POV Lexi Falkner
Lucrezia hatte mir gestern erzählt, dass sie meinen nächsten Schulausflug begleiten würde. Einerseits freute ich mich wirklich, sie dort dabeizuhaben, wenigstens ins eine oder andere Gespräch zu kommen, wie es zwischen Lehrerin und Schülerin bei solchen Exkursionen üblich war. Andererseits hatte ich aber auch ein wenig Angst vor dieser Zeit. Es würde schwer werden, mich zu kontrollieren und mir nichts anmerken zu lassen. Na immerhin musste ich mich neben Tina nicht mehr verstellen. Es war wirklich eine Erleichterung, endlich mit ihr über all das reden zu können, denn auch wenn meine beste Freundin genauso wenig Lebenserfahrung hatte wie ich selbst, zuhören konnte sie und ihre Ratschläge waren nicht die schlechtesten. Sollte sie mal wirklich keine Idee haben, um eine Situation zu verändern, dann half mir ein Gespräch mit ihr meistens zumindest dabei, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich war definitiv gespannt, was diese gemeinsame Zeit bringen würde.
„Hast du alles?" Ich überprüfte nochmal meine Sporttasche und nickte. Wir würden heute endlich wieder trainieren und hatten auch geplant, die Trainings wieder regelmäßiger abzuhalten. Die Ferien hatten da ziemlich dazwischengefunkt, doch ich wollte in ein paar Jahren endlich bei den Europameisterschaften antreten und wusste, dass dieser Traum nur Wirklichkeit werden würde, wenn ich trainierte. Lucrezia sollte mich im Prinzip wieder auf den Stand bringen, auf dem ich gewesen war, als ich aufgehört hatte, dann würde ich wieder dem Verein beitreten, in der Hoffnung, meine ehemalige Trainerin Nadine würde sich bereiterklären, mich zu meinem Ziel zu begleiten. „Lass uns fahren", meinte ich nun voller Elan, was Lucrezia auflachen ließ, dann stiegen wir auch schon in ihr Auto und machten uns auf den Weg zur Sporthalle unserer Schule.
„Streck deine Zehen! Dann sieht das echt schon gut aus!", rief meine Freundin gerade, als ich den Handstand am Schwebebalken machte. Es war nicht viel, doch für mich war es ein Erfolgserlebnis, denn vorm Balkenturnen hatte ich am meisten Respekt, war er nicht immer Julies Lieblingsgerät gewesen. Sobald ich auch nur an meine Schwester dachte, begannen meine Handflächen zu schwitzen und es hatte gedauert, bis ich mich über den sonst so simplen Handstand wieder drübergetraut hatte. Wer wollte schon den Gripp verlieren und zu Boden stürzen? „Bitte, ich brauche eine kurze Pause. Dann würde ich vorschlagen, wir gehen das Reck an?" Ich hatte mir nun selbst einen Magnesiumwürfel und ein Paar Reckleder bestellt, um endlich richtig arbeiten zu können. Diese halben Sachen führten zu nichts. „Gute Idee. Trink was, ich baue mal auf."
Nach einer Weile war ich ausgelaugt. Ich hatte keine Kraft mehr und doch wollte ich diese blöde Riesenfelge am Hochreck endlich wieder schaffen. „Das gibt's doch nicht!", fluchte ich genervt. „Komm, wir lassen es für heute gut sein, das bringt doch nichts", schlug Lucy vor, doch ich wollte noch nicht aufhören. Ich konnte nicht einfach aufhören. „Einmal noch, okay?", es war mehr eine rhetorische Frage gewesen, als dass ich ihr wirklich die Entscheidung überlassen hätte. Ich war verdammt ehrgeizig, was das Turnen betraf. Immer schon gewesen und so brachte ich mich erneut in die Ausgangsposition. „Zweimal noch. Beim letzten Mal passiert meistens was", gab Lucrezia zurück. Wie recht sie doch hatte. Wenn man sich verletzte, dann eigentlich immer beim letzten Versuch. Oder zumindest, wenn man sagte, man wolle es noch ein letztes Mal versuchen. Dass man nach einer Verletzung aufhörte, war sowieso klar. Ob es für dieses Phänomen auch eine psychologische Erklärung gab? Legte man vielleicht zu viel Risikobereitschaft hinein, um einen guten Abschluss zu schaffen? Ich wusste es nicht, doch das sollte mir jetzt auch egal sein, denn meine Konzentration lag wieder voll und ganz auf dem auszuführenden Element.
„Glaubst du, man kann Sterne sehen, wenn es regnet?", wollte ich aus dem Nichts von Lucy wissen. Wir machten uns gerade auf den Weg zurück zu ihrem Auto. Es hatte angefangen, wie aus Kübeln zu schütten, darum rannten wir durch die Dunkelheit, in der Hoffnung, nicht vollkommen durchnässt zuhause anzukommen. „Also worüber du dir bei diesem Sauwetter Gedanken machst... Aber ja, das soll es geben. Nicht oft, aber manchmal hängen die Wolken ja nur über deiner Stadt, über dir und am Horizont erkennt man trotzdem vereinzelt Sterne", keuchte sie ein wenig außer Atem. „Also das mit der Wolke war ja jetzt beinahe eine poetische Aussage", kicherte ich, dann endlich: das rettende Auto. „Steig ein, die Tasche kannst du einfach in den Fußraum legen...", leitete sie mich an, doch ich, triefend nass, wie ich nun mal war, erinnerte mich gerade an den Moment, als ich das erste Mal mit ihr mitgefahren war und überhörte ihre Worte somit beinahe. „Du warst bestimmt schon beim Service, oder?", zwinkerte ich nun. „Beim... Service?" Endlich schien auch sie zu verstehen, worauf ich anspielte, denn plötzlich lachte sie laut los: „Du bist so unglaublich blöd, Lexi! Aber keine Sorge, ich habe jetzt eine Sitzauflage für solche Situationen." Damit hatte sie mich, denn ich starrte sie nur aus großen Augen an. Im Endeffekt setzte ich mich dann aber doch hinein und wurde von etwas ganz anderem abgelenkt, sodass ich nicht mehr länger darüber nachdenken konnte: Da war jemand! „Lucrezia, da ist jemand!" Ich wurde nervös. Die Gestalt stand am Haupteingang zur Schule, von dem sie einen perfekten Blick auf den Parkplatz hatte. Ich konnte erst nicht erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, doch als meine Freundin einstieg und meinte, sie kenne die Statur irgendwoher und es sei definitiv eine Frau, vergewisserte ich mich durch einen erneuten kurzen Blick und es fiel auch mir auf. „Es ist wohl besser, wir fahren jetzt", presste Lucy hervor und ich nickte nur. Mein Herz begann zu rasen. Was wenn die uns kannte? Wusste, dass wir Lehrerin und Schülerin waren? Ich meine, wir hatten uns nicht geküsst oder so, doch abends in das Auto seiner Lehrerin zu steigen, war doch nicht üblich. Es war eigentlich ziemlich riskant, dass Lucy und ich in der Schulturnhalle trainierten, das fiel mir erst jetzt auf. „Vielleicht sollten wir uns eine andere Location zum Turnen suchen...", schlug nun auch meine Freundin vor. „Das hab ich mir auch gerade überlegt..." Den Rest der Fahrt schwiegen wir. Auch wenn wir beide keine Ahnung hatten, wer uns da gesehen hatte, wir wussten, dass es unglaublich unvorteilhaft ausgehen könnte...
- A/N -
Ich habe euch wieder mal ein Turnvideo dazuverlinkt, falls sich jemand schwertut dabei, sich die einzelnen Übungen vorzustellen. Ich hoffe, das hilft ein wenig. Was sagt ihr zu dieser möglichen Wendung? Glaubt ihr, Lexi und Lucrezia wurden wirklich von jemandem gesehen, der sie kennt? Schreibt eure Vermutungen doch mal in die Kommentare! :)
An dieser Stelle übrigens einmal ein großes Dankeschön an alle, die diese Story bis hierher mitverfolgt haben und sie hoffentlich auch weiterhin lesen - dank euch habe ich noch mehr Freude am Schreiben! <3
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In you I found remedy
Teen Fiction[Abgeschlossen] Mir ist danach, dich besser kennenzulernen. Vielleicht ist das dumm, naiv, aber..." Doch sie unterbrach mich: „Was möchtest du denn wissen?" „Das ist eine gute Frage. Nicht nur die Basics zumindest. Also schon auch, aber mehr noch, w...