POV Lexi Falkner
Ich schreckte aus dem Schlaf. Schwer atmend hockte ich hier auf meinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Ich war am Leben. Mir passierte nichts. Es war nur ein Albtraum. Schon wieder nur ein Albtraum. Wirklich lange war das besser gewesen, vor allem in der Gegenwart von Lucrezia, doch auch nachdem sie mich verlassen hatte, hatte ich immerhin von ihr und nicht mehr von meiner ertrinkenden Schwester geträumt. Seit die Matura aber immer näherrückte und mein Körper dem ganzen Stress beinahe nicht mehr standhalten konnte, spielten sich wieder dieselben nächtlichen Szenen in meinem Kopf ab wie zu Beginn des Schuljahres noch täglich. Ich sah meine tote Schwester im See treiben, mit dem einzigen Unterschied, dass ich den Polizisten gerade erklärt hatte, ich müsste lernen gehen und hätte keine Zeit für dieses Drama. Dann war ich ins Wasser gefallen und somit aufgewacht. Trotz meines wild klopfenden Herzens, musste ich ein wenig schmunzeln. Die Matura ließ mein Hirn wirklich zu Brei werden. Eine Woche war es noch bis zu den schriftlichen Prüfungen, wobei wir mit Deutsch beginnen würden. Ich war froh, dass Tina mich überredet hatte, nicht aufzugeben und mit mir lernte. Ich hatte die achte Klasse geschafft und zwar sogar mit relativ guten Noten, sodass ich ohne Probleme antreten durfte. Wir hatten alles aufgeholt, was ich verpasst hatte und sahen uns immer noch jeden Tag, um zu lernen. Wenn ich Tina nicht hätte, hätte ich wahrscheinlich nie bemerkt, was für eine dumme Entscheidung ich da damals getroffen hatte und ohne sie wäre die Wiederanmeldung vermutlich auch nicht so einfach geworden. So waren alle Beteiligten nun zufrieden, sogar die Direktorin hatte gestern kurz mit uns gesprochen, als sie uns in der Lernzone der Schule sitzen hatte sehen. Man hatte ihr angemerkt, dass selbst sie froh war, dass ich nicht aufgegeben hatte und dass ich zur Vernunft gekommen war.
„Die Textsorten sitzen, oder? Ich denke, wir sollten zu Mathe übergehen und die Exponentialfunktion wiederholen", schlug meine beste Freundin gerade vor und ich stimmte ihr zu. Deutsch sollte für keine von uns ein Problem werden, Mathe hingegen verlangte uns momentan echt alles ab. Hoffen wir mal, das würde gutgehen. „Wie wäre es mit einer kurzen Pause? Wir müssen sowieso auf Tobi warten, der will da ja mitmachen... In der Zwischenzeit könnten wir uns beim Schulbuffet was holen", schlug ich vor. Das taten wir dann auch und während ich auf meinem Kräuteraufstrichbrot herumknabberte, tauchte dann auch endlich Tobi auf, der wieder mal unsere Lernlocation bemängelte: „Müssen wir wirklich bis zum Abend in der Schule bleiben? Das ist so... streng alles." Tina und ich lachten bloß, denn genau das war der Hintergedanke gewesen, als wir uns für die Lernzone hier entschieden hatten: Wir wollten uns zuhause nicht von Netflix und Co ablenken lassen. Wir kannten uns doch. „Setz dich und pack dein Zeug aus, zum Jammern haben wir keine Zeit", maßregelte Tina ihren Freund gespielt ernst, dann machten wir uns auch schon wieder an den Stoff. Wir waren in den letzten Monaten regelrechte Streber geworden, niemals hätte ich gedacht, dass wir drei irgendwann mal täglich bis es dunkel wurde in der Schule hocken würden. Schmunzelnd und mit einem leichten Kopfschütteln tippte ich die Funktionsgleichung, mit der ich die Viruslast eines sich exponentiell vermehrenden Keims im Körper nach exakt vier Stunden berechnen musste, in meinen Taschenrechner ein. Ob ich sowas je wieder brauchen würde?
„Wie geht es dir mit dem Lernen, Schatz?", wollte meine Mama wissen, als ich gegen sieben Uhr das Haus wieder betrat. „Ganz gut eigentlich. Mit Deutsch sind wir durch, das sollte sitzen. Mathe wird auch schön langsam und Italienisch habe ich in letzter Zeit so viel geübt, schon allein durch meine Serien, die ich schaue, das haut bestimmt hin. Hast du zufällig etwas gekocht? Ich sterbe vor Hunger, obwohl ich vorhin sogar einen Happen gegessen habe!" Wir setzten uns gemeinsam an den Küchentisch und meine Mutter servierte mir Nudeln mit Olivenpesto. Sie meinte, ich könne ruhig schon essen, sie würde noch auf Gerald warten, der heute länger arbeitete. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn ich hatte endlich wieder mal richtig Appetit und so schaufelte ich wenig später auch schon die Penne in meinen Mund. Lernen machte echt hungrig...
Am nächsten Morgen verspürte ich plötzlich den unglaublich starken Drang, wieder mal laufen zu gehen. Ich sprang beinahe euphorisch aus meinem Bett, hastete zum Kleiderschrank und zog mir mein Sportoutfit an. Wenig später schnappte ich mir noch einen Apfel aus der Obstschale und verließ das Haus. Die kühle Morgenluft schlug mir entgegen, doch die Sonne, die durch die Wolken strahlte, wärmte mich umgehend ein wenig. Es war immerhin schon Mai. Wahnsinn, wie schnell die Zeit verging, wenn man vielbeschäftigt war. Die ganze Lernerei und Aufholerei hatte mich wirklich beansprucht. Umso erleichterter war ich, dass die schriftlichen Prüfungen in einer Woche vorbei sein würden. Klar war ich nervös, jeden Tag ein wenig mehr, doch egal wie ich abschneiden würde, nächste Woche hätte ich diese Hürde zumindest mal hinter mir. Die Situation mit Lucrezia war auch leichter geworden. Hätte ich das vor einigen Monaten noch nicht mal zu denken gewagt, so war ich jetzt beinahe über sie hinweg. Klar, sie würde immer einen wichtigen Platz in meinem Herzen haben, ich konnte sie da nicht einfach herausschneiden und so tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen, aber nachdem wir absolute Funkstille hatten und ich nie erfahren hatte, wo sie überhaupt hingegangen war, war es auch für mich einfacher, mit der Sache abzuschließen. Ein Teil in mir liebte sie noch immer und ich wusste auch, dass das immer so bleiben würde und dass ich niemals mehr so starke, intensive Gefühle für jemanden aufbringen könnte, da war ich einfach blockiert, doch ganz allgemein fühlte ich mich besser. Ich war wieder zufriedener mit meinem Leben. Nicht glücklich wie damals, als ich in dieser Beziehung gewesen war, doch einigermaßen zufrieden und das war ja schon mal ein Anfang.
Nachdem ich meine Runde gerannt war und auch bei der Hütte im Wald nochmal gestoppt hatte, um mich vorne heraußen auf die halbmorsche Holzbank zu setzen und die Sonnenstrahlen zu genießen, die angenehm warm meine Haut küssten, stand ich nun unter einer eiskalten Dusche und ließ das Wasser all meine Gedanken an die gemeinsam verbrachten Stunden mit meiner Ex-Freundin und ehemaligen Lehrerin in ebendieser Hütte wegwaschen. Es hatte etwas Befreiendes und doch irgendwie einen bitteren Nachgeschmack. Würde ich je vollkommen über sie hinweg sein? Ich hatte keine Ahnung, doch ich war vorerst zufrieden damit, dass es so war, wie es jetzt eben war, auch wenn ich mir manchmal Gedanken um Lucy machte und in einsamen Nächten Angst hatte, es würde eine andere neben ihr liegen, oder noch schlimmer, ihr könnte schon längst etwas zugestoßen sein. Hätte mir das jemand mitgeteilt? Hätte ich das irgendwie erfahren? Vermutlich nicht. Wieso auch, ich hatte kein Recht darauf und diese logische Schlussfolgerung holte mich dann meist wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich sollte mich jetzt wirklich auf Wichtigeres konzentrieren, als diese Spinnereien zuzulassen, immerhin hatte ich einen Abschluss zu machen und einen Traum zu verfolgen.
Der Schultag verging wie im Flug und auch diesen Nachmittag fand ich mich wieder mit Tina und Tobi in der Lernzone ein, um Mathe zu machen. Wir hatten es mittlerweile echt drauf und erreichten bei den ehemaligen Maturaaufgaben meist sogar alle Punkte. Diese Gewissheit nahm mir meine Nervosität ein wenig. Trotzdem wusste ich, dass ich jetzt nicht nachlassen durfte. Es war sozusagen der Endspurt, den würde ich auch noch hinkriegen.
Nach weiteren drei Stunden Lernen entließ uns Tina dann quasi mit ihren lobenden Worten in unseren wohlverdienten Feierabend: „So Leute, das war wirklich gut, wir sind spitze! Lasst uns für heute aufhören." Wir stimmten ihr zu, packten unser Zeug zusammen und machten uns auf den Weg zum Lehrerparkplatz, auf dem Tobi heute illegalerweise sein Auto geparkt hatte. „Nach der Schriftlichen gehen wir feiern, okay? Um uns auf die Mündliche vorzubereiten, haben wir eh noch ein knappes Monat dann." Ich lächelte begeistert und auch Tina stimmte ihrem Freund sofort zu. Wir standen all das wirklich gemeinsam durch, so wie mir meine beste Freundin das versprochen hatte und diese Tatsache machte mich ehrlich glücklich.
- A/N -
Was sagt ihr zur momentanen Situation? Für Lexi sieht es ja echt gut aus gerade, oder? Schreibt mir gerne in die Kommentare, ob ihr zufrieden seid mit der Entwicklung! :)
PS: Wer hat die Corona-Anspielung entdeckt? :D
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In you I found remedy
Teen Fiction[Abgeschlossen] Mir ist danach, dich besser kennenzulernen. Vielleicht ist das dumm, naiv, aber..." Doch sie unterbrach mich: „Was möchtest du denn wissen?" „Das ist eine gute Frage. Nicht nur die Basics zumindest. Also schon auch, aber mehr noch, w...