POV Lexi Falkner
Ich war nun schon eine ganze Woche nicht mehr in der Schule gewesen. Normalerweise schwänzte ich nur einige Tage oder überhaupt nur die Italienischstunden, doch ich konnte nicht mehr. Ich wusste, ich würde, müsste ich Lucrezia nur sehen, in Tränen ausbrechen und diese Blamage wollte ich mir einfach nicht geben, auch wenn ich keinen Wert mehr auf die Meinung anderer legte. Ich legte eigentlich auf überhaupt nichts mehr wert, weder auf meine Gesundheit, noch auf Freundschaften oder mein Aussehen. Ich lag nur noch heulend in meinem abgedunkelten Zimmer, schnitt mich mit meiner Rasierklinge oder war mit meinen neuen Leuten feiern. Ich würde nicht mal sagen, dass das neue Freunde waren, es waren einfach nur Leidensgenossen, die meine depressive Art ertrugen und mir ohne nachzufragen Stoff verschafften, durch den ich eine Zeit lang aus der Wirklichkeit fliehen konnte. Meine Mutter war in letzter Zeit auch immer besorgter geworden und ich hatte ihr versprochen, mir Hilfe zu holen, wenn sie mich mit ihrer Fragerei in Ruhe ließe. Das ertrug ich nämlich am allerwenigsten. Ich könnte ihr ja sowieso nicht erzählen, warum es mir wirklich so dreckig ging und Ausreden zu suchen, war nur anstrengend. Diese Kraft musste ich mir für andere Dinge sparen. Sie hatte dem Deal im Endeffekt zugestimmt und so zog ich mich gerade an, da ich heute seit langem wieder einmal einen Termin bei meiner ehemaligen Psychologin hätte. Frau Zykowski war eine nette junge Dame, der ich mich schon in der Zeit nach Julies Tod anvertraut hatte und ich wusste, dass ich ihr zumindest die gesamte Situation schildern könnte, da sie ja sowieso Schweigepflicht hatte und mich und auch meine Lehrerin nicht in Gefahr bringen würde. Denn ich würde Lucrezia niemals verraten und sie einer Gefahr aussetzen, dazu liebte ich sie immer noch viel zu sehr, auch wenn ich momentan nur Hass für sie überhatte. Das alles war so paradox, dass ich höhnisch über mich selbst lachen musste...
Nach einer halben Stunde Wartezeit wurde dann endlich ich aufgerufen und ich trat mit einem zaghaften Klopfen in den Raum, der von zwei Sofasesseln, einem großen Holztisch und ein paar Bücherregalen geziert wurde. Es hatte sich hier nichts verändert. Die Praxis war immer noch komplett in einem warmen Orange gehalten und die Wände waren cremefarben, was eine Wärme ausstrahlte, die ich seit Monaten nicht mehr gefühlt hatte. Frau Zykowski erhob sich gerade von ihrem Schreibtischstuhl und kam auf mich zu. Nachdem ich ihr freundlich die Hand gereicht hatte, setzten wir uns in die gepolsterten Sessel und sie begann mich zu fragen, was mich denn herführe. Ich zögerte und wir redeten zuerst über Belanglosigkeiten, was für mich auch sehr ungewohnt war, denn ich hatte nicht mal mit Tina mehr ein normales Gespräch geführt, seit ich wieder in meinem Loch gefangen war, doch irgendwie tat es gut, nicht nur noch die Stimme in seinem Kopf zu hören, die die eigenen Gedanken von Schläfe zu Schläfe jagte und einen nachts nicht schlafen ließ, sondern wirklich wieder mal mit einer anderen Person zu sprechen. Dann, nach einer ganzen Weile, kamen wir aber auf das eigentliche Thema zu sprechen: „Du sagst, es geht dir wieder ganz schlecht... Kennst du den Auslöser oder den Grund dafür?" Ich atmete einmal tief durch, bevor ich zu reden begann: „Ich... Ich habe mich verliebt, in eine Person, deren Position es nicht zulässt, mich zu lieben... Naja, wir waren auch zusammen, nicht lange, aber die Zeit war dafür umso intensiver. Doch plötzlich hat sie mich abserviert und gemeint, sie hätte mich nie geliebt und sie könnte das nicht mehr und verdammt, es tut so weh." Ich schluchzte wieder, woraufhin mir meine Therapeutin ein Taschentuch reichte. Dann fragte sie ruhig und ohne jegliche Wertung: „In welcher Position ist sie denn, dass das mit euch nicht geht?" Ich wusste, ich könnte es ihr anvertrauen. Ich wusste, ich würde endlich mit jemand Kompetentem darüber reden und doch brachte mich irgendetwas in mir dazu, zu zittern und zu zögern. „Ich weiß nicht, ob sie mir das übelnimmt, wenn ich das erzähle...", setzte ich an, doch Frau Zykowski meinte dann, dass sie ja Schweigepflicht hätte und mich oder sie somit nicht in Schwierigkeiten bringen würde. Dann sprach ich: „Sie ist meine Lehrerin." Für einen Bruchteil einer Sekunde entglitten der Frau mir gegenüber die Gesichtszüge, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen, sodass ich nicht wusste, ob ich mir das vielleicht nur eingebildet hatte. Trotzdem machte mich das ein wenig unsicherer. Schockierte sie der Fakt, dass es eine Frau war oder eher, dass sie meine Lehrerin war? Beides vielleicht? Ich könnte es ihr nicht verübeln... Mein Gegenüber wurde kurz still, schien nachzudenken, wie sie darauf jetzt möglichst neutral antworten sollte, dann meinte sie: „Das ist natürlich eine verzwickte Situation, aber man kann sich ja nicht aussuchen, für wen man Gefühle entwickelt. Du sagst, ihr wart zusammen? Das heißt, sie hat somit ihre Freiheit für dich aufs Spiel gesetzt?" Ich nickte nur und senkte beschämt den Kopf, dann fuhr meine Therapeutin fort: „Das sieht für mich nicht danach aus, als hätte sie dich nicht geliebt, Alexandra. Erzähl mir ein wenig von ihr, wie ist sie so?" Ich begann von ihrer kühlen, abweisenden Art im Unterricht zu reden, davon, dass ich nie gedacht hätte, ihr auch nur irgendwann näherzukommen. Ich sprach auch darüber, dass sie selbst meinte, sie sei ein herzloser Mensch, was ich überhaupt nicht so sah und dann schwärmte ich noch ein wenig über sie und die schöne gemeinsame Zeit, sodass ich am Schluss wieder in Tränen ausbrach und ein frisches Taschentuch brauchte.
„Wie gesagt, für mich klingt das alles nicht danach, als wäre deine Liebe einseitig gewesen... Aber du weißt, welches Risiko sie für dich eingegangen ist, oder? Ihr wurde vermutlich einfach alles zu viel und sie hatte eine Pause nötig..." Ich dachte eine Weile über diese Worte nach, dann fragte ich: „Verteidigen Sie sie etwa gerade?" Meine Psychologin schüttelte hastig und überrascht den Kopf, was mich nur noch stutziger machte, meinte dann aber schnell: „Nein, natürlich nicht, ich versuche nur, ihr Verhalten zu analysieren und dir aufzuzeigen, dass andere Blickwinkel ein Geschehen oftmals... verständlicher machen. Ich weiß, dass du in dem Strudel negativer Gedanken gefangen bist, das verstehe ich auch, denn es ist eine schwere Zeit für dich, doch wenn du dich mal in sie hineinversetzt, das umdrehst und dir vorstellst, du seist die Lehrerin und sie die Schülerin in dieser Angelegenheit... Was fühlst du? Schließe die Augen und stell dir das vor. Wie du ins Konferenzzimmer gehst am Morgen, deine Geliebte in deinem Unterricht sitzen hast, nach der Schule zu deinem Auto gehst und sie aus der Ferne mit ihren Freunden siehst... Wie fühlst sich das an?" Ich wurde still und tat nach kurzem Zögern das, was mir Frau Zykowski riet. Und ich begann zu verstehen. Ich begann wirklich zu verstehen! „Ich fühle... Angst, erwischt zu werden... Angst vor den Gesprächen mit den... Kollegen im Lehrerzimmer und... ganz viel Liebe, wenn ich sie ansehe... Aber auch Angst vor Ablehnung anderer Menschen in meinem Leben... Es ist ungewohnt, mir das so vorzustellen, aber in mir... macht sich ein mulmiges Gefühl breit..." Nach einer Weile öffnete ich meine Augen wieder und biss mir auf die Unterlippe, denn so hatte ich das noch nie betrachtet. Ich wusste, dass sie immer ein ungutes Gefühl bei der Sache gehabt hatte, doch dass da eine wirklich berechtigte Angst gewesen war, im Gefängnis zu landen und von der Welt verspottet und verachtet zu werden, das hatte ich so noch nie betrachtet. Außerdem wären es nicht nur die paar Jahre, die sie hinter Gittern verbringen würde, die hätte ihr ganzes restliches Leben verloren, das sie nie mehr zurückbekäme. Sie würde ihre Lehrbefugnis verlieren, jegliches Ansehen, Freunde und Familie vermutlich auch. Sie wäre ein Wrack und das nur, weil sie sich in ihre viel zu junge, noch dumme und unvorsichtige Schülerin verliebt hatte, die sie auf einem Tankstellenklo bei einem Schulausflug küssen musste... Ich war ihre Angst. Ich war ihre Gefahr.
- A/N -
Was sagt ihr zu Lexis Erkenntnis? Meint ihr, das könnte etwas zwischen den beiden ändern? Was haltet ihr allgemein davon, wie die Story sich entwickelt? Lasst es mich gerne wissen! :)
DU LIEST GERADE
In you I found remedy
Teen Fiction[Abgeschlossen] Mir ist danach, dich besser kennenzulernen. Vielleicht ist das dumm, naiv, aber..." Doch sie unterbrach mich: „Was möchtest du denn wissen?" „Das ist eine gute Frage. Nicht nur die Basics zumindest. Also schon auch, aber mehr noch, w...