#71 Ich fahr mit dir, wohin du willst

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POV Lexi Falkner

„Wo fahren wir hin?", wollte ich irgendwann wissen. Es war immer noch schwer für mich, zu glauben, dass ich da gerade wirklich neben Lucrezia Villani im Auto saß. „Wohin du willst, Lexi. Ich fahre mit dir überall hin", gab sie lächelnd zurück und mein Herz machte einen Satz. Ich empfand einfach immer noch so unglaublich viel für sie.

Eine Zeit lang war es still im Fahrzeug und wir hingen beide unseren eigenen Gedanken nach, wobei ich überlegte, ob die Idee, die mir gerade gekommen war, eine gute wäre. Sollte ich sie das wirklich fragen? Ihr das wirklich vorschlagen? Was, wenn sie noch nicht bereit dazu war? Waren wir überhaupt wieder zusammen? Naja, wir planten eine gemeinsame Zukunft also ließ sich Letzteres wohl mit Ja beantworten. Trotzdem machte mich nur der Gedanke an mein Vorhaben nervös. Das schien auch Lucy zu bemerken, denn diese schielte immer wieder zu mir herüber und fragte dann mit gerunzelter Stirn: „Alles in Ordnung?" Ich atmete tief durch, bevor ich antwortete: „Fahren wir zu mir. Ich möchte dich gerne meiner Mutter und ihrem Lebensgefährten vorstellen. Wäre das denn in Ordnung für dich?" Ich konnte ihr die plötzliche Nervosität regelrecht ansehen und das beruhigte mich klarerweise auch nicht wirklich. Trotzdem wollte ich meinen Vorschlag nicht zurückziehen. Ich war bereit dazu. Ich wollte, dass meine Familie die Frau kennenlernte, die mir mein Leben in letzter Zeit einerseits so schön und andererseits so verdammt schwer gemacht hatte. Ich wusste, dass auch Gerald schon von meiner Liebe zum gleichen Geschlecht erfahren hatte, meine Mutter hatte es ihm damals erzählt, weil sie nicht mehr gewusst hatte, wie sie mit meiner zurückgezogenen und traurigen Art alleine hätte umgehen sollen. Ich nahm ihr das auch nicht übel, ich war immerhin ihr Kind und sie hatte sich Sorgen gemacht. Zuerst hatte ich geglaubt, er würde das komisch finden und hier eventuell eine konservative Meinung vertreten, als er mich dann aber eines Abends beim Essen gefragt hatte, ob ich denn nicht mal über das Mädchen reden wollen würde, das mir den Kopf verdrehte und mich offenbar in ein Chaos der Gefühle stürzte, war für mich klar, dass er das überhaupt nicht als Problem empfand. Es war eine große Erleichterung für mich gewesen, denn auch wenn mir seine Meinung egal sein könnte, er war mir irgendwie ans Herz gewachsen und ich wollte nicht, dass es zuhause irgendwelche Unruhen gäbe. Denn war ein Zuhause nicht der Ort, an dem man so sein konnte, wie man wirklich war? Ganz ohne Filter? „Okay, Lexi... Dann... Dann fahren wir zu dir...", hauchte Lucrezia und nickte dabei ganz langsam, so als müsste sie sich selbst dadurch Mut machen. Ich war einfach nur glücklich. Spätestens jetzt war ich überzeugt vom Wahrheitsgehalt ihrer Worte in diesem Abstellraum. Sie sah mich beim Gedanken an ihre Zukunft an ihrer Seite. Ich beugte mich vorsichtig zu ihr und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange, der ihr ein Lächeln aufs Gesicht zauberte, das schöner nicht hätte sein können. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend, doch diese Stille war so angenehm, dass ich sie gar nicht erst durchbrechen wollte. Auch nicht, als Lucy in meine Straße einbog.

„Du kannst direkt in unserer Einfahrt parken oder hier neben der Straße, ganz egal", leitete ich sie an und sie entschied sich für Zweiteres. „Du wählst freiwillig die Parkplätze, bei denen man parallel einparken muss?", lachte ich, doch ihre Antwort erschien mir echt sehr nachvollziehbar. „Ich will nicht, dass mich deine Eltern sofort auf mein Geld reduzieren, wenn sie meinen Sportwagen sehen... Ich möchte sie von meiner Person überzeugen, weißt du?" Ich stieg aus und sobald auch sie das Auto verlassen hatte, zog ich sie in einen sanften Kuss und hauchte gegen ihre Lippen: „Sie werden dich lieben, glaub mir." Sie nickte sanft, doch ich spürte, dass sie Angst hatte. „Alles gut bei dir?" „Um ehrlich zu sein bin ich extrem nervös. Was wenn... ich ihnen zu alt für dich bin? Willst du ihnen sagen, dass ich deine Lehrerin war? Glaubst du, das ist eine gute Idee?" Ich konnte ihre Zweifel nachvollziehen, auch ich hatte mir darüber bereits Gedanken gemacht, doch ich war zu dem Entschluss gekommen, dass sie das zu akzeptieren hatten, wenn sie mich nicht verlieren wollten. Ich hatte mich längst für ein gemeinsames Leben mit dieser Frau entschieden und ob sie weiterhin ein Teil davon sein wollten oder nicht, blieb ganz allein ihnen überlassen. Ich hatte nämlich gelernt, zu akzeptieren, dass es nicht in meiner Hand lag, was andere über mich dachten und wie sie sich entschieden, zu sein. Darüber hatte ich keinerlei Kontrolle. Und auch wenn meine eigene Mutter mich nicht so lieben könnte, wie ich war, würde ich ihr nicht nachlaufen und auf Knien darum betteln, denn dann lag das Problem keinesfalls bei mir. Außerdem... „Meine Mutter hat bereits ihre erste Tochter verloren. Sie will nichts mehr, als dass ich glücklich bin und glaub mir, das bin ich. Ich liebe dich, Lucy. Aus tiefstem Herzen." Das schien Lucrezia nun auch zu überzeugen und wir schlenderten Hand in Hand den schmalen Weg zur Haustür entlang. Bevor ich klingelte, atmeten wir beide nochmal tief durch. Ich warf meiner Freundin einen letzten zuversichtlichen Blick zu und betätigte dann den silbernen Knopf mit dem Glockensymbol darauf.

Die Schritte, die sich der Tür näherten, wurden immer lauter und ich erkannte, dass es sich bei der Person um meine Mutter handelte, die gerade den Schlüssel im Schloss umdrehte. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der mein Herz aufgeregt gegen meinen Brustkorb hämmerte und auch Lucy schien es so zu gehen, doch als endlich die Haustür aufgezogen wurde, wurde ich ruhiger. Jetzt gab es kein Zurück mehr. „Hallo Mama!", meinte ich vorsichtig. Sie blickte zuerst mich an, dann schaute sie zu Lucrezia, nur um ihren Blick dann auf unseren ineinander verschränkten Händen ruhen zu lassen. Einen Moment dachte ich, sie würde umkippen, doch dann legte sich ein ehrliches Lächeln auf ihre Lippen, das mich mutig machte. „Ich bin hier, weil ich dir endlich die Frau vorstellen möchte, die mich glücklich macht. Mama, das ist Lucrezia." Meine Mutter seufzte lächelnd und anstatt Lucys ausgestreckte Hand anzunehmen, fiel sie ihr direkt um den Hals und murmelte: „Schön, dich endlich kennenzulernen. Ich bin Waltraud. Kommt doch rein ihr beiden!" Wir traten hinter ihr ins Haus und obwohl ich hier wohnte, fühlte ich mich wie ein Gast. „Hätte ich gewusst, dass ihr mich heute beehrt, hätte ich etwas vorbereitet, so kann ich euch nur Kaffee anbieten. Trinkst du denn Kaffee, Lucrezia?" Die Anspannung meiner Freundin schien verflogen zu sein, als wir das Haus betreten hatten, denn sie war plötzlich ganz sie selbst: „Sehr gerne sogar! Es gibt nichts Besseres, als eine heiße Tasse Kaffee." Ich war einfach nur glücklich, als Mama meinte, sie würde Gerald noch schnell holen, er sitze gerade vor seiner Forschungsarbeit und während sie nicht im Raum war, zog ich Lucy an mich und küsste sie. „Alles wird gut, versprochen", raunte ich noch, dann zog meine Mutter ihren Lebensgefährten auch schon hinter sich her in die Küche. „Hallo! Ich bin Gerald. Es freut mich, endlich ein Gesicht zu Lexis großer Liebe zu haben!" Ich schmunzelte. Er hatte vermutlich in letzter Zeit mehr von diesem Drama mitbekommen als meine eigene Mutter und auch wenn ich seinen Fragen meist ausgewichen war, hatte er immer gemerkt, wenn sich etwas an meiner Gemütslage verändert hatte und das sofort auf diese eine Frau zurückgeführt. Ich mochte ihn wirklich. Er war ein sehr einfühlsamer Mensch und es tat mir echt leid, dass ich ihn am Anfang so verabscheut hatte.

„Setzt euch doch, ich komme gleich wieder", bat uns meine Mama nun und ich setzte mich neben Lucy auf einen der beiden Stühle auf der Längsseite des Tischs. Eine Weile wusste wohl niemand so recht, was er sagen sollte, doch zum Glück mischte meine Mutter die Stille auf, indem sie uns allen eine Tasse des heißen Gebräus herstellte und dann ein lockeres Gespräch begann.

Lucy unterhielt sich wahnsinnig gut mit Gerald, weshalb meine Mama wohl die Gelegenheit nutzen wollte und mich bat, ihr in der Küche zu helfen. Wir wollten alle einen Aperol-Spritzer trinken, da es ein lauer Frühsommerabend war und wir unseren mit Lampions dekorierten Garten auch mal nutzen wollten. Ich drückte also kurz Lucrezias Hand, um ihr anzudeuten, dass ich sie nicht lange alleine lassen würde und folgte dann meiner Mutter in die Küche.

„Lexi, darf ich dich etwas fragen?" Ich wurde nervös. Was käme denn jetzt? „Äh... ja, klar", gab ich mit zitternder Stimme zurück. „Woher kennt ihr beiden euch? Versteh mich nicht falsch, sie ist toll und ich finde es wunderbar, dass ihr so glücklich miteinander seid... Aber sie ist doch ein wenig älter als du, oder? Wo hast du sie also kennengelernt?" Ich atmete tief durch. Der Moment der Wahrheit war also nun gekommen. „Ja, Mama, sie ist 31. Und sie... sie... Sie war meine Lehrerin." Jetzt war es draußen. Der restliche Verlauf des Gesprächs hing nun nicht mehr von mir ab...

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