#61 This Goodbye

1.4K 100 7
                                    

POV Lexi Falkner

Ich wollte nie wieder zur Schule gehen. Ich hasste es, noch mehr als ich die Hauptschule gehasst hatte, in der ich gemobbt worden war, weil ich gute Noten geschrieben hatte. Das hier war der blanke Horror. Wie sollte man es denn aushalten, die Person, der man sein Herz in die Hände gelegt hatte, in der Hoffnung, sie würde es nicht zerquetschen, jeden Tag zu sehen? Ihrem Unterricht folgen zu müssen? Ich hatte in letzter Zeit noch häufiger mit dem Gedanken gespielt, die Schule einfach abzubrechen. Klar, ich hätte nur noch wenige Monate, bis Juni, um genau zu sein, doch ich würde meine Matura sowieso nicht schaffen, also wozu diese Tortur noch länger ertragen? Gerade stand ich vor meinem Kleiderschrank und überlegte mir, was ich denn anziehen sollte. Mich zu schminken, damit andere nicht sahen, wie abgefuckt ich mittlerweile aussah, hatte ich schon längst aufgegeben. So entschied ich mich für ein einfaches langärmliges Shirt in Grün und für eine blaue Jeans. Dann begab ich mich auch schon zur Tür. Heute hätten wir Lucrezia nicht, darum wollte ich es noch ein letztes Mal versuchen, doch ich wusste genau, dass ich, sollte ich heute wieder nichts kapieren und in Mathe beispielsweise Schwierigkeiten haben, einen Termin bei der Direktorin beantragen würde, um mich abzumelden. Ich würde gehen. Aufgeben. Ich würde schon irgendwo einen Job finden, der mir genug Geld sicherte, um zumindest über die Runden zu kommen, da war ich zuversichtlich. Auch wenn das bedeutete, meine Mutter enttäuschen zu müssen, der ich die letzten vier Jahre der weiterführenden Schule somit unnötig auf der Tasche gelegen wäre. Auch wenn es bedeutete, mich selbst zu enttäuschen. Ich konnte einfach nicht mehr.

Und ich hatte es geahnt: Mathe brachte mich zur Verzweiflung. Ich hatte so viel verpasst in den letzten Wochen und Monaten, sodass ich nicht mal mehr wusste, was ich nicht verstand. Ich könnte nicht mal eine Frage formulieren und selbst wenn, dann würde ich die Antwort sowieso nicht verstehen. Ich war zornig und verzweifelt zugleich und traf daher meine Entscheidung.

„Was hast du vor?", wollte Tina wissen, als ich meinen Stuhl geräuschvoll zurückschob und mein Zeug mit einer flinken Handbewegung vom Tisch in meine Schultasche beförderte. „Ich gehe", gab ich knapp zurück und gerade als ich verschwinden wollte, hielt meine beste Freundin mich am Oberarm zurück. „Du kannst nicht schon wieder heimgehen, Lexi! So wirst du die Matura echt nicht schaffen!" Mir entkam ein verzweifeltes Lachen, was mir von Tina nur einen verwirrten Blick einbrachte, dann rollte ich mit den Augen und erklärte ihr in einem etwas zu unfreundlichen Ton, den sie eigentlich überhaupt nicht verdient hatte: „Ich gehe nicht heim, ich gehe zur Direktorin und melde mich von der Schule ab. Ich habe verloren, Tina, aber ich weiß zumindest, wann es nichts mehr bringt, zu kämpfen... Und jetzt lass mich bitte gehen, ich habe noch etwas zu erledigen." Unsanft entriss ich mich ihrem Griff und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg zur Klassenzimmertür. Tina aber war schneller, denn im Gang hatte sie mich eingeholt und versperrte mir nun den Weg: „Das machst du nicht." Ihre Stimme klang bedrohlich, doch ich hörte auch die Verzweiflung und die Hilflosigkeit heraus. „Geh aus dem Weg, Tina. Du weißt genauso gut wie ich, dass das alles nichts mehr bringt und ich hier nur noch meine Zeit vergeude. Also lass mich dem endlich ein Ende setzen", entgegnete ich ihr genervt. Ich hatte bereits vermutet, dass sie mich aufhalten wollen würde, doch ich hatte meine Entscheidung getroffen und die Einzige, die mich noch umstimmen hätte können, wäre Lucrezia gewesen, wenn sie mich geküsst und mir versichert hätte, alles würde wieder gut werden. Da das aber nie passieren würde, setzte ich meinen Weg nun fort, um das alles endlich hinter mich zu bringen.

Wenig später klopfte ich schon gegen das dunkle Holz der Sekretariatstür und trat ein. Unsere etwas mollige Sekretärin fragte mich, was ich denn bräuchte und ich meinte, dass ich zu unserer Direktorin wollte. Sie musterte mich ein wenig verwirrt, doch bat mir dann an, in einer halben Stunde nochmal zu kommen, da gerade jemand bei ihr wäre. Sie bat mich, in der Zwischenzeit zurück zum Unterricht zu gehen und ich schmunzelte nur, bedankte mich aber höflich und verschwand wieder auf den Gang hinaus. „Zum Unterricht...", dachte ich. Ich entschloss mich im Endeffekt dazu, auf einem der Stühle vorne heraußen Platz zu nehmen und die Zeit noch abzusitzen, doch mich verfolgten wirklich üble Gedanken. Ich dachte daran, dass die nächste Zeit für mich sicher nicht leicht werden würde und fragte mich, ob ich alldem wohl gewachsen wäre. Plötzlich überkam mich eine unglaubliche Traurigkeit, als ich daran dachte, dass ich niemals das Studentenleben leben würde, auf das Tina und ich uns schon so gefreut hatten. Doch noch unerträglicher war der Gedanke daran, dass ich niemals Linguistik studieren würde, obwohl das schon lange einer meiner größten Träume gewesen war. Ich interessierte mich wirklich für Sprachen und das System dahinter, auch wenn ich das in der Schule nie so zeigen wollte, damit ich nicht wieder den Neidern zum Opfer fiele. Noch größer als das war nur der Traum von der Teilnahme an der Europameisterschaft, doch auch die konnte ich mir nun wohl endgültig in die Haare schmieren, denn ich hatte in den letzten Monaten nicht mehr trainiert und fühlte mich auch nicht imstande, dem Turnverein wieder beizutreten. Ich war ein psychisch labiles Wrack und kriegte gar nichts auf die Reihe.

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt