POV Lexi Falkner
Ich hatte den Rest der Feier nur noch mit halber Aufmerksamkeit verfolgt und obwohl die Lieder, die ein paar begnadete Sängerinnen aus unserer Stufe gesungen hatten, wirklich rührend gewesen waren, war ich mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen. Sollte ich sie ansprechen? Zur Rede stellen? Warum tauchte sie hier auf, wenn sie zuerst spurlos verschwunden war, mich einfach zurückgelassen hatte? Ich konnte nicht leugnen, dass ihr Anblick mein Herz höherschlagen hatte lassen, als ich sie da erspäht hatte und irgendwie war ich sauer. Sauer auf mich selbst. Wieso konnte ich nicht einfach darüber hinweg sein? Ich war sicher gewesen, ich sei auf dem richtigen Weg. Doch nun fühlte ich mich an Tag eins meiner Liebe zu ihr zurückkatapultiert und das hatte einen bitteren Beigeschmack, wenn einem glasklar war, dass diese Liebe nie wieder erwidert werden würden. „Kommst du? Wir machen jetzt das Klassenfoto", raunte mir Tina zu, die scheinbar bemerkt hatte, dass ich diese Ankündigung der Direktorin vollkommen verpasst hatte. „Ich... Ja, klar... Sicher...", stammelte ich überrumpelt. Wie sollte ich da jetzt voller Glück lachen, wenn meine verflossene Liebe im selben Raum war und mir dabei zusah? Wie sollte ich stolz in die Kamera lächeln, wenn ich sie im Hintergrund entdeckte? Lange konnte ich darüber nicht nachdenken, denn da standen wir auch schon alle zusammen und der Fotograf drückte ab. Ich vergaß aber, in welcher Situation ich mich eigentlich befand, als meine Augen wieder direkt auf Lucrezias trafen und es sich anfühlte, als würde dieser Augenkontakt Funken versprühen. Erst durch den letzten Blitz wurde ich wieder zurück in die Realität geholt und bemerkte, dass ich wohl am dämlichsten aussehen musste auf diesen Fotos, doch das tat nichts zur Sache, denn ich hatte gerade beschlossen, meine Ex-Freundin zur Rede zu stellen. „Ich komme gleich wieder", sagte ich an Tina gewandt und noch bevor sie nachhaken konnte, schritt ich davon. Am Weg wurde ich jedoch von meiner Mutter aufgehalten, die mir glücklich um den Hals fiel und gratulierte. Gerald tat es ihr gleich und wir unterhielten uns kurz, bis sie meinte, sie würden nun heimfahren und wünschten mir viel Spaß bei der Abschlussfeier. „Genieß sie, die hast du nur einmal im Leben!"
Als meine Mutter mich sozusagen wieder freigegeben hatte, erkannte ich, dass Lucrezia sich gerade mit meiner nun ehemaligen Direktorin unterhielt und ich überlegte, ob es denn so schlau wäre, sie da jetzt zu unterbrechen. Dann fiel mir aber ein, dass sie weder meine Lehrerin war, noch war ich hier noch Schülerin und so übermannte mich der Drang nach Antworten und ich unterbrach deren Gespräch mit einem wohl ein wenig zu zornig klingenden: „Was zum Teufel machst du hier?!" Ich erntete einen fragenden Blick von Weinberg, der sofort zu Lucrezia driftete, als diese antwortete: „Bitte, wir müssen unbedingt reden." Meiner Ex schien es sichtlich unangenehm, dass ich sie hier vor ihrer ehemaligen Chefin ansprach und noch dazu duzte, doch mir war das egal. „Du denkst, es gibt noch etwas zu reden?! Na da bin ich ja mal gespannt. Ich warte draußen, du hast fünf Minuten." Hatte ich mir nicht eigentlich zu Beginn vorgenommen, ihr einfach aus dem Weg zu gehen? Ich drehte mich auf der Stelle um, sodass ich nur noch erahnen konnte, wie verwirrt Weinberg Lucrezia gerade mustern musste. Dann war ich auch schon auf dem Weg zur Ausgangstür. „You better have a good reason to be here", dachte ich genervt und doch immer noch verletzt.
Ich spürte, wie mich jemand unsanft an meiner Schulter herumriss und wusste sofort, wer das war. „Dein scheiß Ernst?! Du bist ja auch nicht sanfter geworden... Kommt jetzt wieder eine Tür, gegen die du mich presst? Ach nein, du willst ja nichts mehr mit mir zu tun haben." Lucrezia funkelte mich zuerst zornig an, kam mir dann aber ganz nahe und raunte mit rauer Stimme in mein Ohr: „Wenn du die Tür willst, sehr gerne, Alexandra. Ich nehme sonst auch die Wand." Ich musste meine Augen schließen, um wieder zur Besinnung zu kommen. Das durfte nicht wahr sein, dass sie mich in wenigen Sekunden wieder so weit hatte, ihr vollkommen gefügig zu sein. Nein, da hatten ich und mein freier Wille auch noch ein Wörtchen mitzureden. „Lass diese dummen Spielchen, Lucrezia. Du wolltest reden, so sprich." Innerlich war ich stolz auf mich, meine Stimme wiedergefunden und ihr das noch dazu recht selbstbewusst hingeworfen zu haben. Nach außen hin blieb ich einfach cool. Erst als sie mein Handgelenk ergriff und mich hinter sich herzog, wurde ich wieder nervös. Da war diese prickelnde Vorfreude auf etwas, von dem ich wusste, dass es nicht passieren würde und trotzdem erregte mich diese Berührung bis zu einem gewissen Grad. Ich atmete ein letztes Mal die angenehm laue Juniluft ein, dann hatten wir auch schon den Hintereingang der Turnhalle erreicht und Lucrezia schloss auf. „Du hast noch immer einen Schlüssel?", war das Einzige, was mir gerade durch den Kopf ging und sie antwortete: „Noch nie zurückgegeben, ich war damals recht schnell weg und versprach, ihn per Post zu schicken." Ich schwieg. Die Situation war so verfahren, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Wie konnte man so unsicher vor einem Menschen sein, der einmal alles von einem gewusst hatte?
Wir hatten nun eine Tür erreicht, durch die ich vermutlich noch nie gegangen war. Sie befand sich im Erdgeschoß bei den Musikräumen und der Raum dahinter stellte sich als Abstellkammer heraus, in der alte Wörterbücher an der Seite eines ausgebleichten Globus und einiger Zeitschriften von 1994 vor sich hin staubten. Lucrezia ließ mir den Vortritt und ich sah mich ein wenig eingeschüchtert um. Wieso mussten wir ausgerechnet hier reden? Sie wusste genau, dass enge Räume meine Ängste triggerten und dann war oftmals der dazugehörige Wutausbruch nicht weit. Ich verstand zwar noch immer nicht, wieso ich wütend werden konnte, nur weil mich eine Situation überforderte, aber das war jetzt ein unwichtiges Thema, denn gerade begann Lucrezia zu sprechen. „Lexi, ich bin wegen dir hier. Ich bin auch wegen dir gegangen. Ich dachte, so würde ich dich nicht mehr blockieren, du könntest deine Matura machen, ohne mich täglich sehen zu müssen. Deine schulischen Leistungen ließen immer mehr zu wünschen übrig und mir war klar, dass ich daran zu einem sehr großen Teil die Schuld hatte. Ich hatte Angst, du würdest alles hinschmeißen und befand es für besser, zu gehen... Das wollte ich dir auch mitteilen, damals am Friedhof, aber du... du wolltest das nicht hören, was ich dir nicht verübeln kann, immerhin war ich diejenige, die dich abserviert hat. Aber ich konnte einfach nicht alles aufgeben, ich hatte solche Angst, diese Beziehung käme raus und so habe ich alles beendet, bevor es etwas anderes beenden hätte können und zwar meine Karriere und mein freies Leben... Ach fuck, ich hatte mir diese Worte eigentlich ganz anders zurechtgelegt und jetzt stehe ich hier vor dir und weiß nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte!" Ich wollte nichts mehr hören, sie stellte alles jetzt wirklich so dar, als wäre sie die Tolle, die mir zuliebe verschwunden war?! „Ach hör doch auf! Du belügst dich ja selbst!", rief ich verärgert und wollte gerade wieder umdrehen und von hier verschwinden, da hielt sie mich zurück. „Ich belüge gar keinen mehr. Ich habe mich lange selbst belogen, das stimmt. Begonnen hat das damit, dass ich mir eingeredet habe, ich würde dich nicht lieben... Aber das weiß ich jetzt besser. Du bist das Beste, was mir je passiert ist und ich bin von hier weggegangen, um mit dir eine gemeinsame Zukunft haben zu können." Was redete sie da nur für einen Schwachsinn? „Wie zum Teufel hätten wir eine gemeinsame Zukunft haben können, wenn du verdammt nochmal ohne ein Wort abhaust?! Erklär mir das bitte, hm?" Meine Wut stieg ins Unermessliche. Sie sollte mich einfach in Ruhe lassen! Ich hatte ein Leben vor mir. Hatte endlich wieder eine Zukunft und dann tauchte sie hier auf und stellte alles wieder auf den Kopf?! „Ich bin nach Graz gezogen, weil du mal gesagt hast, dass du dort Linguistik studieren willst. Ich dachte, wenn ich mich diese drei Monate nicht bei dir melde, fällt es dir vielleicht leichter, dich aufs Lernen zu konzentrieren und dann würdest du die Matura auch schaffen. Ich dachte wohl, ich sollte dir diesen Freiraum geben, nachdem du nichts von meinem Plan hören wolltest... Und jetzt hast du die Matura, wobei ich unglaublich stolz auf dich bin, das muss ich dir einfach sagen. Dir steht die Welt offen, Lexi!" Mir kamen auf einmal die Tränen. Stimmte das? War das wirklich wahr? War sie echt gegangen, damit ich unsere gescheiterte Beziehung zumindest für meine Maturazeit vergessen und ein normales Leben leben konnte? „Und was, wenn ich nicht mehr nach Graz gehen möchte?" Ich musste einfach wissen, ob sie es ernst meinte. Ob sie das alles wirklich so geplant hatte. Ob sie erwartete, dass ich zu ihr zurückkäme und wir uns echt ein gemeinsames Leben aufbauen würden, oder ob das nur irgendein Vorwand war, um mich vielleicht ein letztes Mal ins Bett zu bekommen. Als ich aber erkannte, dass auch ihre Augen nun verdächtig glänzten, wurde mir unerwartet warm ums Herz. „Dann... dann ist das natürlich deine Entscheidung... Wie gesagt, dir steht die Welt offen... Aber ich will, dass du Eines weißt: Ich liebe dich und ich werde dich immer lieben. Immer..." Spätestens jetzt war mir klar, dass sie wirklich meinetwegen hier war, denn ihr rollte eine einzelne Träne die Wange hinab. Sie weinte nie vor anderen. Sie wurde nie schwach, wenn sie nicht etwas wirklich extrem mitnahm. Dieser kleine Gefühlsausbruch war das Ehrlichste, was ich seit Langem erlebt hatte. Sie wollte eine gemeinsame Zukunft. Mit mir! Lexi Falkner. Und nun konnte ich nicht anders, als meine Lippen mit ihren zu verbinden und alle Gefühle, all die Sehnsucht, den Schmerz und die Freude in diesen Kuss zu legen. Wie sehr hatte ich das vermisst. Wie oft hatte ich davon geträumt! Dieses Feuerwerk der Gefühlte hatte mir so sehr gefehlt. Und meine Welt schien sich langsam wieder zusammenzusetzen - Splitter für Splitter, Teil für Teil - sie schien langsam wieder heil. Bis plötzlich die Tür aufschwang...
- A/N -
Reunion! Was sagt ihr zu Lucys Erklärung/Klarstellung? Und zu Lexis Reaktion? Ich würde mich freuen, eure Meinung zu hören, gerne auch ganz allgemein! An dieser Stelle vielen Dank für 10k Reads! Ich hätte niemals erwartet, dass meine Geschichte auf solch eine Resonanz stößt!
Eure the_fire_of_desire <3
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In you I found remedy
Teen Fiction[Abgeschlossen] Mir ist danach, dich besser kennenzulernen. Vielleicht ist das dumm, naiv, aber..." Doch sie unterbrach mich: „Was möchtest du denn wissen?" „Das ist eine gute Frage. Nicht nur die Basics zumindest. Also schon auch, aber mehr noch, w...