#44 Eine Lüge leben für dich?

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POV Lucrezia Villani

„Lucrezia, bleibst du kurz bei ihr? Ich hole ihr ein Glas Wasser und einen nassen Lappen", bat mich Andrea gerade. Nichts tat ich lieber. Ich wollte für meine Freundin da sein, der es offensichtlich schon mal besser gegangen war, doch ich musste aufpassen, nicht zu viel Körperkontakt zuzulassen. „Lucy, was..." „Psst, Klappe!", entfuhr es mir ein wenig zu forsch und ich blickte mich unruhig im Raum um. Die Direktorin hatte das Büro noch nicht wieder betreten und so hatte auch niemand mitbekommen, dass Lexi mich nicht nur bei meinem Vornamen, sondern noch dazu bei meinem Spitznamen genannt hatte. „Lexi, du musst dich zusammenreißen, wir sind in Weinbergs Büro! Lehrerin und Schülerin, mehr nicht, alles klar?" Sie schien langsam wieder in der Realität anzukommen und nickte, dann setzte ich nach einem tiefen Atemzug meine kühle Stimme wieder auf und fragte: „Wie geht es Ihnen, Frau Falkner? Haben Sie das öfter, dass Sie einfach umkippen?" Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel und Andrea wieder auf uns zukam. „Hier, trinken Sie das, das wird Ihnen guttun", meinte sie und reichte Lexi ein Glas Wasser. Sie leerte es in einem Zug, dann setzte sie sich wieder aufrechter in ihren Sessel. „Tut mir leid, mein Kreislauf lässt mich in letzter Zeit gelegentlich im Stich... Aber es geht schon wieder..." Ich runzelte die Stirn. Das war ihr noch nie passiert, seit ich sie kannte, zumindest nicht im nüchternen Zustand. Dem mussten wir wohl noch auf den Grund gehen. Jetzt zählte aber erstmal, das Image zu wahren und dementsprechend distanziert fragte ich dann nach einiger Zeit auch nach: „Also erklären Sie sich bereit, uns bei der Planung zu unterstützen?" Lexi nickte: „Natürlich. Es ist schön, als Schülerin eine Stimme zu haben. Diese Chance möchte ich natürlich nutzen." Insgeheim war ich begeistert von Lexis reifer Antwort, die auch bei unserer werten Frau Direktor auf Zuspruch stieß, doch nach außen hin behielt ich meine distanzierte Fassade bei. So kannte mich immerhin jeder. „Gut, das war's dann auch schon, Sie können wieder in den Unterricht gehen. Frau Professor Villani wird sich bei Ihnen für alles Weitere melden." Ich nickte zustimmend, lächelte mild und nachdem Lexi sich verabschiedet hatte, war sie auch schon wieder aus dem Büro verschwunden. Innerlich atmete ich auf, doch nach außen versuchte ich klarerweise weiterhin, unbeeindruckt zu wirken. „Gut, dann wäre das ja geklärt. Wenn du entschuldigst, ich muss noch ein paar Arbeitsblätter kopieren...", gerade wollte auch ich mich aus dem Staub machen, da hielt mich Andrea an meinem Ärmel zurück. „Kann ich dich etwas fragen? Etwas... Persönliches?" Ich runzelte die Stirn. Dann wurde mir heiß. Bitte nicht. Was konnte sie schon wissen wollen? „Äh... Ich denke schon? Was gibt's denn?" Sie schien ein wenig mit sich zu hadern und nach den passenden Worten zu suchen, was mich nur noch nervöser machte. Dann, bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, kam die Frage auch schon: „Bist du... Ich meine... Hast du... eine Freundin?" Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und begann zu husten, was die Direktorin mit einem unbeholfenen Klopfen auf meinen Rücken quittierte. Als ich mich wieder gefangen hatte, antwortete ich: „Wäre das denn ein Problem?" Mein Ton war scharf und ich schien gerade meine Chefin in Verlegenheit zu bringen. „Toll, Lucy, du kannst es einfach", sprach die Ironie der Situation augenrollend zu mir. „N... Nein, natürlich nicht! Versteh mich bitte nicht falsch! Ich habe dich nur Freitagabend mit einer Frau gesehen... Also bei der Schule und ihr seid gerade in dein Auto gestiegen und wirktet so... vertraut, da dachte ich, ich frage mal nach... Aber das ist vermutlich überhaupt nicht meine Angelegenheit, tut mir leid. Ich sollte mich nicht ins Privatleben meiner", sie räusperte sich, so als ob ihr das folgende Wort nur schwer über die Lippen kommen würde, „Kolleginnen einmischen..." Sie hatte sich mit dieser Aussage mehr selbst zurechtgewiesen, als dass sie das zu mir gesagt hatte. Wenn sie nur wüsste, wie sehr es ihre Angelegenheit war, auch wenn wir uns schon lange nicht mehr nahestanden... „Schon gut, es ist ja nichts, was ich nicht offen zeigen würde, wenn es so wäre. Zumindest wenn wir unter uns sind. Ich möchte nur nicht, dass die ganze Schule von meiner Präferenz für Frauen Wind bekommt, du weißt schon, Teenager..." Ich wog ab, ob sie Lexi erkannt haben konnte, oder ob sie wirklich meinte, ich sei einfach mit einer ihr unbekannten Frau ins Auto gestiegen. Da sie aber extrem verständnisvoll auf meine letzte Aussage reagierte, kam ich zu dem Schluss, dass Zweiteres der Fall sein musste. Das beruhigte mich einerseits natürlich, denn wir waren wirklich nicht aufgeflogen. Andererseits war da nun aber ein gewisser Druck. Ich müsste in einer Lüge leben, um den Vermutungen dieser Frau gerecht zu werden. Müsste mir vielleicht sogar eine Fake-Freundin zulegen, mit der ich ausgehen könnte, während meine große Liebe zuhause auf mich wartete. Andere suchten sich einen Fake-Freund, um von deren Homosexualität abzulenken, das war irgendwo auch noch nachvollziehbar, die liebe Lucy brachte sich aber gleich in eine Situation, die nicht so einfach zu regeln wäre. Vor allem: Den Erwartungen dieser Frau zu entsprechen, war noch nie was für mich gewesen... „Wieso reite immer ich mich in die Scheiße rein?", dachte ich genervt, dann verabschiedete ich mich jedoch wirklich von Andrea und machte mich auf den Weg zur Tür. Das mit dem Kopieren war nicht gelogen, doch das war vermutlich von all den in der Direktion getätigten Aussagen die einzige mit Wahrheitsgehalt gewesen. Ich gab mir noch ein sarkastisches Gedanken-High-Five, ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen und trat auf den Gang. Dieses Gespräch hatte mich mehr erschöpft, als mir lieb war...

Als dieser Schultag dann auch endlich ein Ende nahm, sammelte ich alles Nötige von meinem Platz im Konferenzzimmer zusammen und machte mich auf den Weg nach draußen. Ich musste unbedingt mit Lexi reden. Am Weg zu meinem Wagen sah ich, wie auch sie gerade die Schule verließ, jedoch gemeinsam mit Tina und Tobi und sofort wurde ich wehmütig. Tina konnte ihren Freund einfach küssen. Das könnten Lexi und ich niemals. Zumindest nicht, bis sie ihren Abschluss in der Tasche hätte. Als sie mich erspähte, lächelte sie mild, was mich beruhigte und mir sofort wieder ihre Worte von gestern Abend in Gedanken rief. Sie hatte mir da voller Zuversicht erklärt, dass alles gut werden würde und dass wir nicht wissen könnten, was Weinberg von uns wollte und sie hatte recht behalten, auch wenn der letzte Teil unseres Gesprächs ein wenig in die falsche Richtung gegangen war. Ich lächelte ebenfalls vorsichtig, stieg in meinen Audi und raste, ein wenig zu flott dafür, dass gerade über zweihundert Schüler das Gelände verließen, über den Parkplatz in Richtung Hauptstraße. Irgendwie musste ich mich doch ablenken, bevor ich Lexi meine Bedenken bezüglich Andreas Vermutung mitteilen konnte und das ging immer noch am besten, wenn ich mit erhöhter Geschwindigkeit über den Asphalt preschte. Avril Lavignes „Sometimes I drive so fast, just to feel the danger. I wanna scream, it makes me feel alive" aus dem Song „Anything but ordinary" ertönte aus meinem Autoradio und ich musste grinsen. Wie sehr diese Worte doch auf mich zutrafen... Ich war schon immer sehr speziell gewesen.


- A/N -

Nachdem die liebe overthinkerhere mich gebeten hat, heute noch ein zweites Kapitel hochzuladen, dachte ich mir, ich würde ihr und auch anderen vielleicht eine kleine Freude damit machen. Als Entschädigung für den Montag sozusagen. Ich hoffe, es gefällt euch!

Eure the_fire_of_desire <3

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt