POV Clara Zykowski
Endlich. Das war ja eine schwere Geburt gewesen. Als mir Alexandra in unserer Session erzählt hatte, dass sie sich in ihre Lehrerin verliebt hatte, war es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Lucrezias Verhalten der letzten Monate hatte plötzlich Sinn ergeben und ich hatte sofort gewusst, dass es sich um sie handelte. Ich hatte meine Patientin wohl einen Moment lang schockiert angesehen, doch mich sofort wieder gefangen und dann war ich das Thema so professionell wie möglich angegangen, jedoch nicht, ohne mir durch ein paar gezieltere Fragen meinen Verdacht bestätigen zu lassen.
Jetzt saß ich also hier mit Lucy auf ihrem Sofa und strich ihr beruhigend über den Rücken, damit sie sich wieder fassen konnte. Nach einer Weile gelang ihr das auch ganz gut und ich wusste, dass nun endlich das Gespräch gekommen war, das mir die Geschehnisse auch aus ihrer Perspektive schildern würde. Nur so könnte ich den beiden helfen, obwohl ich echt aufpassen musste, die Schweigepflicht nicht zu verletzen. „Also gut, bist du bereit, darüber zu reden?" Lucrezia schloss ihre Augen, atmete noch einmal tief durch und nickte dann. „Dann lass unsere Session beginnen", zwinkerte ich und fuhr gleich mit meiner ersten Frage fort. „Wie ist das alles abgelaufen? Gab es Annäherungen, habt ihr euch vielleicht sogar geküsst oder miteinander geschlafen? Ich will wissen, wie strafbar du dich bereits gemacht hast..." Ich stellte meine Fragen so, als wüsste ich noch überhaupt nichts, was ja eigentlich der Fall wäre, wenn ich nicht zufälligerweise die Therapeutin besagter Schülerin wäre. Schon sprach Lucrezia: „Ich habe mich mehr als strafbar gemacht, denn wir waren zusammen, Clara... Nicht lange, doch unsere gemeinsame Zeit war... verdammt intensiv, um es so auszudrücken." Ich musste mir ein „Genau so hat sie das auch beschrieben" verkneifen, auch wenn es mir echt auf der Zunge lag, doch das würde das Chaos nur perfekt machen und so sagte ich dann: „Okay... Das ist etwas, das du nicht mehr rückgängig machen kannst. Aber würdest du es rückgängig machen wollen?" Lucy schüttelte hastig den Kopf und fügte hinzu: „Niemals, sie hat mich so glücklich gemacht. Ich habe noch nie so etwas gefühlt und ich glaube auch nicht, dass ich jemals wieder für jemanden so stark empfinden kann." Es war irgendwie rührend, meine sonst so kalte Freundin über Gefühle reden zu hören. Auch wenn die Lage echt verzwickt war. „Verstehe. Erzähl mir alles von eurer gemeinsamen Zeit, die Höhen und Tiefen, ich will alles wissen." Lucy ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie schwelgte sofort in Erinnerungen und erzählte alles so lebhaft, sodass ich das Gefühl hatte, ich wäre selbst dabei gewesen. Sie erklärte mir, wie sie sich kennengelernt hatten, dass sie als Lehrerin den Fehler gemacht hatte, sie aus Wut gegen eine Tür zu pressen und dass das dann bei beiden in Lust umgeschlagen hätte. Dass sie ab da eigentlich schon verloren gewesen war. Sie erklärte mir, dass anfangs nur eine sexuelle Spannung zwischen ihnen zu erkennen gewesen war, doch je mehr sie über Lexi, wie sie sie nannte, erfahren hatte, desto mehr wurde das zu Liebe, zu echten Gefühlen. Das wäre eine sehr originelle Liebesgeschichte gewesen, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass sie von ihrer Schülerin, ihrer Schutzbefohlenen sprach. „Und ihre Mutter wusste, dass sie mit dir in der Toskana war?!", fragte ich nun ein wenig schockiert, doch Lucy erklärte mir auch hier die Lage und ging ein wenig genauer auf den Streit zwischen meiner Patientin und ihrer Mutter ein. Das half mir auch irgendwie in der Behandlung ihrer Probleme weiter, doch das erwähnte ich natürlich nicht. War es falsch, was ich da tat? Ich sollte mich nicht ins Privatleben meiner Klienten einmischen, zumindest nicht auf diesen Weg, doch wenn das Hauptproblem meine beste Freundin war, die mich nun eben brauchte, dann konnte ich da leider auch nichts machen. Außerdem war ich hier nicht diejenige, die eine Straftat beging, zumindest würde mir da niemals so viel passieren wie Lucy, wenn ihre Affäre rauskäme. „Alles klar. Dich hat es ja echt erwischt, hm? Mir tut das wirklich leid, dass du so leidest..." Ich zog meine beste Freundin wieder in meine Arme und sie ließ es zu, was mich echt freute, mir andererseits aber auch zeigte, wie verloren sie momentan ohne mich war. „Kommen wir nun zum schwierigen Teil... Habt ihr euch getrennt?" Lucy schluchzte nun wieder und erzählte mir unter Tränen von den Vorfällen beim Schulausflug und davon, dass sie einfach nicht mehr gekonnt und nur noch in Angst gelebt hatte, was meinen Verdacht, den ich Lexi erläutert hatte, somit bestätigte. Dass es ihr nun aber nicht besser, sondern nur noch schlechter ging, weil Lexi ebenfalls sehr darunter litt, ließ sie auch nicht außen vor. Sie erklärte mir, dass Alexandras beste Freundin mit ihr geredet und ihr von dem Zustand ihrer Schülerin berichtet hätte und dass es ganz schlecht aussehe. Für mich fügten sich all diese Einzelheiten nun endlich zu einem großen Ganzen zusammen und ich begann zu verstehen, warum meine Patientin psychisch so am Sand war. Ich hatte auch schon die eine oder andere Idee, wie ich sie da wieder ein wenig aufbauen könnte, doch jetzt war mal Lucrezia wichtig. „Okay... Dann hör mir jetzt mal gut zu: Ihr braucht den Abstand definitiv. Aber ihr solltet das gemeinsam beschließen. Es bringt nichts, wenn eine, in dem Fall du, festlegt, dass alles aus ist, die andere daran aber zerbricht... Das ist jetzt auch kein Vorwurf, ich weiß ja, dass du nur das Richtige tun wolltest. Aber weißt du, eine allein kann das nicht entscheiden..." Lucy schniefte einmal kurz und dann meinte sie: „Und was schlägst du vor, dass ich tun soll? Sie würde doch niemals mehr mit mir reden! Sie hat vielleicht schon eine andere, um sich abzulenken... Ich habe sie verloren, Clara! Sie ist weg!" Es tat mir weh, sie so verzweifelt zu erleben und ihr nicht sagen zu können, dass ich genau wusste, dass Lexi jederzeit zu ihr zurückkommen würde, doch ich versuchte es anders: „Und was, wenn nicht? Wenn auch sie noch nicht über dich hinweg ist und so ein klärendes Gespräch das wäre, was auch sie braucht? Das kannst du ja nicht wissen und so wie diese Tina das dargestellt hat, leidet auch Lexi noch sehr unter eurer Trennung und der jetzigen Situation... Bitte rede mit ihr! Ihr könnt euch ja auch irgendwo treffen, wo das niemand mitbekommt, vielleicht fahrt ihr irgendwo hin, weit weg von hier." Lucy seufzte aber nur und meinte dann voller Selbstironie: „Und was soll ich ihr bitte sagen? Dass ich die Beziehung nicht weiterführen kann und ihr das einfach nur nochmal klarmachen wollte? Ihr einfach nochmal in die Wunde treten wollte, weil mir das so Spaß macht?" Ich schüttelte den Kopf: „Nein, dass es dir genauso schlecht geht und dass du sie noch immer liebst, doch dass du das so nicht kannst. Und dann schlägst du ihr eine Lösung vor..." Lucrezia schien verwirrt, bis sie mich fragte, was denn die Lösung wäre, denn sie suche diese schon seit Wochen. Dass ich da aber wirklich eine Idee hatte, damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. „Naja... Ich weiß, du bist gerne an dieser Schule und auch hier in der Stadt... Aber was, wenn du über das Angebot des Gymnasiums in Graz nochmal nachdenkst? Die waren ja echt hartnäckig und wollten dich unbedingt... Und vielleicht ist die Stelle noch unbesetzt?" Lucy sah mich aus großen Augen an. „Du meinst, ich soll die Schule wechseln?! Wieder nach Graz ziehen? Ich... Ich weiß nicht, ob ich das will... Und vor meinen Problemen zu flüchten, scheint mir jetzt auch nicht das Richtige zu sein..." Nun war ich diejenige, deren Ton ein wenig schärfer wurde: „Lucy, das ist eure einzige Chance... Du flüchtest nicht, du schaffst neue Bedingungen! Bessere! Du meintest ja, dass sie nach der Matura nach Graz gehen will, um zu studieren. Und du wärst dann einfach schon dort! Außerdem könntet ihr ab dem Zeitpunkt eine legale Beziehung führen! Und bis sie nachkommt, wären es auch nur noch vier Monate, vorausgesetzt, sie schafft ihren Abschluss, was ja momentan leider nicht wirklich danach aussieht..." Wieder schluckte Lucrezia und eine Weile war es still zwischen uns. Dann entschied ich mich dazu, sie mit ihren Gedanken nun allein zu lassen, denn sie musste jetzt selbst entscheiden, was sie tun wollte, ich konnte nur für sie da sein, egal, wie das hier enden würde. Meine Arbeit hier war getan. Und um uns den Abschied nicht unnötig schwer zu machen, stand ich auf, drückte ihr einen Kuss auf ihre Stirn und meinte: „Überleg es dir. Und wenn du mich brauchst, ruf an, ich bin gerne für dich da." Und keine dreißig Sekunden später war ich auch schon zur Tür hinaus verschwunden...
- A/N -
Endlich haben sich die Teile für Clara zusammengefügt. Was meint ihr, wird Lucrezia tun? Könnte ein Umzug wirklich die Lösung sein und die Beziehung der beiden retten? Schreibt eure Vermutungen gerne in die Kommentare! <3
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In you I found remedy
Roman pour Adolescents[Abgeschlossen] Mir ist danach, dich besser kennenzulernen. Vielleicht ist das dumm, naiv, aber..." Doch sie unterbrach mich: „Was möchtest du denn wissen?" „Das ist eine gute Frage. Nicht nur die Basics zumindest. Also schon auch, aber mehr noch, w...