sei nicht zu streng mit dir, ja? Kleine Schritte." Ich nickte, hauptsächlich deshalb, weil ich Lucy nicht irgendwie verärgern oder enttäuschen wollte. Eigentlich hatte ich mich nämlich auf diesen paarhundert Metern sicher siebenmal umentschieden, doch ich wollte ihr das nicht sagen. Ich wollte sie im Glauben lassen, ich sei stark. „Dann beweis ihr das nun auch", redete ich mir gedanklich ein und schon hatte ich den Autotürgriff in meiner Hand. „Bereit für den nächsten Schritt?", wollte meine Freundin zufrieden nickend wissen und um mich nicht auf der Stelle in ihr Auto zu übergeben, nickte ich bloß.

„Also gut, da drüben ist eine Bank. Sie ist nicht zu nahe am Wasser, aber auch nicht mehr so weit davon entfernt... Was hältst du davon, wenn wir uns da hinsetzen und mal einfach über das traumatische Ereignis reden? Es würde mir helfen, die Hintergründe zu kennen, damit ich dir helfen kann, weißt du?" Lucys Vorschlag klang einleuchtend, doch sobald ich daran dachte, darüber reden zu müssen, was damals passiert war, schnürte mir etwas die Kehle zu. Und dann auch noch auf einer Bank in der Nähe des Wassers? Trotzdem war da immer noch dieser unbändige Wille in mir, für sie stark zu sein und so ertappte ich mich wenig später auch schon dabei, wie ich konzentriert einen Fuß vor den anderen setzte, ganz so, als würde ich gerade erst gehen lernen.

„Pause", keuchte ich. Wir waren maximal hundert Meter gekommen, doch ich fühlte mich, als wäre ich einen ganzen Marathon gerannt. Der Zustand dieser mentalen Erschöpfung hatte nun auch auf meinen Körper übergeschlagen und erst jetzt verstand ich wirklich, wieso man sagte, Körper und Geist hingen so eng zusammen. „Was fühlst du gerade?" Diese Frage kam irgendwie unerwartet. Ich überlegte kurz, wie ich das am besten in Worte fassen sollte und sprach dann: „Da ist so ein Druck auf meiner Brust, so als könnte ich nicht ganz durchatmen, obwohl es geht... Mit jedem Schritt, den wir uns unserem Ziel nähern, wird er größer, unaushaltbarer..." Ja, so fühlte es sich an. Als würde mich jemand in einer Presse zerquetschen, nur anstatt des Schmerzes war da unglaublich viel Angst. Ich spürte, wie Lucy nach meiner Hand griff und dann hörte ich sie beinahe flüstern: „Danke, dass du so offen zu mir bist, was deine Gefühle angeht. Es sind nur noch ein paar Meter, denkst du, wir schaffen das?" Mein Blick wanderte auf unsere verbundenen Hände und sofort durchströmte mich eine Kraft, die es mir ermöglichte, mich wieder in Bewegung zu setzen.

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt