#51 Verwirrung

1.4K 98 3
                                    

POV Tina Sommer

„Was... Wie...", stammelte ich. Ich hatte nichtsahnend aufs Klo gehen wollen, doch als ich Lexi und Villani hier stehen sah, mit einem Ausdruck von Überforderung und Schock auf ihren Gesichtern, wurde mir klar, was eigentlich abging. Sie hatten sich gerade geküsst und ich war hereingeplatzt. Waren sie nicht zerstritten? Oder waren sie vielleicht gerade dabei gewesen, sich auszusprechen? Ich war verwirrt. Das Einzige, das ich wusste, war dass ich sie gerade störte, doch bevor ich mich einfach umdrehen und wieder gehen konnte, trat Lucrezia Villani zurück, warf meiner besten Freundin einen Blick zu, der nichts Gutes zu bedeuten haben konnte und dann murmelte sie mit einem verächtlichen Schnauben: „Alles im Griff. Und wie du das hast... Ich kann das einfach nicht mehr!" Sie stürmte an mir vorbei zur Tür raus und ließ eine außerordentlich überforderte Lexi zurück. Keine Sekunde später sank diese auch schon auf ihre Knie und heulte los. Was sollte ich denn jetzt nur machen? Der Bus würde gleich wieder fahren und wir mussten zurück, doch ich verstand auch, dass Lexi mich jetzt brauchte und in diesem Zustand würde sie sich sowieso nicht sehen lassen, also packte ich sie unter den Achseln und zerrte sie in eine Klokabine, um anschließend die Tür zu verriegeln. Meine beste Freundin schluchzte, doch es war nicht laut, sie dämpfte die Geräusche mit ihrem Ärmel. Es klang auch nicht trauernd, sondern eher verzweifelt, und zwar so sehr, dass sich alles in mir zusammenzog. Ich hasste es, wenn ich ihr nicht helfen konnte. Diese Machtlosigkeit machte mich fertig. Letzte Nacht war schon schlimm für mich gewesen, da hatte ich ihr aber wenigstens noch zuhören und das Gefühl geben können, sie sei nicht allein. Diesmal war auch ich einfach nur verwirrt von Lucrezias Worten, sodass ich ihr nicht mal Mut zusprechen konnte. Also hockte ich einfach vor ihr und strich beruhigend mit meiner Hand über ihr Knie. Immer und immer wieder.

Nach ein paar Minuten hatte sie sich zum Glück wieder einigermaßen beruhigt und wir konnten zum Bus zurückgehen, wo die anderen schon auf uns warteten. „Sorry, es war gerade so viel los auf den Toiletten, darum hat das ein bisschen länger gedauert", rechtfertigte ich unser Fernbleiben vor Schmied und Villani und dann schob ich meine beste Freundin auch schon an den anderen vorbei ins Innere des Fahrzeugs, bedacht darauf, sie so gut wie möglich von den vereinzelten neugierigen Blicken abzuschirmen. Villani hatte diesmal nicht ganz so gefasst gewirkt wie sonst. Nein, sie wirkte eigentlich recht niedergeschlagen, wenn ich sie so durch das Fenster betrachtete. Hatte sie mit ihren Worten denn vorhin wirklich die Beziehung der beiden beendet? Einfach so? Oder hatte ich das nur falsch verstanden? Ich wollte Lexi nicht erneut darauf ansprechen, ihre Tränen waren gerade erst getrocknet und so versuchte ich vorerst mal, sie abzulenken.

Die restliche Fahrt war nicht mehr allzu lange gewesen und so waren wir nun auch dabei, unsere Koffer auszuladen. Einige Mitschülerinnen und Mitschüler hatten sich bereits verabschiedet und allen frohe Weihnachten gewünscht, andere waren gerade dabei, zu gehen. Auch Schmied schien sich auf den Weg nach Hause zu machen und so blieben nur noch Lucrezia, Lexi und ich übrig. Es machte nicht den Anschein, als wolle unsere Lehrerin mit uns reden, doch mir schwirrte so viel im Kopf herum, was ich nicht ungesagt lassen konnte. „Frau... Frau Professor", ich räusperte mich, „kann ich Sie kurz sprechen?" Lucrezia schien nicht erwartet zu haben, dass ich das fragen würde, dementsprechend überrascht drehte sie sich zu mir um. Lexi war gerade zu meinem Auto verschwunden und so wäre das meine Chance, Klarheit zu schaffen, doch noch bevor ich dieses klärende Gespräch führen konnte, ertönte eine Stimme aus der Ferne: „Lucrezia! Wie war der Ausflug?" Ich erkannte von Weitem, wie meine beste Freundin so aussah, als ob sie diese Frau, die sich als unsere Direktorin herausstellte, gleich töten würde und so entschied ich mich dazu, lieber zu ihr zu gehen und sie vor Dummheiten zu bewahren. Aus dem Gespräch hier würde jetzt sowieso nichts mehr werden. „Frohe Weihnachten, Frau Professor Villani." Ich betonte ihren Namen bewusst anders und mit so einem Nachdruck in meiner Stimme, dass es mich nicht wundern würde, hätte es ihr eine Gänsehaut verpasst. Dann hatte Frau Weinberg uns auch schon erreicht und ich verabschiedete mich ebenfalls nochmal höflich von ihr, bevor ich mich schließlich wirklich auf den Weg zu Lexi machte, die das Geschehen von der Beifahrerseite meines Wagens aus haargenau verfolgte. „Sie reden nur miteinander wie normale Menschen, du musst dir da echt keine Gedanken machen", versuchte ich Lexi und zugegebenermaßen auch ein wenig mich selbst von der Unwichtigkeit der Situation zu überzeugen. Eher mäßig erfolgreich, wie sich herausstellte. „Die will doch was von ihr, schau, wie sie ihr gegen den Oberarm schlägt!" „Naja, das sieht für mich eher freundschaftlich aus", gab ich zurück, doch als Weinberg dann ihre Hand auf Lucrezias Schulter ruhen ließ und auch nicht die Anstalten machte, sie dort so schnell wieder wegzunehmen, erkannte auch ich, dass Lexis Sorge wohl berechtigt war. „Das etwa auch? Das ist für dich Freundschaft?" Ich seufzte. Sie hatte ja recht... „Lass uns fahren, wir können vorerst sowieso nichts tun. Wichtig ist, dass Lucrezia und du euch aussprecht. Ich nehme dich jetzt mal mit zu mir, dann kannst du deine Sachen, die du da noch hast, holen und dann fahre ich dich zu ihrer Wohnung und ihr redet miteinander, ja? Nichts wird immerhin so heiß gegessen, wie es gekocht wird..." Ich wusste selbst, dass dieser blöde Spruch rein gar nichts an der Situation änderte, doch weise Worte hatten noch nie geschadet und vielleicht gelang es mir dadurch ja, Lexi zumindest ein wenig Zuversicht einzuflößen. Einen Versuch war es definitiv wert.

Wir waren nun auf dem Weg zu Villanis Wohnung. Ja, ich nannte sie die meiste Zeit noch immer bei ihrem Nachnamen. Es war einfach ungewohnt für mich, sie Lucrezia zu nennen und auch noch zu duzen. „Es wird gutgehen Lexi, du wirst sehen... Es war eine scheiß Situation am Klo, es hätte genauso gut jemand anderes reinkommen können und das hat sie einfach geschockt. Aber sie liebt dich doch deshalb nicht weniger", versuchte ich meine beste Freundin nochmal davon zu überzeugen, dass sie das schon ausreden würden. Dann fuhr ich auf die Parkplätze vor dem großen Wohnhaus und stellte den Wagen ab. Lexi knetete nervös ihre Finger und ich sah ihr die Sorge und die Angst an, die sie beinahe lähmten. Sanft legte ich meine Hand an ihre Schulter und sprach: „Nicht reden bringt auch nichts. Du kannst eigentlich nur gewinnen, also sei mutig..." Keine von uns beiden wusste, ob unsere Italienischlehrerin die Beziehung als beendet ansah, oder ob auch sie einfach überreagiert hatte, aber egal was davon zutraf, Reden schuf Klarheit. Das tat es immer. Und ich war hier die Optimistin, also sah ich es als meine Aufgabe, meiner besten Freundin zumindest gut zuzureden. Beim Gespräch könnte ich klarerweise nicht dabei sein, doch ich konnte ihr wenigstens ein besseres Gefühl geben und das versuchte ich dann auch in den folgenden Minuten, bis Lexi sich abschnallte und endlich aus dem Auto stieg. Sie warf mir noch einen letzten, eher hilflosen, Blick zu und schritt dann Richtung Eingangstür. Es wäre gelogen, zu behaupten, ich hätte kein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich war verdammt angespannt. Aber es würde schon glattgehen, oder?

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt